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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 11 (1. Märzheft 1903)
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Schubring, Paul: Die Natur bei Richard Wagner, [2]
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0774

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Menschen und Götter tot sind, glühen und rauschen die Elemente fort
und harren anf die Zeit, wo Menschenkinder mit lieben Augen und
frohen Sinnen wieder dem Spiel und Sang der Rheintöchter um
ihr nicht mehr umgeiztes Gold lauschen. Ein neuer Hrmmel und
eine neue Erde, so lautet auch hier die Eschatologie. Es ist der große
Hofsnungsgedanke aller Religionen. paul Schubring.

Klättsr.

-lus Gorkis „hkacblberberge".

V o r b e m e r k u n g. Es ist ganz merkwürdig, welch tiesen Ein-
druck Gorkis „Nachtherberge" im Kleinen Theater zu Berlin gemacht hat.
„Es gibt kein schlechteres Drama als dieses, es giüt kein unmöglicheres
Theaterstück," schrieb Julius Hart darüber, „die Zuhörer schienen
einige Male vor Ungeduld zu vergehen. Nur schade: dieses schlechtefte
der Theaterftücke erzielte einen fast beispiellosen Erfolg — den tiefsten,
den echtesten Erfolg dieser Spielzeit. Maxim Gorki, der ungeschickteste
der Bühnenmenschen, siegte vollkommen — entscheidend über Maeter-
linck, wie über Hauptmann. Er zeigte mit unwiderleglicher Bestimmt-
heit, wie wenig zuletzt alle Technik in der Kunst bedeutet, wie eins
Poesie, die im Menschlichen wurzelt, alle Kunststücke wie Karten-
häuser umweht, und alle dramaturgischen Schulmeistereien wegfegt.
Es war der große Sieg einer Kunst, die vor allem andern Religion
ist." Schönhoff urteilt, wie unsre Leser wissen, nicht ganz so über-
schwänglich, aber als von einem mächtigen Eindruck sprach auch er,
und immer noch sind die Berliner Zeitungcn der Erinnerungen an
Gorkis „Nachtherberge" voll. Es freut uns, unsern Lesern zu den
Urteilen die Anschauung durch eine eigene Verdeutschung wohl des
wichtigsten Stückes aus diesem Werk bieten zu können.

Eine regelrecht dramatisch sich entwickelnde Handlung hat es
nicht. Jn die elende Herberge, die der alte Kostylew, sein verbrecher-
isches Weib Wassilissa und ihre brave jüngere Schwester Natascha ver-
sorgen, ist ein Haufen Verstoßener in Schuld und Schicksal aus den
verschiedensten Lebenskreisen zusammengespült worden, und eine Schil-
derung des Jnnersten dieser Menschen, eine Schilderung voll heiligeu
Mitleids ist der eigentliche Gehalt des Werks. Da ist Kleschtsch, der
Schlosser, der sich eben noch bei der Arbeit hält, dessen Frau im ersten
Akt stirbt, und der nun auch „versallen" ist; da ist Pepel, der Dieb,
der in der Liebe zu Natascha wieder ehrlich werden möchte; da ist
der verkommene Baron und der verlumpte Schauspieler, der sich schließ-
lich erhängt; da ist Bubnow, der ehemalige Mützenmacher und jetzige
Qnartalssäufer, den seine Frau um alles gebracht hat; da ist Nastja,
die arme junge Dirne, die sich selber was vorlügen muß, damit sie
nur etwas Schönes hat; da ist der Satin, der Totschlüger, der im
Gesängnis das Falschspielen gelernt hat, von dem er nun leüt —
alles hilflose Meiischen und alle mit dem Sehnen nach der Sonne im
Herzen, die ihnen vor langem einmal oder auch nie geschienen hat.
Zu diesen allen nun tritt plötzlich ein seltsamer Alter, Luka, der
„Pilger", ein Mensch voller Güte — „weil sie mich tüchtig geklopst
haben," sagt er, „darmn bin ich weich." Jm ersten Akt taucht er

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