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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1903 )
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Zum Fastnachtshefte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0631

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Wieder ein Fastnachtshest? Ja, wenn wir dreiundzwanzia mal im
Jahre ehrbar auf den Schienen dahinfahren, e i n mal im Jahre mnsfen
wir aus den Schienen hinaus! Es ist ohnehin ein Leiden, daß wir
Deutschen bloß im Süden und am Rheine das bischen Fasching
haben. Die Gegenfatze machen die Farbe, meinte Meister Böcklin,
aber sie machen ja alles im Leben erst klar. Wem der Ernst
Freude machen soll, dem muß es auch mit dem Frohsein Ernst sein.

Neulich war in den Zeitungen zu lesen, wie ein armer Gesell
an seine Ortsobrigkeit eine ziemlich schalkhaft abgesaßte Eingabe um
Aufbesserung seiner Lage gerichtet habe, und wie sie ebenso heiteren
Tones bewilligt worden sei. Heiterer Ton in der Eingabe an eine Be-
hörde, lustiger Ton in der Antwort einer Obrigkeit — deutsche Welt,
stehst du still? Aber ein Gefühl davon, daß dies etwas Erfreuliches
sei, war denn doch noch da: die abdruckenden Zeitnngen freuten sich
des „prächtigen Humors" der Beteiligten. Sonst wird ja bei uns
der Humor aus dem ösfentlichen Leben seit lange als lästig gewor-
dener Fremder ausgewiesen. Noch als ich Knabe war, kam's vor,
daß bei einem offiziellen Ein- oder Auszug der Fahnenschwenker und
der Hanswurst vor den gefeierten Leuten hersprang — nun ist's auch
mit diesem letzten Restchen einer sideleren Zeit vorbei. An die Stelle
der Fröhlichkeit ist in die amtliche Welt eine viel respektablere Göttin
getreten, die „Würde", ihr Mann ist der Geist der Haby-Barttracht
„Es ist erreicht", und aus ihrem Hausaltar steht angebetet das Korrekte.
Feiern ein paar Jungen einen alten Brauch, die Diener der Ge-
rechten kommen und verbieten den ruhestörenden Lärm. Legen zwei
Zimmerleute auf einem Neubau einem Neugierigen eine Leine um,
sagen sie ihren Spruch vom „Binden" dazu und verlangen was zum
Trinken als Lösegeld — die Diener der Gerechten verbieten das als
Betteln. Schuljungen, die mit Lampions vom Schnlfest heimzogen,
wurde in meinem Nachbarorte der Marschgesang dazu verboten. Abi-
tnrienten, die nach einem alten Ortsbrauch einen halben Tag lang

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