Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1903)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Hugo Wolfs Mörike-Lieder
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0816

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
meiniglich vorgibt, kann ich nicht ohne weiteres anerkennen. Da
heißt es z. B., seine Originalität bestehe darin, daß die Klavier-
begleitung aus ihrer untergeordneten Stellung als Stütze der Melodie
heraustrete und zur Jnterpretation, zum Kommentar des Gesungenen
werde. Aber das wäre doch nur eine sinngemäße Uebertragung des
Wagnerschen Prinzipes auf das Kunstlied, also nicht eben originell,
und dann ist die symphonische Behandlung des Klaviers, die Durch-
führung eines Motivs, die Ergänzung des Gesungenen durch den
Jnstrumentalpart auch im Liede keineswegs neu. Jeder Kenner wird
von Schubert, Schumann, Franz, Brahms eine erkleckliche Anzahl von
Liedern anführen können, die dem angeblich Wolsschen Prinzip ent-
sprechen oder doch sehr nahe kommen. Und schließlich ist bei einem
Gesangsstück der vokale Teil doch immer die Hauptsache, so daß ein
Ueberwuchern des Jnstrumentalen, sobald es die Singstimme be-
hindert, geradezu einen Fehler bedeuten würde. Anders nimmt sich
schon die Verherrlichung Wolfs aus dem Grunde aus, daß er immer
richtig deklamiere. Aber dann brauchte ja einer das Gedicht, das
er komponieren will, sich nur von einem Meifter des Vortrags rezi-
tieren zu lassen und dessen Tonsall bei der Einsetzung der Sing-
stimme in die natürlich vorher schon fertige „symphonische" Unter-
lage genau zu beachten, und ein Meisterlied wäre aus dem nicht
ungewöhnlichen Wege der Kompagnie-Arbeit zustande gebracht. Kurz-
um: es scheint mir vor allem daraus anzukommen, daß mit den
erörterten theoretischen, zum Teil bloß negativen Vorzügen sich eine
positive praktische, musikal-schöpferische Kraft verbindet und daß diese
Kraft nicht in selbstherrlicher Betätigung ihr Genügen findet, son-
dern sich ganz in den Dienst des Poeten stellt, um den Ausdruck
seiner Kunst aus dem musikalischen Vermögen zu verstärken. Ein
Komponist, der bei genialer Begabung in solchem Grade seine Musik
der wohlverstandenen dichterischen Wirkung unterordnet, der durch
keinerlei virtuose Vordringlichkeit die Ausmerksamkeit von ihr aus sie
abzulenken sucht, sondern nur bezweckt, den Wert der Dichtung mit
seinen Tönen ins hellste Licht Zu rücken: ein solcher Komponist steht
wirklich einzig da. Aus Wolfs Verhältnis zu seinen Texten er>
klärt sich denn auch, warum er nur gute Dichter in Musik setzt,
nicht aber mittelmäßige und schlechte. Das Komponieren ist ihm eben
nicht Selbstzweck, er will sich durch die Worte nicht allgemeinhin zu
musikalischem Schasfen anregen lassen, sondern ihnen ganz im Beson-
deren zu tönendem Leben, zu tieferer Wirkung auf das Gefühl verhelfen.
Jmmer bleibt dabei das Gedicht die Hauptsache und die Musik nur
ein Mittel des Ausdrucks.

Geht man von diesem Gesichtspunkt aus, so kann einem schwer-
lich ein höherer Genuß auf dem Felde der Lyrik widerfahren, als
gerade die Bekanntschast mit den Mörike-Liedern Wolss, die
man unbedenklich dem Allerbedeutendsten an die Seite stellen muß,
was nur je in dieser Kunstgattung geleistet worden ist. Und dies
umsomehr, als Wolf in Bezug aus Erfindung eine in unseren Tagen
geradezu erstaunliche Ursprünglichkeit bekundet und unbeschadet seiner
wunderbaren Sachlichkeit die eigene starke Persönlichkeit doch nicht ver-
leugnet. Sein Reichtum an Melodieen, die imstande sind, „das Ge-

636

Runstwart
 
Annotationen