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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 11 (1. Märzheft 1903)
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Göhler, Georg: Felix Draeseke als Liederkomponist
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Avenarius, Ferdinand: Traum-Bildnerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0765

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sicht, daß Draeseke noch Bedeutenderes im Lied geben könnte, wenn
er zu den größten und tiefsten der deutschen Lyriker ginge und deren
poetischen Kleinodien die musikalische Fassung gäbe. Er hat alles
dazu, das Edelmetall wie die Geschicklichkeit und Kunst eines rechten
Schmiedes. Vielleicht bringt uns die Zukunft noch einige solche kleine
Kostbarkeiten aus seiner Hand. Man muß jedoch immer bedenken,
daß diese Kleinkunst bei Draeseke nur Nebenarbeit ist und daß in
seinem eigentlichen Herrschergebiet das Bilden großer Gestalten liegt.
Seine Hand ist offenbar weniger geschasfen sür die Kleinplastik in
Gold und Elfenbein. Die eigentliche Schöpfersreude fühlt der Künstler
und der Betrachter seiner Werke erst gegenüber den großen Güssen
in Erz. Zu deren Genuß wollen wir uns ein andermal wieder zu-
sammensinden. Georg Göhler.

D^aum-Vilänerei.

Vor einiger Zeit wurden kleine Sammelausstellungen eines
neuen Malers dem Publikum gezeigt, Sammelausstellungen nach
Blättern von Alfred Kubin. Sie wirkten im Publikum als etwas
ganz ungemein Schlechtes, und nur darüber dürfen Zweifel bestehen,
vb sich mehr Leute mit Lachen oder mit Achselzucken von ihren Gräu-
lichkeiten abwandten. Jch stlaube, in der Mehrheit waren, die da
sagten: „Psui Teusel," beweisen aber kann ich das ja nicht. Nur
von den Kritikern meinten ein paar, es sei doch immerhin etwas
daran, und wenn .die Anzeichen nicht trügen, so ist ein kleiner Kreis
von „Esoterikern" sür Alfred Kubin begeistert. „Alles Verrückte sindet
sein Publikum schnell," heißt ein alter Satz — möglich, daß er auch
hier insosern paßt, als vielleicht wieder einmal das Mißverständnis
Vater der Begeisterung ist. Bei Hans von Weber* ist jetzt eine
Mappe mit Reproduktionen nach Kubinschen Blättern erschienen, in
deren Vorwort Hanns Holzschuher von Kubins „eigenster Lebens-
philosophie", von seinen „gewaltigen Gedanken", von seiner „herben
Weltanschauung" spricht und mit dem Worte schließt: „Unter den
Freunden des Gedankens wird Kubin seine Gemeinde sinden". Auch
Lch kann da nicht mit. Perverses, geschlechtlich-Widerwärtiges, blut-
rünstig-Grausames spricht zu einem bei Durchsicht der Mappe und
noch mehr aus andern noch nicht verösfentlichten Blättern quülerisch
wie die Folter einer beherrschenden Monomanie, aber wahrlich nicht
wie der Ausdruck einer „tiefsten philosophischen Ausfassung des Lebens
und seiner gewaltigen Tragik". Kubin ist nicht Beherrscher seiner
Vorstellungen, er wird von ihnen beherrscht, mehr noch: geknechtet.
Und noch ist sein Können lange, lange nicht so stark, daß er auch
nur im Dienen gewandt genug folgen, daß er die Schatten, die sich
ausdrängen, schon stets mit sicherer Hand umreißen könnte.

Und dennoch: dieser junge Maler ist eine so interessante Er-
scheinung, daß ohne Not verliert, wer ihn nicht beachten mag. Denn
vielleicht noch keiner hat so unbekümmert wie er versucht, traum-
mäßig zu gestalten. Auch unter den ernsten Kunstfreunden werden

* München 19, Romanstr. 26.

1. Märzheft 1903

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