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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 3 (1. Novemberheft)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0199

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in Leine Arme gelockt hat, atmet von deinen Lippen: laß uns lieben und selig
sein! Aber horch! es ist ein anderer Ton laut geworüen und ich muß mich
über den Rand des Schiffes beugen, um dem Chor üer Untergegangenen zu
lauschen, üie das Tränenlied ihres Schicksals singen.

O Lisabella, was wird aus dir und mir, wenn mein Herz deine Stimme
überhört! Jch weiß nicht, warum ich mich nicht in deine Arme werfe; wa-
rum ich weinen muß, wenn ich an dich denke!

Runäscdäu.

^rrerLrur.

G „Die Hochze it" von Ludwig
Thoma (München, Albert Langen).

Meines Erachtens sind diejenigen
Bewunderer Thomas, die seinen ge-
pfefferten Bosheiten üie bittre fittliche
Entrüstung eines Wahrheitsbekenners
zu grunde legsn, nicht weniger im
Jrrtum, als jene Leute, die bloß
einen witzelnden Journalisten in ihm
sehen wollen. Jst seiner Satire Ge-
halt nicht tiefgründig genug, als daß
man sie ganz und gar ernft nehmen
könnte, ohne Thoma zugleich be-
denklich gering einschätzen zu müffen,
so zeugen sie andrerseits nicht nur von
Laune und Uebermut, sondern auch
von einer ganz ausgesprochenen Jndi-
vidualität in der Art ihrer Betrachtung
sowohl, wie in ihrer ästhetischen Aus-
ürucksweise. Nicht üaß ich, wie gesagt,
die Bedeutung Thomas allzu hoch
einschätzen könnte, aber bedeuten tut
er etwas, das muß man gegenüber
den vielen hitzköpfigen Moralisten nach-
drücklich betonen, ja er bringt zweifel-
los Neues in ganz eigner Weise auf
einigen Kleingebieten unsres ästheti-
schen Lebens hervor. So ist Thoma
z. B. der erste gewesen und bis jetzt
der einzige geblieben, der dem, was der
Durchschnitt unsrer Krieger als Poesie
empfindet, in seinen Soldatenliedern
mit köstlich echt nachahmendem Humor
Ausdruck gegeben hat, jener ganz selt-
samen Mischung von Anklängen ans
Volkslied mit besonders weihevoll be-
handelten Brocken „gebildeter" Papier-
poesie, wobei immer wieder unver-
sehens eine Natürlichkeit höchst reali-
stischer Art sich mit einstellt. Vor allem

aber besitzt Thoma eine ganz verblüf-
fende Beobachtungsgabe für die Land-
leute der verschiedenen baprischen
Gaue, eine Beobachtungsgabe, die viel
zu viel menschliches und künftlerisches
Vergnügen am charakteriftisch Derben
ihres Gegenstandes hat, als daß sie auf
einer bloßen Verstandesfähigkeit be-
ruhen könnte. Freilich bleibt Thoma
auch hier bei den Aeußerlichkeiten:
weit über das hinaus, was er mit
eigenen Augen gesehen und init eigenen
Ohren gehört haben kann, weiß er im
Seelenleben seiner Geschöpfe nicht zu
deuten; ja selbst in dem, was er gibt,
sinden wir unter den für den Durch-
schnitt typischen Zügen kaum solche
individueller Natur. So auch in der
„Hochzeit", einer breiten Zustands-
darstellung, die den „Kuhhandel" beim
Zustandekommen ländlicher Ehen für
vorurteilslose Leute sehr ergötzlich schil-
üert. Humorvoll schildert, nicht kari-
kiert, wie jeder unbefangene Kenner
ländlicher Verhältnisse zugeben wird.
Nur bleibt die Schilderung Thomas
auch hier bei einer Seite; er behandelt
bloß den „Pakt" und scheint darüber
vollständig zu vergefsen, daß fich auch in
den derbsten und profitnüchternsten
Bauern und Bäuerinnen bei solchen
Gelegenheiten noch andere Gefühle
rcgen, die deswegen gar nicht so sehr
viel zierlicherer Art zu sein brauchen.
Auch ist für mein Empfinden üie Ge-
schichte zu lang; nicht daß ich Thoma
aus der Art seines Erzählens einen
ästhetischen Vorwurf machen könnte,
nur erscheint mir persönlich das
Problem, wie es sich Thoma ge-

tSL

Novemberheft ;902
 
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