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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1903)
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Erdmann, Karl Otto: Unklare Schlagworte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0749

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16. DNir6. KlNKMklN. «k7711.

dnklsre 8cklagworte.

Ueber ästhetische Theorieen und Prinzipien kann man tagtäglich
die abfälligsten Urteile hören: bei ihrer Behandlung komme ja doch
nichts heraus, man locke mit ihnen keinen Hund vom Osen, oder
wie die Redensarten sonst lauten, mit denen man so bequem alle
Gedankenkreise abtun kann, denen man ohne Teilnahme oder auch
gänzlich verständnislos gegenübersteht.

Aber es ist viel leichter gesagt, als getan, aus alles Grundsätz-
liche und Theoretische zu verzichten, und nur das souveräne und un-
fehlbare Gesühl, den künstlerischen Jnstinkt walten zu lassen. Es ist
wirklich nicht so einfach, gar keine Prinzipien zu haben. Auch Bis-
marck hat einmal die Ueberflüssigkeit aller Grundsätze in der Politik
versochten: Politiker mit Grundsützen seien Menschen, die mit langen
Stangen quer vor sich durch dichten Wald kommen wollten. Aber
der eiserne Kanzler, der von sich sagte, er sei königstreu bis in die
Waden, würde wohl verwundert ausgeblickt haben, wenn man ihn
gefragt hätte, ob er aus Prinzip oder aus Zweckmäßigkeitsgründen
den Monarchismus verfechte. Und es wäre gewiß nicht schwer, noch
zahlreiche andere politische Grundsätze anzusühren, die er nicht nur
in Wort und Schrist als solche anerkannt, sondern die er auch Zeit
seines Lebens treulich befolgt hat. So habe ich auch auf ästhetischem
Gebiete dic Erfahrung gemacht, daß gerade jene, die geslissentlich Theo-
rieen und Prinzipien abzulehnen oder zu verachten behaupten, daß
Rezensenten und Feuilletonisten, daß Künstler und Kunsthistoriker, daß
aber auch das Publikum, das in Konzertsälen, Theatersoyers und Ge-
sellschaften über genossene Kunsteindrücke in Worten sich Lust macht,
daß alle diese theoretischen Verächter der Aesthetik doch ununter-
Lrochen letzte ästhetische Fragen berühren, daß sie sich immerzu auf
ästhetische Prinzipien berusen oder sie doch als die Grundlagen ihrer
Urteile und Bewertungen voraussetzen. Und wenn sie sich dieser Tat-
sache nicht bewußt sind, so liegt das daran, daß ihnen jene Grund-
sätze so selbstverständlich und allgemein gültig erscheinen, daß sie gar

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