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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1903 )
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Zum Fastnachtshefte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0632

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in umgedrehtem Rock herumliefen, untersagte man das mit ernstem
Psui als groben Unfug. Seit einem halben Jahrhundert hausen jene
Gerechten so, jeden Bruch als Mißbrauch bekümpfend, der sich nur
von irgend einem Punkte her so ansehen läßt, jede sreie Regung regle-
mentierend, jede Abweichung beschneidend, wenn man sie nur irgend-
wie „sassen" kann. Ordnungsstister nennen sie sich und Vettern
und Basen der anderen Korrektheitshuber sind sie, die nns
am liebsten alle Waldründer gerade rasierten, durch alle Fluß- und
Straßen-Windungen Lineale steckten und über alle Häuser Kästen
stülpten, eine jede Frontseite einwandsrei ein Quadrat.

Nur ein kleines Schutzgebiet galt bis vor Kurzem der unge-
störten Heiterkeit noch gewahrt. Da, vor einigen Jahren erschien im
Kladderadatsch ein Bild, das, irr ich mich nicht, den alten Fritz zeigte,
wie er sich über eine Rede seines Nachfahren verwunderte. Dieses
Bild wurde konfisziert und der Redakteur Trojan als verantwortlicher
Mann auf die Festung geschickt. Das empsanden viele als etwas
Neues: wie streng unsre Gerichte sonst sein mochten, die Witzblätter
hatten noch immer etwas wie Schelmenfreiheit genossen. Wollte man so
rechnen, wie diesmal der Staatsanwalt, wie viele Leute verletzte dann
jede Nummer eines politischen Witzblattes! Man denke nur an die
Schilderungen aus dem Reichstag — ein jeder Parteisührer hätte ja
mit Klageentwürfen ob solcher Beleidigungen einen eignen Rechts-
anwalt beleibt nähren können! Jst nicht jede Karikatur z. B. der
Abgeordneten Richter, Singer, Oertel, Kardorss, die dort erscheint, auch
eine Beleidigung? Sehen die Herren darauf nicht geradezu ans, als
wollte man ihre Verwandtschast zu Ochs und Esel und den sonstigen
„Brüdern in Wald und Feld" in wesentlich anderm als dem Goethi-
schen Sinne betonen? Daß man schon durch eine überhebliche Miene
strasbar beleidigen könne, nicht nur durch eine respektlose Gebärde,
hat zwar meines Wissens erst kürzlich ein energisch vorwürts streben-
des Gericht sestzustellen versucht, in all jenen Fällen lag aber die
Sache viel klarer.

Sonderbar jedoch: wenn Karikaturen nur einige wenige Schneid-
kraft nach dieser Richtung hätten, so müßten alle Männer der Politik
moralisch ja längst zu Häcksel verarbeitet sein! Sie, die alle Wochen in
so nnd so viel Witzblättern tranchiert und garniert dem Publikum
vorgelegt werden! Und trotzdem gibts immer noch Leute, die mit
ihnen verkehren? Ernsthast gesprochen: keinem von ihnen hat die
Karikatur noch jemals über den Tag hinaus geschadet, wie laut das
Gelächter aus^ ihre Kosten zunüchst auch scholl.

Es ist eben doch etwas anderes um eine Herabsetzung in scherz-
hafter und in ernsthafter Form. Gewiß, auch eine in scherzhaftev
Forn: kann bitterböse g e d a ch t sein, sie kann aus herzlichstem Hasse,
sie kann sogar aus gemeiner Niederträchtigkeit entspringen, und man
mag ihr diesen Ursprung auch ansehn. Aber die satirische Form
wirkt an sich schon ausgleichend. Unter den Zerrbildern auf Cham-
berlain zum Beispiel, die während des Burenkrieges erschienen, waren
augenscheinlich eine Menge Ausgeburten tödlichen Grimmes. Aber wenn
ich einen in satirischer Darstellung als Massenmörder hinzeichne,
der mir dem Monocle vor dem Auge, an brennenden Farmen vorbei.


Runstwart
 
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