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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 11 (1. Märzheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0791

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ALmäsekLU

Mlgenieinei'e«.

G Paris, Das asthctifche Ge-
wi ssen?

Wie so viele schon, wie in der
letzten Zeit Sarah Bernhard und Co-
quelin, so ist natürlich auch Maeter-
linck von den Preß-, Theater- und
andern Börsenleuten Berlins und
sonstigen, die gern was Verühmtes
sehn, anbankettiert worden. Brahm
redete, Sudermann redste, Engels
redete, indcm er den Belgier Maetsr-
linck geist- und scherzreich mit dem
Belgier — Giron verglich . . . aber
was diese Herren redeten, geht uns
ja eigsntlich nichts an. Nur: Maeter-
linck rcdete auch. Wie Paris das
ästhetische, so sei Berlin das moralische
Gewissen der Welt. Das Berlin dsr
Sudermann, Lindau, Blnmenthal und
Brahm, das ihm entgegengetreten
ist? Diese sröhliche Frage darf uns
der Gast nicht übel nehmen. Wenn
er von Paris als dem ästhetischen
Gewissen spricht, so werden wir ja
schon wieder ernst.

Freilich, auch nicht der Redens-
art selbst wegen, die bei einem Bel-
gier entschuldbar sein mag, sondern
deshalb, weil man fast überall in der
deutschen Presse diese Redensart hin-
genommen hat, als träfe sie zu. Sie
trisst aber nicht zu, und es ist end-
lich Zeit, das recht allgemcin im Volke
bewußt zu Halten. Was hat denn
Paris seit Jahrzehnten uns Deutschcn
gegeben? Zunächst an Poesie Daudet,
Zola, Maupassant, Prevost — srei-
lich, nur daß wir Keller und
Raabe zu Hause hatten, an wel-
chen wir bei unserm Ausschauen nach
dem, was „weit her" war, vor-
bei sahen. Dann ein paar Lyriker
— die gerade ihr Neues guten Teils
mittelbar von uns Deutschen hatten.
Jm Uebrigen: Theaterleute, dic den
Lindau, Neumann-Hofer u. Co. die
Taschen füllten und kamen und gingen.
Abcr Jbsen und Björnson, Tolstoj

^ und Gorki, sind sie Pariser? Nicht
einmal D'Annunzio und Maeterlinck
sind ja welche! Und aus dem Gebiete
der Musik? Wagner ist ein Franzose
gewesen, nicht wahr, und die Festspiel-
Hügel-Vorstellungen sind denen des
Nibelungenrings in der Grand Opera
nachgemacht, nicht wahr? Aber in
der bildenden Kunst! Manet, Monet
— freilich die Tcchniker! Toch wo
sind die geistigen Kräfte in der
Pariser Malerei, die sich mit Böcklin,
Klinger, ja mit Menzel dem Realisten
messen könnten? Daß das Kunstge-
werbe von heut in der ganzen Welt
weit mehr von England gelernt hat,
als von Frankreich weiß jeder.
Oder soll uns die Pariser Knnst-
pslege von heutzutage besonders im-
poniercn? Diese Kunstpflegs, in
deren Mauern allerdings die Trom-
peten von Bayreuth Bresche ge-
blasen haben, die aber sonst um den
Volksgeist stehen wic die von China?
Selbst aus seinem alten Spezial-
gebiete, der Mode, führt ja Paris
nicht mehr.

So lange wir uns dergleichen
Reden ohne Widerspruch gcfallen lassen,
werden wir's dulden müssen, daß dic
Franzosen die deutsche Kunst an den
Verliner Hofbildhauern und Hosmalern
messen, und daß deutschschreibev.de
Theaterschriftsteller beglückt von einer
„eonZeeratiou <io Uaris" sprechen, ivenn
mal einer die Gnade hat, eine Aus-
nahme zu machen, und so was dort
aufzuführen. Ach, wüßten wir erst,
wie stark wir sind, üaß wir unsere
Kräste brauchen lernren! A.

Oiteratur.

G Falke erhült also sortan von
der FreienStadt Hamburg eine Dichter-
pension, und so ist endlich einmal auch
sür Deutschland ein Ansang dazu ge-
macht, dichterische Arbeit anders als

t- Märzheft t905

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