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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1903)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Das Deutsche Kunstlied, [3]: die Berliner Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0522

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Oas äeutseke Runstliecl.

3. Die Berliner Schule.

Waren die älteren Versuche auf dem Gebiete des Liedes nichts
anderes als für Gesang eingerichtete Tanzstücke und die geistlichen Arien
Bachs zumeist Choräle, die eben statt von der Gemeinde von einem
Einzelnen angestimmt rvurden, so trafen wir in „Willst du dein Herz
mir schenken" bereis einen neuen Typus: die ihrem Text unmittelbar ,auf
den Leib^ geschriebene „Ode". Solche Kompositionen gibt es in der
Gräfeschen Sammlung (Halle (737—^3) außer von Giovannini u. a.
auch von Philipp Emanuel Bach, Graun und Hurlebusch. Der Her-
ausgeber betont in der Borrede zum vierten Bande mit Nachdruck seine
patriotische Absicht: „Jch wollte den Liebhabern der modernen Musik
gerne etwas Gutes mitteilen und suchte daher unsere größten Meister
in Deutschland durch unablässiges Bitten zu einem Beitrag zu bewegen.
Einige davon waren gleich willsührig, andere aber glaubten, dergleichen
Arbeiten wären teils zu klein, teils zu beschwerlich oder wohl gar ihnen
unanständig, wenn sie als deutsche Komponisten durch deutsche Sachen
und nicht vielmehr durch italienische Stücke sich bekannt machen sollten.
Jch überlasse diese ihrem deutschen GewissenT Diesem deutschtümlichen
originalen Wollen entspricht leider das Können nicht im entserntesten.
Fast durchwegs halten sich die Komponisten an das Vorbild der italie-
nischen Arie, ergehen sich in wülschen Rhythmen und verkräuseln die
Linie der Melodie durch äußerlich hinzugetanen Zierat.

Jmmerhin gelang Gräse der nächste Zweck seines Unternehmens:
die Weckung der Freude am Liedergesange in Deutschland. Jn Hamburg
nahm sich eine Autorität wie Mattheson seiner an, indem er hervorhob:
^Trink- und Wiegenlieder, Galanteriestücklein u. dgl. tun ost mehr Dienste,
wenn sie recht natürlich geraten sind, als großmächtige Konzerte und
stolze Ouvertüren." Epochemachend war dann die „Sammlung neuer
Oden und Lieder", die Hagedorn mit seinem Leibkomponisten Görner
(7^2 herausgab. An Stelle der bisher mustergebenden italienischen
Arie trat unverholen das französische Kuplet, und die Vorrede wünschte
bloß, daß die Leser „die Freiheiten, die ihnen in den Liedern der
Ausländer gefallen, in den unsrigen sich nicht befremden lassen".

Der in Hamburg angeschlagene französische Ton fand an der Spree
vielstimmigen Wiederhall. Berlin wurde seit der Mitte des (8. Jahr-
hunderts der anerkannte Vorort der leichtbeslügelten Liederkomposition,
und die Erzeugnisse dieser „Berliner Schule" sind in zahlreichen Oden-
sammlungen niedergelegt. Die erste, (753 vom Buchdrucker Birnstiel
veranstaltete, weist ausdrücklich auf das fremde, und wie wir bemerken
müssen, doch etwas überschätzte Vorbild hin. „Die Franzosen, diese ge-
bornen Liederfreunde, haben mehr und öster auf die Melodien ihrer
Lieder gesehen und sie haben in der Tat viele derselben so leicht und
natürlich gemacht, daß das ganze Land voll Gesang und Harmonie
geworden ist." Die Vorrede erinnert ferner daran, daß in Frankreich
„die Personen aus der schönen Welt, die Damen von dem seinsten Ver-
stande und die Männer von den größten Talenten ihre Zirkel und
Spaziergänge mit Liedern aufgeräumt erhalten. Wir Deutschen studieren
jetzt die Musik überall; doch in manchen großen Städten will man

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Aunstwart
 
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