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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 11 (1. Märzheft 1903)
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Göhler, Georg: Felix Draeseke als Liederkomponist
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0760

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felia: Vraeseke ais Lieäerkornponisl.

Bereits vor längerer Zeit, als der Kunstwart (XIII, 11) ein Lied
von Felix Draeseke als Notenbeilage brachte, haben wir ver-
sprochen, unsern Lesern von dem gesamten Schassen des Komponisten
ein Bild zu geben. Da der Stofs sehr reich ist und die geringe
Beachtung, die die meisten der in Betracht kommenden Werke bisher
gefunden haben, zur Beseitigung manches Vorurteils zwingt, so greifen
wir zunächst einmal nur ein Gebiet heraus, zu dem Draeseke fast wäh-
rend seiner ganzen bisherigen Tätigkeit immer wieder zurückgekehrt
ist und das sich darum wohl gesondert betrachten läßt, das Gebiet
der L i e d k o m P o s i t i o n.

Die letzten zwanzig Jahre haben bekanntlich gerade in der Ent-
wicklnng des deutschen Liedes eine außerordentliche Bedeutung ge-
wonnen und dieser Kunstgattung bei der Kritik wie beim Publikum
ein sehr reges Jnteresse verschafft. Unsere Künstler haben durch immer
größere Vertiefung der Programme ihrer Liederabende gleichfalls mit-
geholfen und die jüngeren Komponisten haben wieder die günstige
Strömung benutzt und eine solche Menge musikalische moderne Lyrik
produziert, daß es kaum noch möglich ist, das ganze Feld zu über-
sehn. Nimmt man Brahms, Wolf und Strauß als die drei be-
kanntesten, in vielen Einzelheiten typischen Erscheinungen, um die
sich die anderen Nngefähr gruppieren lasfen, so wird man doch auch,
wenn fich's um die Beurteilung eines neueren Liederkomponisten han-
delt. nicht die Wieder-Entdeckung, in vielen Fällen fogar überhanpt
erst Entdeckung Franz Schuberts als des Liedersängers an sich ver-
gessen dürfen, um alle Verbindungslinien nach rückwärts und seit-
wärts zu erhalten. Und gerade bei Draeseke braucht man diese
Linien, die auch in die Vergangenheit führen. Wenigstens bei feinen
Liedern. Seine musikalische Entwicklung geht zwar auf Berlioz und
Liszt zurück, für deren freiere Kunst er fehr früh eintrat. Aber nicht
nur wegen seiner Persönlichkeit, seiner ganzen Geistesrichtung und
Weltausfafsung, sondern vor allen Dingen auch infolge seiner sehr
großen Beherrschung der rein musikalischen Technik hat ihn die Nach-
folge Liszts nicht in das Lager der ausschweifenden Moderne ge-
führt, sondern einen neuen Typus des modernen Musikers geschaffen,
der darum zunächst unbeachtet bleiben mußte, weil er in keiner Weise
durch die extreme Richtung seines Schaffens auffiel, den Nenen zu
altmodisch, den Philistern zu eigenartig erschien.

Wir werden bei der Beschäftigung mit den größeren Werken
Draesekes aus diesen Grundzug seiner Kunst zurückkommen und legen
heute lieber dar, was Sänger und Hörer von feinen Liedern zu er-
warten haben, welche davon befonders fchön oder charakteristisch für
ihren Schöpfer find und warum und worin sie ihre Schwächen haben.

Es ist eine alte Kritikerweisheit, und zwar eine von den wenigen
guten, das Wesen eines Liederkomponisten im allgemeinen zunächst
dadurch festzustellen, daß inan sich seine Dichter ansieht. Auch bei
Draeseke führt das schon zu einem vorläufigen Resultat. Eichendorff,
Geibel, Rückert, Heine, Kopifch, Tieck, Kinkel, Baumbach, Nordryck,
C. F. Meyer, das find die wesentlichsten Namen. Also: „altes, ro-

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