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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Das Deutsche Kunstlied seit Bach, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0102

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t- Linleitung.

Führer und Führungen durch Kunstausstellungen, Galerien und
Museen sind heutzutage etwas Alltügliches. Auch Führer durch den Konzert-
saal haben wir in neuester Zeit mehr als genug bekommen, obgleich
keiner von ihnen an Hermann Kretzschmars grundlegendes Werk hinan-
reicht. Aber alle diese gedruckten Wegweiser und Erläuterer verlegen
sich ausschließlich auf die Spiel- und Chormusik, und seltsamerweise hat
noch niemand es unternommen, das Publikum durch ein Gebiet zu
leiten, das auf der Fläche unseres Musiktreibens einen sehr breiten
Raum einnimmt und noch immer in gottlob reicher Blüte steht, durch
das Gebiet des deutschen Kunstliedes. Und das muß doch einmal
geschehen, denn der seit anderthalb Jahrhunderten dank der Schaffens-
lust unserer Komponisten aufgehüufte Stoff ist schon so groß, daß seine
Bewültigung und Sichtung über die Kraft des einzelnen Liebhabers der
Tonkunst hinausgeht. Versuchen wir also, zu helfen! Nicht etwa, daß
wir uns bemühten, noch einmal eine eingehende Geschichte des Liedes
zu schreiben, wie sie z. B. Lindner, Neißmann und Schneider geschrieben
haben. Eine solche Arbeit müßte zu viel nur vom geschichtlichen Stand-
punkt Merkwürdiges behandeln, wir hingegen wollen ja der Aufgabe
des Kunstwarts entsprechend dem Kunstgenusse dienen. So gedenken wir
den Gang der Entwicklung nur in den charakteristischen Hauptzügen zu
skizzieren, vor allem aber das Augenmerk darauf zu richten, daß aus
dem vorhandenen Liederschatze das h eute no ch L eb enswürdige
und Lebensfühige herausgehoben werde. Die Einrichtung unserer
Notenbeilagen erlaubt überdies, auf die bleibenden Werte nicht üloß
hinzudeuten und von ihnen zu reden, sondern Vieles davon den Lesern
gleich mit vorzulegen.

Wenn hier vom Kunstliede gesprochen wird, so verstehen wir es
in der unserer Zeit gelüufigen Erscheinungsform als Einzelgesang
mit Begleitung des Klavieres. Wir vergessen nicht, daß in einer
früheren Blütezeit, in den Tagen der Haßler, Eccard, Schein u. s. w.
ein anderer Typus der ausschließlich herrschende war: das mehrstimmig
gesetzte unbegleitete Lied — davon und von den übrigen Abarten des
Kunstliedes soll später einmal die Rede sein. Die Geschichte der von
uns gemeinten modernen Gattung beginnt erst um die Mitte des
s7. Jahrhunderts. Zwar findet, wer z. B. das nach dem Programm
der historischen Liederabende von Amalia Joachim zusammengestellte
Neimannsche Werk „Das deutsche Lied" durchblättert, auf den ersten
Seiten auch viele Gesünge ülterer Herkunft, aber das sind insgesamt
blos Einrichtungen. Der Kunstmusik des Reformationszeitalters war
der von einem Jnstrument begleitete Liedergesang so gut wie unbekannt,
er mußte erst aus der Fremde, von Jtalien her eingeführt werden und
aus bescheidenen Anfängen nach und nach sich zur Geltung durchringen
und entfalten.

Man sollte es nicht für mögkich halten, daß eine uns so einfach
und natürlich erscheinende Sache, wie das Kunstlied in der heutigen
Form, geradezu künstlicher Hilfen bedurfte, um ins Leben zu treten. Seit
Jahrhunderten sang der Spielmann dem Volk seine Lieder zur Fiedel

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