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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 12 (2. Märzheft 1903)
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Dem Andenken Hugo Wolfs
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Batka, Richard: Hugo Wolfs Mörike-Lieder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0815

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danken wir dir in dieser feierlichen Stunde. Und wir danken dir am
tiefsten für die reichen edlen Gaben deiner Kunst. Was du, ein könig-
lich Schenkender, uns gegeben, spät haben wir es erkannt, und vielen
ist das Ohr noch taub und das Herz oerfchlofsen für deine neue, tief-
innerliche Sprache, in der du Herz und Geist unserer Gegenwart zum
Erklingen gebracht hast." Helfen wir, daß du Toter, du Lebender ge-
hört wirst!

tzrkgo Molks Mörike-LiscLe^. *

Zahlreiche Anekdoten und Histörchen berichten davon, mit wie
unglaublicher Raschheit Franz Schubert feine Lieder fchuf. Es kommen
ihm Verse zu Gesicht, regen ihn blitzschnell an und löfen in wenigen
Augenblicken einen mufikalischen Einfall aus, der fogleich zu Papier
gebracht wird und gesungen die herrlichste Wirkung tut. Und zu
solcher gcnialen Fruchtbarkeit entflammen ihn nicht bloß Meisterwerke
der Dichtung; ebenfo reagiert sein Geist auf das banalste, phrasen-
haftefte Gereim. Es ist eben nicht so fehr das Gedicht als Kunstwerk,
sondern sein rein stofflicher Jnhalt, was ihn ergreift, fa es kann
ihm, wie in der „Bösen Farbe", sogar geschehen, daß der tonschöpfe-
rifche Akt schon begonnen hat, ehe noch das ganze Gedicht zu Ende
gelesen ist, und daß er z. B. den Beginn bei „Jch möchte ziehen
in die Welt hinaus" aus bloßer Unkenntnis des folgenden im Aus-
druck günzlich verfehlt; denn so, wie ers hinschreibt, mag ein frisch
sröhlicher Reitersmann seine Wanderlust sich vom Herzen singen, nicht
aber der verzweifelte Müllerbursch, dem der Poet seine Worte mit
ganz anderem Sinne in den Mund gelegt hat.

Jm Vergleich mit solchem Verfahren fcheint mir bemerkenswert,
was ich über einen Liederabend berichtet fand, den feiner Zeit Hugo
Wolf in Berlin gegeben hat. „Zunächst las er die Gedichte im schönsten
steirischen Dialekt, aber so von innen heraus empfunden, daß nur
einem ganz törichten Menschen die Sache hätte komisch erscheinen
können. Nach dem Mörikeschen ,Jn ein freundliches Städtchen tret^
ich einst wandte er sich an uns: ,Jst das Gedicht nicht zum Heulen
fchönA Und nun fing er an zu fingen." Die ganze künstlerische
Eigenart Wolfs läßt sich aus diefer einen Mitteilung erfchließen. Vor
und über dem Singen steht ihm die Erfassung des Dichterwortes;
dessen Wert ist entfcheidend für seine Wahl. Und man wird gestehen,
daß ein Musiker, der so viel Poetensinn besitzt, um wirkliche Dichter
als solche zu erkennen und den unter den Gedichten Mörikes gerade
jenes eine vor allen „zum Heulen" bringen kann, jedenfalls eine
außergewöhnliche Erfcheinung ist.

Es gibt unter den fortschrittlichen Musikern bekanntlich eine starke
Gruppe, die in Hugo Wolf den größten unserer neueren Tondichter
und den Vollender des deutschen Liedes sieht. Sie hat darin meines
Erachtens unbedingt Recht; nur die Gründe, die sie dafür ge-

* Der erste Aufsatz über Hugo Wolf, der im Kunstwart vor über drei-
zehn Jahren erfchien (Kw. III, z<) hatte Josef Schalk zum Verfasser und war
einer der ersten, die überhaupt auf Wolfs Bedeutung hinwiesen. Er ist in der
Sammlung von Auffätzen über den Verstorbenen wieder abgedruckt.

2. Märzheft <903

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