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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1902)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0413

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RLmckscdAN

LilsrÄtur.

Björnson wird nun sisbzig
Zahre alt. Wir haben oft genug über
ihn und von ihm etwas gedruckt, es
hätte nicht viel Sinn, ihn heute in
eigenem Festartikel zu „würdigen".
Für unser Schrifttum ist Björnson der
Frühere wie Björnson der Jetzigs
rvertvoll. Björnson dem Früheren,
dem DichterderBauernnooellen, kommt
die Zeit der erblühenden Heimatskunst
ja besonders entgegen. Björnson der
Spätere hat zusammen mit Jbsen in
einer Zeit, die an üeutschen Drama-
tikern leider arm ist, mit stammver-
wandter Kunst uns manchen Ersatz
gegeben. Und mehr noch. Ob wir zu-
stimmen konnten oder widersprechen
mußten, sie zeigte uns die Möglichkeit,
auch mit dem Auge des Dramatikers
moderne Probleme auss Große hin
anzuschauen, und sie zeigte uns Kräfte,
die nicht nur spielen und reden, die
auch gestalten konnten. Sie gab uns
so die Gewißheit, daß wir berechtigt,
nein, daß wir verpslichtet seien,
uns mit der üblichen Theaterschrift-
stellerei nicht zufrieden zu geben, die
uns von deutschen Autoren als große
Kunst vorgesetzt wurde. Sie machte
uns streng, und dasür besonders sei
sie beüankt. Sie half uns auch ver-
wandtschaftlich im Kampse gegen
üie Franzosenherrschaft. Vjörnson ver-
dient in der deutschen Literatur eine
Art von Ehrenbürgerrecht.

Ein Bilünis Björnsons, von Len-
bach, haben wirschon früher(Kw.XII, ?)
gebracht.

G Wilhelm Hausf, dessen
hundertsten Geburtstag wir am 29.
Nooember feiern können, gibt einZeug-
nis dafür, wie langlebig ein bloßer
Erzähler sein kann, wsnn er nur wirk-
lich schlicht und gut erzählt und sich
also von der Manier seiner Zeit fern-
hält. Unsere Literatur war im neun-
zehnten Jahrhundert verhältnismäßig
reich an solchen Erzählern: einer der

größten, der auch vielfach aus Hauff
von Einsluß war, war E. T. A. Hoff-
mann, dann waren Gaudy und die
Schreiber historischer Romane da:
Karl Spindler und, weniger bekannt,
Ludwig Storch; üaraussolgte die große
Reihe der Erzähler aus den fünfziger
Jahren: Karl von Holtei und Theodor
Mügge, Levin Schücking und Friedrich
Wilhelm Hacklünder, Friedrich Gerst-
äcker und Edmund Hoefer, W. O. von
Horn und Otto Glaubrecht und wie sie
alle heißen. Die jetzige Heimatkunst
scheint nun abermals eine Reihe tüch-
tiger Erzähler herauszubringen. Wir
wollen dieser echten Erzähler sroh sein,
soweit sie den breiteren Schichten un-
seres Volkss gesunde Kost bieten, wenn
sis auch weiter nichts als Erzähler
waren und sind, also nicht etwa neben-
bei auch noch große Dichter. Aber
wir wollen sie nicht überschätzen. Wenn
z. B. Karl Busse bei Gelegenheit tzauffs
bemerkt, daß das natürliche Erzähler-
talent den Ausschlag gebe und es aus
die Originalitüt erst in zweiter Linie
ankomme, so werüen wir darin eine
ähnliche Kindlichkeit des Urteils sehn,
wie in seiner Bemerkung, daß Hack-
länder sür das eigentliche Volk viel
wichtiger sei als Hebbel. Wo blieben
üie Verwerter, wenn ihnen die großen
Schöpser nicht das Gold aus den Tie-
fen herausholten, das sie ausmünzen
können? Wsnn Originalität das Her-
auswachsen dsr dichterischen Leistung
aus der selbständigen dichterischen Per-
sönlichkeit und dem selbständig erfaß-
ten Leben bedeutet — Originalitäts-
sucht ist ja noch keine Originalität —,
so kommt sehr entschieden sie zuerst,
und Bedarfsartikel stehen, selbst wsnn
sie gut sind, hinter üen „hohen Ga-
ben Gottes", die man etwa nur Feier-
tags genießt. Eine einzige Vorstellung
eines großen echten Dramas kann
etwas sürs Leben geben, das Lesen
etwaHackländersschwerlich,undwenn's

3^5

t. DezemberhefL L902
 
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