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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1902)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Kunstgenuß und helfendes Wort
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0019

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Uunstgenuh uncL belkenäes Mort.

Kürzlich schickte ein abonnentenjagdkundiges Blatt seinen Lesern
einen „Führer durch die Berliner Kunstausstellungen" mit ins Haus, ein
Hestchen, das neben Plänen eine gedrängte Rezension der ausgestellten
Werke enthielt. Dagegen wandte sich ein Maler. Aus Büchern begreife
man keine Kunst, so schrieb er, Kunst wolle empsunden sein; gebe man
von vornherein ein Urteil mit, so nehme man dem Beschauer die Unbesangen-
heit, dem Kunstwerk aber schmälere man seinen erzieherischen Wert. „Nein:
vor dem Kunstwerk hat die Kritik zu schweigen und erst zu dem zu
sprechen, der das Werk schon in sich ausgenommen hat." Wem geben
wir nun Recht, der Zeitung oder dem Maler? Oder war keiner im
Recht? Oder jeder ein Stück weit? Das interessiert uns viel mehr, als
an und für sich der Streit, ob dieser eine Ausstellungssührer von Nutzen
war oder nicht. Denn eine weit allgemeinere Frage wächst dahinter
aus. Wann kann überhaupt das gesprochene Wort dem Kunstgenuß
wirklich sörderlich sein?

Jch habe neulich im Museum einen Vater gesehen, der hatte zu
Studentenzeiten ein Kolleg über Kunst gehört, trug noch einige Reiser von
dort her bei sich und suchte davon dem Sprossen auszupfropsen, der neben
ihm stand. Ein Dürer. „Junge, sieh dir hier das mal an, das ist sehrschön!"
Ein Rasfael. „Junge, steck' mal die Nase hierher, das ist auch sehr
schön!" Der Junge staunte, der Alte sahndete nach weiteren Namen, die
er kannte, wer dabei war, dem kam ein Lücheln an. Gibt aber dem
Publikum das übliche Rezensieren viel mehr? Kann es viel mehr geben,
als abgekürzte Urteile? Jch fürchte, der opponierende Maler hat Recht.
Sagt er jedoch serner: „die Kritik hat erst zu dem zu sprechen, der das
Werk schon in sich aufgenommen hat/ so trifft das ohne weiteres nur zu,
wenn er unter Kritik ein Zensieren versteht. Denn es gibt manche, die
ohne ein führendes Wort zur „Aufnahme" manchen Werks überhaupt
kaum kommen. Und es sind ganz verschiedenartige Tätigkeiten, die sich
heutzutage in einer Rezension zusammenfinden, wie Fleisch, Krebsnase
und Ueberguß in einem Ragout.


z. Gktoberheft zp02
 
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