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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Verrohung und Schlimmeres
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Kretzschmar, Hermann: Vom Nutzen der Musik und von ihren Gefahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0456

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der's als solches erkannt und bekämpft, denn er hält Besserem den
Platz frei. Ob aber jene skeptischen Kritiker recht haben, das kann
jeder Literaturfreund mindestens bis zn hoher Wahrscheinlichkeit nach-
prüfen, wenn er unser heutiges Bühnentreiben mit dem Schasfen so-
wohl wie mit den Erfolgen unsrer anerkannt großen Dramatiker ver-
gleicht. Schiller, Kleist, Hebbel, Ludwig — wie rang die Arbeit dieser
Männer, und wie spärlich im Vergleich mit den Neuen vom Vühnen-
fach waren ihre äußeren Erfolge! Sie verwerteten halt nicht eines
Erbes gangbare Zinsmünze, sie bauten den Späteren selber ein Erbe
anf. Und wenn wir die Schatten im Totenland lassen, so zeigen uns
Lebenden Jbsen und Björnson und von Deutschen Hanptmann, wie
sich ein Poet auch auf der Bühne mit dem geistigen Gehalt seiner Zeit
brav herumschlägt, um ihn zu zwingen, und nicht bloß, daß man
seine eigenen Künste bezahle und beklatsche.

Also: wir haben keinen Grund, den Anspruch Hermann Suder-
manns und der Seinen auf das anzuerkennen, was Goethe „den Besten
des Jahrhunderts" gewährt wissen will. Jegliche Kunst hat nur dann
einen Wert, wenn sie aufrichtiger Ausdruck vertieften eigenen Seelen-
lebens ist. Sobald sie nach dem Zuschauer schielt, ist sie Schwindel,
unterhaltend oder gemütlich anregend vielleicht für die, welche den
Schwindel nicht durchschauen, sür ernstere Köpse aber dünner oder dicker
vergoldetes Blech. Spielmarke eben, nicht Goldstück. — Jch halte Suder-
mann nicht, wie ja viele andre tun, für einen bewußten Betrüger, ich
halt' ihn gleich manchen anderen der Genannten für ein Opfer des
Theaterlärms, bei denn sich auch bescheidene Keime der Eitelkeit zn
ehrlichem Größenglauben auswachsen. Jch meine, er und die Seinen
rechnen sich auch innen im Herzen wirklich zu den „Besten des Jahr-
hunderts". Wär's anders, er hätte vielleicht einen mit Kenntnissen
über diese Gebiete besser beschlagenen und im Denken klareren Kops
mit der Absassung seiner angreisenden Verteidigungsschrift betraut.
Uns andern aber hat er mit seiner Sammlung ein schönes Weihnachts-
geschenk gemacht. Seit hundert Jahren sind die lebenden Besten auf
den Bühnen nur Gäste, nicht Herrscher gewesen. Heute ist's natürlich
auch so, aber Gottlob, ein großer Teil unsrer Kritiker weiß das nun.

A.

Voin äer sVlusik uncl von ikren Gefakren.*

Die eingehende Untersuchung musikalischer Zeitfragen verlangt
die Vorfrage: Verdient die Musik überhaupt so ernst genommen zu
werden?

Bei den aufrichtigen Freunden unsrer Kunst kann diese Frage ver-
letzen. Gleichwohl ist sie notwendig. Einmal stehn sehr viele Gebildete
der Musik gleichgiltig oder verächtlich gegenüber; zum andern hat die
Musik nicht zu allen Zeiten dieselbe Wichtigkeit.

* Es ist uns eine besondere Freude, diesen Aufsatz aus Kretzschmars
eben erschienenen „Musikalischen Zeitfragen" mit Genehmigung der Verlags-
buchhandlung C. F. Peters unsern Lesern vorlegen zu können. Möge er Viele
dazu bestimmen, das treffliche Buch, über das Göhler in der Rundschau dieses
Heftes spricht, näher kennen zu lernen. K.-L.

Runstwart
 
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