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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunsthandwerks für 1903, [11]: Jugendbücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0365

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Jllustration von Ludwig Richter.

Aus Bechsteins Märchenbuch (Leipzig, Georg Wigand).

Iugenäbllcder.

Natürlich gilt auch dieses Jahr, was im vorigen Jahre galt: mit dem Wort
„literarisch" darf man's bei Jugendschriften nicht streng nehmen, wenn man sich nicht
auf ganz wenige Bücher beschränken will. Ohne Vergleich den meisten Büchern, die
eigens für Kinder geschrieben sind, sieht man die Absicht und damit die Mache an,
ihnen fehlen die roten Backen. Nur was wirklich ein Dichter geschrieben hat, hat ja
diese Zeichen des vollen Lebens: Storms „Pole Poppenspäler" tut's, der Marie Ebner-
Eschenbach „Hirzepinzchen" tul's, Roseggers Jugendschilderungen tun's, und die besten
Schriften der Spyri und des Jtalieners Edmondo de Anucis feines Buch „Herz".
Wer seinem Kinde mit einem Buche nicht bloß den lärmenden Mund oder die unge-
bärdigen Glieder stillen will und wer's verschmäht, ihre Phantasie auch um den Preis
der Verrohung und Verwilderung zu beschäftigen, wer ihnen mit dem Lesen eine
Quelle der Kraft und der Lebensfreude erschließen will, der wird über jene Werke hinaus
sehr vorsichtig wählen müssen. Er schaue sich um in der Literatur der echten Künst-
ler, d. h. der Männer, die wahr empfundenes Leben wahrhaflig gestalteten. Und
anderseits: er schaue sich um in der Literatur der echteu Gelehrten, d. h. der
Männer, die wirklich der Sache wegen schrieben. Wo der eine und der andere päda-
gogisch begabt war, leicht und klar darzustellen wußte, und wo sein Stoff ihn nicht
über die Lebensgebiete der Jugend hinauswies, da ist brauchbare Jugendliteratur —
künstlerische oder belehrende.

Wer nach solchen Grundsätzen auswählt, kann freilich keinen bogenstarken
Katalog bieten. Aber eine der traurigsten Ursachen der Verflachung, die nicht selten
schon in der Jugend ihren Ursprung hat, ist ja eben die Vielleserei. Sollte sie nicht
auch am sichersten behoben werden, wo Eltern und Kinder sich an demselben Kunst-
werk erfreuen können? Wer einmal mit einem jungen Freunde vor eine Landschaft
getreten ist, deren Zauber er schon als liebe Erinnerung in sich trug, wird zustimmen.
Gemeinsames Erlebnis bedeutet hier Vertiefung für beide Teile. So ist denn
der geringe Umfang der folgenden Auswahl gewollt.

Wenn in Deutschland überhaupt die meiften Bücher zu Weihnachten gekauft


2. Novemberheft ^902

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