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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 12 (2. Märzheft 1903)
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Batka, Richard: Hugo Wolfs Goethe-Lieder
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Grunsky, Karl: Hugo Wolfs Spanisches Liederbuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0819

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und Astwerk lugen freilich auch ein paar entzückende Melodieensterne
hervor, z. B. „Blumengruß", „Gleich und gleich", „Anakreons Grab"
und „Frühling übers Jahr", aber bemerkenswert bleibt, daß Wols,
wenn er seinen Goethe las, just an den sinnsälligsten Gedichten vorüber-
ging, um die sublime Alterslyrik des „Westöstlichen Divans" (Buch
Suleita) nachzusingen, der versonnenen Keckheit des Schenkenbuches,
den lehrhasten oder betrachtenden Gedichten (zweites „Cophtisches
Lied", „Phänomen", „Beherzigung") Töne zu verleihen und das
Pathologische in den Gesängen aus „Wilhelm Meister" („Harfenspieler",
„Mignon") bloßzulegen. Die lyrische Empsindung ist meist überzart
und macht die mit ihr getränkten Lieder zu einer Kost für musikalische
Feinschmecker. Aus den meisten spricht eine ernste, überlegene Ge-
haltenheit der Seele, doch gibt sich der Humor oft derber, knochiger
möchte man sagen, als in der Mörike-Sammlung („Erschafsen und
Bcleben"). Der Formenreichtum ist größer, von den einfachen, strophi-
schen Melodieenzügen, die z. B. das erste „Cophtische Lied" und „Der
Rattenfünger" ausweisen und die sich nur durch eine wundervolle Har-
monik, sowie charakteristische Rhythmen der Begleitung aus der Sphüre
des Kuplets herausheben — bis zu den freien Alfreskolinien der
Oden („Prometheus", „Ganymed", „Grenzen der Menschheit"), worin
Wols mit Schubert um die angemessene Krast des Ausdrucks ringt.
„Prometheus" ist aus einer großartigen Anschauung beinahe dramatisch
konzipiert: als titanenhaft trotzige Anrede, die der Vertreter der
Menschenwürde zum dräuenden Himmel emporrichtet. Wie da der be-
leidigte Zeus mit weithin grollenden Donnerschlügen dem Gegner
immer zornig ins Wort fällt und dieser darnach unter seinen ohn-
müchtigen Blitzen unerschrocken immer stolzer, zuversichtlicher, hoch
erhobenen Hauptes fortfährt: das ist von überzeugender, fast hand-
greiflicher Bildlichkeit, eben so herrlich gedacht wie ausgeführt. Wie
echt volkstümliche Melodieen Wols zu Gebote stehen, zeigt dawider
das Gelegenheitsstück „Epiphanias"; eine eigentümliche Mischung von
Rokoko- und Tristanstimmung bietet „Die Bekehrte". Am wenigsten
können wir uns für Wolfs Balladen begeistern: der epische Stil liegt
ihm eben serner, und die Menge geistreicher Einzelheiten schließt sich
zu keinem rechten Ganzen zusammen. Die Lieder jedoch müssen in-
telligente Sänger und Musiksreunde, wenn sie sich erst mit Wolfs
„Mörike" vertraut gemacht haben, aber wohl gemerkt: erst nachher
— zu bewültigen suchen. Viele davon gehören zu den bedeutendsten
Wolfs, und das heißt so viel wie: zum Bedeutendsten der deutschen Ton-
lyrik überhaupt. B.

Hugo Molfs 8pani8ckes Oiecierbuek.

Wolss „Spanisches Liederbuch" enthült einen bunten Strauß
von Liedern, die sich bei aller Verschiedenheit doch zu einheitlichem
Aroma verschmelzen. Sie glühen in südlicher Leidenschaftlichkeit, und
die erregteren Lebenspulse schlagen in prickelnden Rhythmen. Ob-
wohl in diesem Liederbuche, das Heyse und Geibel übersetzten, vielerlei
Dichter prangen, außer den Ungenannten z. B. Lope de Vega, Cer-
vantes, Gil Vicente, Louis de Camoens, hat Wols den Geist, der ihnen

2. Märzheft tZvZ

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