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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
DOI Artikel:
Marsop, Paul: Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0107

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8precbsaal.

(Untcr sachlicher Verantwortung der Einsender.)

Oie Iungen unci äie ^kealerprALis.

Bffener Brief an den Musikredakteur des Aunstwarts.

„Jch gebe nichts verloren als die Toten."

Don Carlos.

Haben Sie besten Dank bafür, daß auch Sie den „Kern der Wagner-
frage" in den Vordergrund der Diskussion rückten. Und üaß Sie der nahe-
liegenden Versuchung widerstanden, mir „möglichst viel Angenehmes" zu fagen.
Jch bin zwar Jdeologe, wie Sie's nennen, aber immerhin Menschenkenner
genug, um üie zögernde Zustimmung offener Freunde beträchtlich höher anzu-
fchlagen, als die honigtriefenden Lobsprüche versteckter Feinde. Nicht weniger
verpslichteten Sie mich damit, daß Sie zwischen den Zeilen die Aufforderung
an mich richtetsn, auch an üieser Stelle wieüer einmal für etliche Fortschritts-
und Resormgedanken einzutreten.

Vor dem Paradiese unserer dramatischen Zukunftshoffnungen sitzt als
hütender Engel mit slammenüem Lineal an einem mit Goldstücken und Eoupons
überdeckten Kassentische üer Theaterüirektor. „Jhr habt's mit Ehrenmännern zu
tun." Keine Frage. Doch ohne üie Beihülse dieser Ehrenmänner vermögen
wir den begabten, für die Scene fchreibenden Tonsetzern nicht die Wege zu
ebnen. Sie meinen, verehrter Freund, der Kritiker sollc seine Autorität bei den
Bühnenleuten nicht dadurch schädigen, üaß er schwer oder gar nicht Ersüllbares
verlange. Autorität des Urteils? Aesthetische Tprannei? Dank' schön. Zch
habe viel Gegner und also auch viel Freunde und Anhänger. Aber mich
verlangt durchaus nicht üarnach, mich als unsehlbaren Autoritätsbonzen an-
himmeln zu lassen. Jch bin ein Mensch und ein Kunstwart „wie alle". Dazu
ein alter Theaterpraktikus. Als solcher hab' ich vsrschiedentlich die Erfahrung
gemacht, daß man selbst ein dornenreiches neues Opernwerk ganz wohl inner-
halb drei bis vier Wochen einstudieren könne. Es kommt da nur daraus an,
in wessen tzand die Fäden zusammenlaufen, ob der Direktor seinem Premier-
minister, üem sührenden Kapellmeister, nicht zur Unzeit hineinreüet, und ob an
der Bühns, die just in Frage steht, gesunde Zustände herrschen. Wenn mitten
im Arbeitsjahre ein Drittel oder gar die Hälfte üer Darsteller auf Gastspiel-
reisen herumfährt, wenn an dem betreffenden Jnstitut überhaupt nicht planvoll
geschafft wird, fondern im Hirn des Höchstgebietenden täglich ein halb Dutzend
neue Pläne karambolieren, wenn Niemand weiß, ob üer Kapellmeister Koch
und der Regisseur Kellner ist oder umgekehrt, wenn üer Dirigent, wie so ost,
wohl viel vom Orchester aber nichts vom Gesang versteht, wenn hinter dem
Rücken des Chefs noch allerhand bevorzugte Weiblein und Männlein eine Art
Nsbenregierung führen: dann braucht man allerdings erheblich mehr Zeit
zur Vorbereitung einer Novität. Sosern aber an einer Bühne Zucht und
Ordnung herrschen, keine Falschmünzerei und kein Raubbau getrieben wird,
sofern der leitende Musiker weder ein Dummkopf noch ein Pedant noch ein
Gschaftlhuber ist: dann geht's fix. Beispielsweife bringt Felix Mottl mit seinen
Leuten beim Einftudieren einer Novität in acht Tagen das zuwege, was ....
andere vier Wochen sauren Schweißes kostet. Er ftellt einen vernünftigen Probe-
plan auf, schont die Kräfte aller Mitwirkenden, klopft nur ab, wenn's unbedingt
nötig ist, hält vor versammeltem Kriegsvolk keine umständlich grundgelehrten

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