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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1902)
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Göhler, Georg: Laienbrüder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0395

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durch die kritiklose Dirigenten, was ihnen der Zufall in die Hände spielt, ihrem
Publikurn wahllos vorsetzen.

Sehr wichiig ist auch die Zusammenstellung der einzelnen Programme.
Der Kunstwart hat ja darüber schon wiederholt gesprochen. Heute sei nur
daran erinnert, wis viel gerade der kunstverständige Laie helsen könnte, wenn
er den Geschmacklosigkeiton der gerade hierin oft gleichgiltigen Dirigenten seinen
Widerstand entgegenstellte. Die reinliche Scheidung von großen und kleinen
Kunstformen, üie bewußte Trennung verschiedener Stilgattungen, das sind künst-
lerische Dinge, auf die auch der „Laienbruder" hinwirken kann, ohne seine Be-
fugnisse irgendwie zu überschreiten.

Und schließlich ist besonders in Städten, die nur ein Konzertinstitut
haben, darauf zu halten, daß im Laufe der Jahre die Kunstfreunde der Stadt
alle wirklich bedeutenden Kunstwerke jeder Kunstgattung, die mit den vorhan-
denen Mitteln wiederzugeben ist, kennen lernen; daß jede Art Einseitigkeit ver-
mieden wird, daß aber der Dirigent auch nicht im Größenwahn sich an un-
lösbare Aufgaben wagt, daß vor allen Dingen Methode in die ganze künstle-
rische Propaganda kommt, daß man z. B. nicht ein gänzlich Liszt-fremdes
Publikum plötzlich vor die Dante-Symphonie setzt, daß schließlich, wenn irgend
möglich, das stündige Publikum der Konzerte durch Vorträge oder sachliche
Programmbücher aus einzelne Neuheiten vorbereitet wird, kurz, daß die Arbeit
des Dirigenten sich nicht auf den einen Glanzabend beschrünkt. Denn das darf
sie nicht, will man dauernde Ergebnisse gewinnen. Auch das Paradieren
mit einem halben Dutzend neu srisierter Ouverturen und einigen Glanz-Sym-
phonien, die als Reißer ausgeschlachtet werden, könnten unsre Vorstände den
Dirigenten abgewöhnen. Für solchs Liebedienerei der Eitelkeit sollte ernsten
Männern Geld und Zeit jedes Konzertbesuchers zu rvertooll sein. Freilich, bei
alledem ist vorausgesetzt, daß die Persönlichkeiten, die so als Laien der Kunst
dienen wollen, nichts bezwecken als eine möglichst reiche und reine Pslege
der höchsten Kunst, daß sie die nötige Reife für Fragen der geistigen Kultur-
vertiefung besitzen und daß sie, sobald sich's um rein fachmännische Fragen
handelt, sich zu bescheiden wissen. Denn daß ich mit meinen Worten nicht der
Anmaßung der oben geschilderten künstlerischen Nullen das Wort rede, die,
weil sie zur „Creme" der Gesellschaft gehören, auch im Musik-Verein und Kunst-
Verein die Herren der Stadt sein wollen, das brauche ich den Konzertfreunden
und Dirigenten, die unter dem Dünkel dieser Sorte geiftiger und meist auch
wirtschaftlicher Emporkömmlinge leiden, nicht zu versichern. Tiefere Persön-
lichkeiten aber, die Zeit, Geld und Liebe für die Kunst haben, können für den
Zusammenhang der Musikpflege mit dem Leben einer Stadt sehr viel Segen
stiften, wenn sie mit einem Fachmann zusammen als Laienbrüder helfen, soweit
ihre Kräste reichen und soweit ihre Hülfe nötig ist. Man kann unsern deutschen
großen und kleinen Städten zu Beginn des Konzertwinters kaum etwas Befseres
wünschen als solche opferfreudige Naturen, die ihre schönste Aufgabe darin
sehen, neben ihrer Berufstätigkeit für die Förderung echter Kunst oft ganz im
Stillen Großes zu wirken. Wer als Dirigent Gelegenheit gehabt hat, auch
nur einen solchen treuen Helfer neben sich zu sehen, der wird wissen, daß in
solchen Laienbrüdern oft tiefere künstlerische Energie lebt als in Vielen, die aus
der Kunst ihr Gsschäft gemacht haben. Georg Göhler.

t. Dezemberbeft tZo

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