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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 12 (2. Märzheft 1903)
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Grunsky, Karl: Hugo Wolfs Spanisches Liederbuch
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E. R.: Hugo Wolfs Michelangelo-Lieder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0822

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„Sagt ihm, daß er zu mir komme", „Bitt' ihn, o Mutter", „Liebe
mir im Busen zündet", „Schmerzliche Wonnen" und das großartige
„Geh', Geliebter, geh' jetzt"; in „Wehe der, die mich verstrickte" ist
die Eifersucht nicht ohne komische Würze geschildert. Eine Sonder-
stellung haben die beiden Lieder: „Alle gingen, Herz, zur Ruh'" und
„Tief im Herzen trag ich Pein" durch die abgedämpfte Farbengebung,
die verhaltene Glut und durch die eigentümlich orchestrale Phantasie
dcr Klavierbegleitung.

Wolf hat jedem seiner Liederzyklen eine Anzahl übermütiger
Jmprovisationen dreingegeben. Als solche fassen wir hier ans: „Herz,
verzage nicht geschwind", „Eide, so die Liebe schwur", „Sagt, seid
ihr es, feiner Herr", „Deine Mutter, süßes Kind", „Da nur Leid
und Leidenschaft". Diese Lieder, Zeugen ausgelassen humoristischer,
ja sarkastischer Stimmungen, sind im Spanischen Liederbuch als lustige
Erholungen von durchbohrendem Ernst, auch als Gegenstücke zu den
leidenschaftlichen und zärtlichen Schöpfungen ganz am Platz. Unbe-
dentend ist keins von ihnen; wessen Genius reine Goldadern ent-
deckt hat, dem kommt es nicht vor, daß er nach gelbem Kupfer
schürfen muß und es zu Talmi verarbeitet! Rarl Grunsky.

!)ugo Molts Mickelangelo-Liecier.

Hugo Wolfs Michelangelo-Lieder, diese drei Sonette Michelangelos,
für eine Baßstimme nnd Klavier noch f897 knapp vor der geiftigen
Umnachtung Hugo Wolfs vollendet, zeigen den Meister auf der Höhe
seines Schaffens. Er hat in musikalischer Hinsicht wohl Reicheres und
Tieferes geschrieben als fie, aber meines Erachtens nichts, was an Reife
und Größe der geistigen Auffaffung an feine Michelangelo-Lieder, wenig-
stens an die beiden ersten heranreichte. Man möchte geradezu sagen,
daß ihr Urheber damit seine Rechnung mit der Welt geschloffen haben
müffe. Will man die Gemütsstimmung fich vorstellen, woraus diese
„ernsten Gesänge" sließen, so denke man an den Michelangelo, wie er
etwa im letzten Stücke der Gobineauschen „Renaiffance" erscheint. Aus
diesem Munde gewinnt z. B. die milde Refignation, die ftille Ergebung
in das Naturgesetz, die verklärte, wehmutsvolle Rückschau in dem Liede
„Alles endet, was entstehet" erst die rechte Bedeutung. Wir teilen dieses
Lied in der Notenbeilage mit, und so fei zunächst ganz allgemein auf
die einem „Greisengesang" entsprechende Müdigkeit des Ausdrucks, auf
die meisterhafte Behandlung der Singstimme, die mit scharfer Deklamation
und breiter Gesangsmelodie jede Wendung des Gedichtes wiedergibt,
aufmerksam gemacht. Der ganze Bau wächft merkwürdig organifch aus
einem einfachen Grundmotiv heraus, das sich aus ftockenden Ansützen
im Baffe durchringt, dann mit vergrößerten Notenwerten die ersten vier
Takte des Gesanges begleitet, um hierauf, zur Viertelbewegung verkürzt,
in doppelter Rhythmifierung sich mit sich selbst zu umschlingen. Bei
„Wie ein Duft im Windeshauch" nimmt es unter fchwebenden Syn-
kopen eine neue rhythmische Nuance an und erblüht bei „Menschen waren
wir ja anch u. s. w." zu einer unfagbar ergreifenden Melodie. Hier ist
die Spitze des Ausdrucks. Die darauf folgende rückläufige Entwickelung,
Nmkehrung und Verflüchtigung oder Wiederkehr der früheren Gestalt

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