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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI issue:
Heft 7 (1. Januarheft 1903)
DOI article:
Gregori, Ferdinand: Theorie und Praxis der Bühnenregie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0521

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und nach „Fächern", sondern unter Berücksichtigung der ganz per-
sönlichen Veranlagung seiner Schauspieler. Schon vor der ersten Probe
setzt er sich mit den technischen Beamten auseinander, um das Wesent-
liche der Schauplätze und der Jahres- und Tageszeiten festzulegen.
Dem Jnspizienten gibt er kurz die Auftritte an, im Zimmer beispiels-
weise die Bedeutung dcr angrenzenden Räume. Und nun läßt er
sich, ohne viel dreinzureden, das Stück einmal vorspielen, um zu
sehen, was die Darsteller wollen. Das Buch nimmt er nur
zur Hand, wenn eine Szene zu lang erscheint: dann werden mit allem
Bedacht und im Einverständnis mit den Darstellern kleine Ampu-
tationen vorgenommen. Weiß er nun, wo die Schauspieler hinaus-
wollen, so beginnt er sein Mittleramt zwischen ihren und des Dichters
Absichten. Und nach und nach, von Vormittag zu Vormittag mehr
kommt es annähernd zur Harmonie zwischen Schauplatz unö Person.
Es werden allerhand Gänge und Stellungsänderungen, Variationen
der Beleuchtung probiert, Tonstärken und Sprechgeschwindigkeiteu ab-
gewogen, bis wirklich die lebendige Persönlichkeit des Regisseurs als
allgegenwärtiger einheitlicher Geist über einer solchen Vorstellung
schwebt. Der geübte Zuschauer wird sie rasch von jeder anderen unter-
scheiden, für die ein anderer Regisseur verantwortlich zeichuet.

Aber da bin ich wohl wieder in die Theorie verfallen und wollte
doch in der Praxis bleiben? Nun, gar so wirklichkeitssern ists nicht!
Für Werke zweiten Grades wenigstens haben wir auch heute aus-
gezeichnete Männer beim Theater, und mein „guter" Regisseur, der
auch den erstgrädigen gewachsen war, ist erst vor dreizehn Jahren
gestorben. August Förster hieß er. Er vereinte Laubes Jnhaltsregie
mit dem seinsten Blicke für die Umwelt der Stücke. Er war der
Mann der Tat, der den Darstellern die Szene andeuteud vorspielte
und ihnen dadurch mehr nützte als alle geschriebenen Kommentare.
Sein sicheres Auge, sein durchdringender Verstand und seine lebhafte
Phantasie vermochten ohne viel Worte Gefühle zu entwirren und in
Körperlichkeit umzusetzen, in Töne und Mienen. Der Zauber, den
das neugegründete „Deutsche Theater" in Berlin übte, hieß eigent-
lich August Förster; und daß noch lange nach dieses Mannes Weg-
gang etwas von diesem Zauber haften blieb, beweist, wie seine Per-
sönlichkeit zu wirken und nachzuwirken die Kraft hatte. Es ist schade,
daß damals nicht, wie heute im Burgtheater, ein ständiger Regie-
Beisitzer bestellt war, der die Ergebnisse der Probenarbeit, soweit
sie mit Worten festgehalten werden können, genau verzeichnete.

Viel äußeren Ruhm freilich trägt solche schwere uud aufreibende
Tätigkeit nicht ein. Die Schauspieler allein bewahren ihr eiu
stilles dankbares Andenken und, was das Schönste ist, die Bühnen-
kunst selbst kommt durch sie an einen höheren Punkt, den sie später
nur vorübergehend ganz aus dem Gesichtskreis verlieren kaun.

Ferdinand Gregori.

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