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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 3 (1. Novemberheft)
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Grunsky, Karl: Ueber Geselligkeit
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Avenarius, Ferdinand: Die Neue Richtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0167

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tische Schule sind herrliche Beispiele gemeinsamen Philosophierens. Doch
dies sind die äußersten Möglichkeiten. Wir dürsten sroh sein, wenn wir
erst lernten, ein alltägliches Gespräch ohne Entgleisung zu Ende zu
führen. Einstweilen ist der Mitteilsamste noch einem Schisfe zu ver-
gleichen, das durch Unwetter steuert und nur bruchstückartige Laute zur
Verständigung mit den andern Umtreibenden ertönen läßt. Und dabei
leuchtet ja doch die Sonne über diesem Meer, und unsere Schiffe können
einander ohne Gefahr nahekommen. Rarl Grunsky.

vie neue Ricklung.

Or. Paul Goldmann, der Vertreter der ^.Neuen Freien Presse" in
Berlin, hat soeben bei C. W. Stern in Wien ein Buch erscheinen lassen:
„Die neue Richtung, polemische Aussätze über Berliner Theateraus-
sührungen." Vor diesem Buche steht eine höchst merkwürdige Vorrede.
Sie lautet so:

„Die Aussätze, die in diesem Bande gesammelt worden sind, nach-
dem sie vorher während der letzten drei Jahre in der Neuen Freien
Presse erschienen waren, beschäftigen sich größtenteils mit den deutschen
dramatischen Autoren der »neuen Richtung«. Sie machen es sich zur
Ausgabe, an der Hand der letzten Werke dieser Autoren das Fiasko
der »neuen Richtung« nachzuweisen, welche die Erwartungen, die man
an sie geknüpft, gründlich enttäuscht hat.

Der Ansang, vor zehn bis sünfzehn Jahren, war vielversprechend.
Die bedeutenden modernen Künstler und Denker, die in Frankreich, in
den nordischen Ländern, in Rußland erstanden waren, übten ihren Ein-
fluß aus Deutschland aus. Auch hier begann eine Bewegung, die sich
zum Ziele setzte, eine moderne deutsche Literatur zu schaffen. Vor Allem
handelte es sich darum, den neuen Bestrebungen das Theater zu er-
obern, von dem ja heutzutage die stärksten und raschesten Wirkungen
ausgehen. Mit jugendlichem Ungestüm wurde Sturm gelaufen. »Kon-
vention und Routine«, so hieß es, »beherrschen die deutsche Bühne.
Wir aber wollen auf dem Theater das Leben, wir wollen die Wahr-
heit zeigen.« Die Kampagne endete günstig für die »neue Richtung«.
Die Wahrheit ist eben doch eine Macht. So übel ihr auch oft in der
Welt mitgespielt worden ist, so hat sie sich trotz Allem ein Prestige be-
wahrt, dessen Glanz alles andere verdunkelt. Wahrheit ist immer noch
das wirksamste Losungswort, und die »neue Nichtung« siegte, weil sie
mit diesem Losungswort in den Kampf zog. Sie siegte auch deshalb,
weil sie Neues versprach zu einer Zeit, als das Alte gerade alt genug
geworden war. Sie siegte, weil sie die Partei der jungen Generation
war und weil die Jugend immer siegt. Sie siegte endlich, weil die
Verhältnisse ihren Sieg besörderten. Jn Deutschland, das politisch und
wirtschaftlich sich so mächtig entwickelte, empfand man auch das Bedürf-
nis nach einem literarischen Aufschwung. Zum neuen Deutschen Reiche
gehörte eine neue deutsche Literatur. Man brauchte Dichter. »Das
trifft sich gut«, sagten die Autoren derl»neuen Richtung«. »Wir sind
gerade diejenigen, die man braucht. Wir sind nämlich die Dichter.«

Die »neue Richtung« ist durchgedrungen und verfügt seit Jahren
über die deutschen Bühnen. Sie hat uneingeschränkte Freiheit, das Leben,

Novemberheft ^902

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