die Wahrheit auf dem Theater zu zeigen. Und was zeigt sie? Was
hat sie gezeigt?
Sie hat uns zunächst Jbsen gezeigt. Es muß ihr hoch ange-
rechnet werden, daß sie den Dramen des norwegischen Meisters Eingang
aus die deutschen Bühnen verschasfte. Die Uebernahme von Jbsens
Dichtungen in das deutsche Repertoire ist der bleibende Gewinn, den
wir der neuen deutschen Richtung verdanken, deren größte Werke unter
diesen Umständen allerdings gerade diejenigen sind, die sie nicht ge-
schrieben hat. Eine spätere, selbständig und künstlerisch urteilende Lite-
raturgeschichtsschreibung wird vielleicht einmal konstatieren, daß, soweit
Deutschland in Betracht kommt, mit Jbsen die neue Richtung be-
gann und daß sie mit ihm ihren Gipfel erreichte. Keiner von Denen,
die ihm nachstrebten, hat ihn erreicht, geschweige übertroffen. Er zuerst
hat Menschen unserer Zeit aus das Theater gebracht, er zuerst hat
Fragen unserer Zeit auf der Bühne behandelt, er zuerst hat etwas vom
Jdeengehalt unserer Zeit in die eherne Form seiner Dramen gegossen;
und man hat den Eindruck, als habe er das Alles nicht nur zuerst,
sondern als habe er es auch allein getan, wenn man das, was er
geschafsen, mit den Hervorbringungen Derer vergleicht, die nach ihm
gekommen sind. Jn Jbsens Dramen, mehr als in allen anderen, ist
das Leben unserer Zeit lebendig geworden. Die Jahre, unsere Jahre,
vergehen, und aus ihrem Strome ragt, schon in einiger Ferne gesehen,
immer höher und immer einsamer diese dichterische Größe aus. Jbsen
ist der moderne dramatische Klassiker.
Jbsen war der Bahnbrecher; und die deutsche »neue Richtung«
solgte ihm auf den Wegen, die er freigelegt hatte. Die deutschen Schrist-
steller suchten von ihm die Behandlung des Stosfes, den Dialog, die
ganze Technik des modernen Dramas zu lernen. Die Talente, die an
dieser Literaturbewegung teilnahmen, waren von ganz verschiedener Art;
und das gemeinsame Merkmal aller Schriftsteller der »neuen Richtung«
war weniger die Richtung als die Neuheit. Jmmerhin war, wenigstens
in den Anfängen der Bewegung, auch eine künstlerische Richtung vor-
herrschend, nämlich die naturalistische. Auf diese neuen deutschen
Dramen hatte der französische Naturalismus ganz besonders eingewirkt.
Und auch das ist ein Argument gegen die Behauptung, daß die deutsche
»neue Richtung« ausschließlich unter dem Einsluß Jbsens gestanden habe.
Es sind nämlich andere Einslüsse noch stärker gewesen als derjenige
Jbsens.
Der neudeutsche Naturalismus hat ein schönes Werk hervorgebracht:
Gerhart Hauptmanns »Weber«. Dieses Drama hat Gerhart Haupt-
mann noch als Dichter geschrieben, nicht als Literat. Er hat innerliche
Erlebnisse in ihm zum Ausdruck gebracht: Heimatsempfindungen und
ein jugendlich warmes Mitgefühl mit den Armen und Elenden. Denn
das und das allein macht ja den Dichter: innerlich Erlebtes, das
nach Gestaltung drängt. Ein solches Drängen ist in den späteren
Dramen von Hauptmann (Stellen aus dem »Hannele« vielleicht aus-
genommen) kaum jemals wieder zu spüren. Möglicherweise vermag auch
die Kraft der Gostaltung dem Wunsche nach Gestaltung nicht mehr zu
folgen. Jedenfalls ist der Drang, aus dem heraus namentlich die
letzten Stücke Hauptmanns geschrieben sind, der Drang des Schrist-
Runstwart
hat sie gezeigt?
Sie hat uns zunächst Jbsen gezeigt. Es muß ihr hoch ange-
rechnet werden, daß sie den Dramen des norwegischen Meisters Eingang
aus die deutschen Bühnen verschasfte. Die Uebernahme von Jbsens
Dichtungen in das deutsche Repertoire ist der bleibende Gewinn, den
wir der neuen deutschen Richtung verdanken, deren größte Werke unter
diesen Umständen allerdings gerade diejenigen sind, die sie nicht ge-
schrieben hat. Eine spätere, selbständig und künstlerisch urteilende Lite-
raturgeschichtsschreibung wird vielleicht einmal konstatieren, daß, soweit
Deutschland in Betracht kommt, mit Jbsen die neue Richtung be-
gann und daß sie mit ihm ihren Gipfel erreichte. Keiner von Denen,
die ihm nachstrebten, hat ihn erreicht, geschweige übertroffen. Er zuerst
hat Menschen unserer Zeit aus das Theater gebracht, er zuerst hat
Fragen unserer Zeit auf der Bühne behandelt, er zuerst hat etwas vom
Jdeengehalt unserer Zeit in die eherne Form seiner Dramen gegossen;
und man hat den Eindruck, als habe er das Alles nicht nur zuerst,
sondern als habe er es auch allein getan, wenn man das, was er
geschafsen, mit den Hervorbringungen Derer vergleicht, die nach ihm
gekommen sind. Jn Jbsens Dramen, mehr als in allen anderen, ist
das Leben unserer Zeit lebendig geworden. Die Jahre, unsere Jahre,
vergehen, und aus ihrem Strome ragt, schon in einiger Ferne gesehen,
immer höher und immer einsamer diese dichterische Größe aus. Jbsen
ist der moderne dramatische Klassiker.
Jbsen war der Bahnbrecher; und die deutsche »neue Richtung«
solgte ihm auf den Wegen, die er freigelegt hatte. Die deutschen Schrist-
steller suchten von ihm die Behandlung des Stosfes, den Dialog, die
ganze Technik des modernen Dramas zu lernen. Die Talente, die an
dieser Literaturbewegung teilnahmen, waren von ganz verschiedener Art;
und das gemeinsame Merkmal aller Schriftsteller der »neuen Richtung«
war weniger die Richtung als die Neuheit. Jmmerhin war, wenigstens
in den Anfängen der Bewegung, auch eine künstlerische Richtung vor-
herrschend, nämlich die naturalistische. Auf diese neuen deutschen
Dramen hatte der französische Naturalismus ganz besonders eingewirkt.
Und auch das ist ein Argument gegen die Behauptung, daß die deutsche
»neue Richtung« ausschließlich unter dem Einsluß Jbsens gestanden habe.
Es sind nämlich andere Einslüsse noch stärker gewesen als derjenige
Jbsens.
Der neudeutsche Naturalismus hat ein schönes Werk hervorgebracht:
Gerhart Hauptmanns »Weber«. Dieses Drama hat Gerhart Haupt-
mann noch als Dichter geschrieben, nicht als Literat. Er hat innerliche
Erlebnisse in ihm zum Ausdruck gebracht: Heimatsempfindungen und
ein jugendlich warmes Mitgefühl mit den Armen und Elenden. Denn
das und das allein macht ja den Dichter: innerlich Erlebtes, das
nach Gestaltung drängt. Ein solches Drängen ist in den späteren
Dramen von Hauptmann (Stellen aus dem »Hannele« vielleicht aus-
genommen) kaum jemals wieder zu spüren. Möglicherweise vermag auch
die Kraft der Gostaltung dem Wunsche nach Gestaltung nicht mehr zu
folgen. Jedenfalls ist der Drang, aus dem heraus namentlich die
letzten Stücke Hauptmanns geschrieben sind, der Drang des Schrist-
Runstwart