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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Vor Weihnachten
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Gregori, Ferdinand: Jahresspiele
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0385

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werde in uns, und davon streuen wir aus als Saat. Fehlten wir,
die Ernte könnte nicht weiter fruchten. Fassen wir auch in diesem
Sinne Weihnachten als das bevorzugte Fest dcr Kindcr, welch weites
Gebiet wieder harrt unser da! Der Krieg um gute Kinderbücher ist
seit Jahren erklärt, und Schriften und Listen dienen uns als Ge-
waffen und Pläne im guten Streit. Dasür zwar, daß endlich die
Himmelstochter Phantasie auch die Schulhüuser segne, können wir gerade
jetzt nicht viel Lun. Um so mehr aber dasür, daß einer ihrer schlimmsten
Feinde aus der Kinderstube verdrängt werde, das modische Svielzeug.
Je mehr die entwickelte Jndustrie von Natur- und Lebensnachahmung
einem Spielzeuge schon mitgibt, je täuschender die Puppe einem Kinde,
der Spielsoldat einer unisormierten Figur aus dem Wachsffgurenkabinette
gleicht, und je mehr das Spielzeug schon selber etwas aussührt, je
weniger taugt es. Das Holzscheit mit der Zeitung als Kleid darum,
das Stück Borke als Schiff, der Sandhausen als Haus besruchten die
Phantasie, der Automat mit dem Uhrwerk im Leibe, die Puppenstube
mit allen Möbeln, peinlichst nachgebildet, darin, der Eisenbahnzug, der
aus einer 8 von Schienen herumläust, als hütt' er die Schöpsdrehe, sie
saugen aus dem Kinderhirne das Blut. Es ist ein Jammer, daß die alten
grobgeschnitzten Holzspielsachen selbst aus den Jahrmärkten immer seltner
werden, Gottlob gibt's aber immer noch Brauchbares genug, um die ff.
Spekulantenware entbehrlich zu machen. Daß beim Spielzeug der wirk-
liche Wert meist im umgekehrten Verhültnisse zu dem Blendwerte steht,
das erschwert zwar sür schwache Gemüter den Kamps, krästigen aber er-
höht es seinen Reiz.

Ja, vor Weihnachten ist's eine schöne Zeit. Vor Weihnachten sind
wir die Verbraucher, die Verbraucher bezahlen, nach den Verbrauchern
richtct sich die Welt. Nützen wir unsre Macht. Mit einem Mal sreilich
ist wenig getan, mit dsr Zeit aber erzwingen sich aus dem Wirtschasts-
markt selbst kleine Gruppen von Einkäusern Rücksicht, und wir
sind keine kleine Gruppe mehr. So wirken wir zwiesach durch nnser Ver-
mitteln: dort, woher wir nehmcn, dort, wohin wir geben. A.

Iabr'esspiele.

Ein Kunstwerk ist ein Mikrokosmos, der, ohne wesentlichen Schaden
zu nehmen, nicht zerteilt werden kann. Jn allen Künsten, außer denen
des Theaters, vermag eine einzige Persönlichkeit Ansang und Ende dieses
Kosmos, sein Jnneres und Aeußeres, das Einzelne unb das Ganze zu
sein. Ein Buch, das Titel und Schluß hat, ein Vild im abschließenden
Rahmen, der marmorne Riese und sein Postament: all das deutet aus
die Selbstherrlichkeit der einzelnen Schöpserindividuen hin. Dem Schau-
spieler ist sie versagt. Er bereitet „sich und andern" nur dann wahr-
hast Vergnügen, wenn er sich mit andern zusammentut und ihnen unter-
ordnet.

Die bildenden Künstler dürsen beim Publikum getrost „gastieren";
wo ihre Werke hinkommen, treten sie als gerundete Arbeit aus. Bücher
und ein gut Teil der Musikalien brauchen keinen Beistand, um genossen
zu werden. Wenn aber der einzelne Schauspieler gastiert, so beansprucht

i. Dezcmberhefi N)02

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