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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 12 (2. Märzheft 1903)
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Dem Andenken Hugo Wolfs
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0814

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nur ein Buch rnit sieben Siegeln bleiben, denn seine Lieder sind musik-
gewordene Sprache. Mit seinen Tönen haucht der Vers seinen Dust
aus. Die Worte des Poeten sind ihm nicht blos Anreger der Stimmung,
nicht blos Träger der melodischen Linie, sondern Poesie und Musik oer-
schmelzen bei ihm zu einem unauflösbaren Gesamteindruck, ja die Musik
verstärkt bei ihm nicht die rhetorischen, sondern die Vorstellungswerte
des Gedichtes. Sein Bedeutendstes enthalten wohl seine Mörikelieder,
vielleicht das Allerwertvollste, was uns seit dem Parsisal in Tönen
bescheert worden ist. Sein Jndividuellstes das spanische und italienische
Liederbuch mit ihrer intimen Kleinkunst. Dazwischen liegt die reise Schön-
heit der Goethelieder. Das letzte, was er auf lyrischem Gebiete schuf,
waren die drei Sonette Michelangelos, worin er, wie sein Gegenfüßler
Brahms in den „ernsten Gesängen", von dieser Welt feierlichen Abschied
nahm. Man denkt unwillkürlich an den Komponisten selbst, wenn er
in lapidarer Weise den Satz betont: „Genannt in Lob und Tadel bin
ich heute, und daß ich da bin wissen alle Leute." Was ihn sonst vor
den neueren Liedermeistern auszeichnet, ist die Weite seiner Begabung.
Gesänge von unerhörter religiöser Jnbrunst, Scherzlieder von neckischer
Anmut, das Größtgeartete und das Filigranfeine, das Grüblerische und
das frisch von Herzen Klingende, das Leidenschastliche und Zarte, das
Visionäre und Wirklichkeitsfeste, das Seelengemälde und die Natur-
stimmung, verzückte Mystik und ein köstlicher, bald seiner, bald kerniger
Humor, alles finden wir in Meisterstücken bei ihm. Es ist zu hoffen,
daß die gründliche Pslege Wolfs dem bloßen Stimmprotzentum und
dem gedankenlosen Singsang ebenso ein Ende bereiten wird, wie das
Musikdrama Wagners dem hohlen Opernprunk. Jn diesem Sinne wird
ihn eine künftige Zeit vielleicht den „Wagner des Liedes" nennen. Wir
wiederholen: Es wird jahrzehntelanger Arbeit bedürfen, ehe der reiche
Besitz, den er uns hinterlassen hat, zum geistigen Eigentum des deutschen
Volkes geworden ist. Dann aber wird seine Größe noch über das Gebiet
der Tonkunst hinaus zu erkennen sein. Denn der Tonschöpser war zu-
gleich einer unsrer besten Erzieher zum Genuß echter Wortpoesie. Und
einer der vornehmsten Verinnerlicher ästhetischen Lebens überhaupt.

Was er uns in seinen hauptsächlichsten Werken ist, davon mögen
nun Aufsätze über diese sprechen. Die Kränze, die ihm der Kunstwart seit
langen Jahren geflochten hat, legen wir heute zusammen auf seinen
Sarg zu neuen. Mit Worten edeln Ernstes sind in Wien Wolfs
Freunde von ihm geschieden. „Jn Armut, nur deiner Kunst

lebend, bist du, fast unbekannt, von vielen verkannt, verspottet,

geschmäht, wie so mancher Genius, durch dein kurzes Leben in
ein langes, schauerliches Reich der Leiden und endlich in den all-
zu frühen Tod gegangen. Aber das strenge Schicksal hatte dir

zum Stab gegeben einen festen, stolzen Sinn für den Alltag und deine
herrliche Kunst für die Weihe- und Feierstunden deines Daseins. Du
hast mit gelassener Würde, mit unbeugsamem Stolze, mit jenem heiligen
Eifer, der nur deiner Kunst galt und niemals deiner Person, ein

Bild des großen Künstlers ausgestellt, von dem ein stärkender Hauch
auf uns alle übergeht. Du hast den schaffenden Genius, der sich nicht
wie die kleinen Talente an die Zeit verliert, sondern ihr die Wege weist,
in wundervoller Kraft und Eigenart unter uns verkörpert. Dafür

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Kunstwart
 
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