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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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Schubring, Paul: Die Natur bei Richard Wagner, [1]
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0716

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Die drei Naturbilder des Parsifal haben jedesmal ein Gegenstück
in drei Architekturen; dem offenen Plan stellt sich die gefchlossene
Halle zur Seite. Jm ersten und dritten Akt ist es der Gralstempel,
im zweiten Klingsors Zauberschloß. Wie in den Naturbildern, so
stehen sich auch in den Architekturen die Gegensätze schroff gegenüber.
Die weiträumige Kuppelhalle des Gralstempels, dem Dom Sienas
nachgebildet, feierlich glühend im Gold der Wände nnd dem Sternen-
blau der Wölbung, durchgossen von dem milden Rotseuer der glühen-
den Schale, ist in allen Stücken das Gegenbild jener finsteren, düsteren
Torburg, in der ein Entmannter sein scheußliches Werk treibt. Dort
eine feiernde Gemeinde, brndergetreu und verbunden in reiner Art,
voll treuen Glaubens den Gral verehrend; hier ein Einsamer, der
gewaltsam die wütenden Triebe zum Todesschweigen gebracht hat nnd
doch die Rnhe nicht finden kann, sondern machtgierig sich verzehren
muß.

-k-

-i-

Schon aus diesen Beispielen, dem Holländer und dem Parsifal
entnommen, geht deutlich hervor, daß die Scene bei Wagner viel
mehr als Situation ist. Sie hat etwas Persönliches an sich. Gaea
taucht aus, um ihren Kindern Krast und Bodenständigkeit zu geben.
Die tiefen Gewalten des Bodens bekommen einen Mund und singen
ihr Preislied herunter. Meer und Au, Tal und Küste stehen vor uns
wie selbständige Größen. Das Duett zwischen Senta nnd Erik erweitert
sich zu dem Quartett Senta-See, Erik-Wald. Waldsee und Blumenau,
Zaubergarten und Zauberschloß im Parsifal sind Wirklichkeiten von
zeugender Kraft. Alles ist auf den höchsten Ausdruck gebracht, alles
Allgemeine vermieden, alle bloße Stimmungsmalerei abgelehnt. Kunst
als Ausdruck — das bekräftigen auch Wagners Naturbilder. Wir
werden unwillkürlich zur bildenden Kunst der Gegenwart geführt; es
kann nicht zweiselhaft sein, daß Hans Thomas Landschasten mit ihrem
tiesen seelischen Gehalt, der sie von den ganzen modernen Stimmungs-
landschaften unterscheidet, Wagners Naturbildern am nächsten kommen.
Wenn wir serner das Blumenleben des Zaubergartens in den Blumen-
mädchen inkarniert sehen, so stehen wir sofort Böcklins Landschaften
nahe, deren Ausdruck sich im Pan, Centaur, in Nixen und Blumen-
mädchen verkörpert. Überall sehen wir eine Konzentration der künst-
lerischen Mittel auf eine höchste Klarheit des Ausdrucks. Man könnte
hier auch sür die Landschaft von dem Prinzip des Leitmotivs reden,
in dem das Allgemeine ein scharf umrissenes Prosil bekommt und das
lebendige Spiel der Linien und Farben zum swäzisen Ausdruck ge-
zwungen wird. Alle große Kunst ist bodenständig gewesen und hat
Land und Leute bündig gestaltet. Gerade die deutsche Kunst weist
aber allzuviel Etappen des Jmports auf und bat an den Folgen
solcher Entwurzelung schwer zu tragen gehabt. Wagner hat den deut-
schen Kunsttrieb wieder tief in die deutsche Erde versenkt und ihm da-
durch seine vornehmste Lebenskraft gesichert. paul Schubring.

(Schluß folgt.)

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