Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1903)
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Felix Draeseke als Liederkomponist
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0764

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
srei von gewissen zu ost wiederkehrenden Liebtingswendungen Drae-
sekes. Für das schönste Stück halte ich das letzte, „Der Blinde",
das im Aufbau seiner Perioden wieder die Künstlerhand des selb-
ständigerl Musikers zeigt.

Die bekannteste Liedersammlung Draesekes ist vielleicht „Trauer
und Trost", op. 24, aus dem Nr. 1, „Das kranke Kind" öster gesungen
wird. Jch ziehe Nr. 2 vor, das in der inneren Kraft des musikalischen
Ausdrucks bei aller Einfachheit bewundernswert ist. Das bedeutendste
Stück, eine der größten Leistungen Draesekes, ist aber die Schluß-
nummer der Sammlung, das Lied „Mitternacht" von Rückert, das
der Kunstwart bereits in der oben erwähnten Beilage gebracht hat.
Die Leute werden sich immer noch zählen lassen, die es ösfentlich
gesungen haben, ein merkwürdiger Fall, wenn man sich auch die
rein klangliche Wirkung des Stückes vorstellt.

Aus ox. 26, das sechs vermischte Lieder enthält, empsehle ich
vor allen Dingen die sehr glückliche Komposition von Goethes König
in Thule (Nr. 6) und Heines kleines Liedchen „Morgen send' ich Dir
die Veilchen", dessen graziöse Heiterkeit der als steiser Kontrapunktiker
verschrieene Komponist entzückend getrofsen hat. Warum hat er nicht
mehr solche Musik geschrieben, warum ist er nicht bei diesem Dichter
geblieben, sondern hat sich in op. 61 und 62 — Baumbach zuge-
wandt? Das hätte er den Liedertafelkomponisten oder den jungen
Konservatoristen überlassen dürfen! Schade um allerhand Gutes,
was auch in diesen Hesten steckt. Sollt' es ein Versuch sein, vielleicht
mehr Freunde im Publikum zu gewinnen? —

Jch bedaure überhaupt, daß Draeseke gerade an der besten Lyrik
vorbeigeht. Es gäbe Vieles, was noch nicht komponiert ist und was
ihm läge, und Vieles, was er besser könnte als seine Vorgänger.
Neben Heine wären Storm und Mörike, vor allen Dingen auch Greis
und Fontane zu erwähnen. Und geriete er an die neueste gute Lyrik,
so zweisle ich nicht, daß auch die moderne musikalische Natur Drae-
sekes ganz anders zur Geltung käme, als bisher in den Liedern.

Einen Beweis für diese Behauptung geben schon die sünf Gesänge
op. 67 nach Gedichten von Nordryck, die aus der Stimmungswelt,
die Draeseke sonst liebt, herausgehen und sofort auch die musikalische
Gestaltungsweise verändern. Sogar ein ganz modernes Experiment
ist darin, Nr. 3 „Die Abgottschlange", die allerdings kaum viel Freunde
finden wird. Nr. 1, 2 und 5 dagegen verdienen Beachtung, ebenso
wie die drei Gesänge op. 68, die C. F. Meyersche Gedichte vertonen.

Die neuesten Lieder Draesekes, sein op. 75, sind geistlichen Jn-
halts. Daß der Komponist von Haus aus eine Natur ist, deren reli-
giöse Jnnerlichkeit ihn zur Bewältigung selbst großer geistlicher Stosfe
befähigt, wird sich deutlicher bei der Betrachtung seiner großen geist-
lichen Chorwerke zeigen. Von den Liedern op. 75 sei besonders auf
die jubelnde Krast des zweiten „Dem Herrn sei Lob' und Ehr'" hin-
gewiesen.

Die Lieder Draesekes wenden sich ja alle an die eigentlichen
Freunde des deutschen Liedes, das seine Heimat im deutschen häus-
lichen Leben hat, also an innerliche Naturen, die nicht sensations-
füchtig sind. Jch bin allerdings, wie ich oben aussprach, der An-

592

AunstwarL
 
Annotationen