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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI issue:
Heft 7 (1. Januarheft 1903)
DOI article:
Gregori, Ferdinand: Theorie und Praxis der Bühnenregie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0520

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Seite stand, auf die linke. Das heißt dann „bewegtes Bühnenbild".
Jn seine Notizen ist er so verliebt, daß er nicht davon loskommt:
er sieht deshalb nie das Ganze, nur die Einzelheiten, weil er nur
dann und wann flüchtig vom Buche aufblickt. Auf den Nahinen des
Stückes legt er unendlichen Wert, sodaß von fünf Probestunden etwa vier
mit Aufstellung der Dekoration vertrödelt und verzankt werden. Bis
auf einige irgendwo aufgestöberte Deklamations - N u a n c e n ist ihm
das Dichterwort gleichgiltig, und man kann ohne Übertreibung von
ihm sagen, daß er die ganze einschlägige Literatur über das Stück
studiert habe, das Stück selbst aber nicht.

Der faule Regisseur kommt halbausgeschlafen auf die Probe und
läßt sich vom Theaterdiener das durchschossene Regiebuch reichen, das
sich die buchbinderliche Unberührtheit bewahrt hat. Der Theatermeister
stellt ihm „den" Wald auf, „den" Salon, „die" unwirtliche Gegend
ohne jede Rücksicht auf das besondere Stück. Der ewig müde Manu
und Kunstherr gähnt: „Los!" Der Jnspizient fragt bescheiden an,
ob der Ritter Kuno rechts oder links aus der Waldkulisse aufzutreten
habe und bekommt die energisch gebrüllte Weisung: „Selbstverständlich
rechts!" Nun gehts schnell vorwärts. Es ist klar, daß der zweite
Darsteller links erscheint, der dritte wieder rechts, nur eine Gasse
tiefer, und so in lustiger, lebhafter Abwechslung weiter, bis — ja,
bis der Text deutlich sagt, daß sie alle auf demselben Wege aus
der Stadt kommen, der hinten links auf den Prospekt gemalt ist.
Nachdem der Regisseur den „unvorbereiteten" Jnspizienten einen Esel
genannt hat, der bei den einfachsten Dingen srage und die Darsteller
„verwirre", fängt die Probe von vorne an: alle treten von links
hinten auf!

Jn seinem Benehmen unterscheidet dieser Gestrenge haarschars
zwischen den kleinen und großen Gagen. Wer über dreihundert
Mark pro Monat bezieht, darf den Text nach Gefallen zusammenstreichen
oder erweitern, seine „Jndividualität" dars sich „frei entfalten". Die
andern aber sind beklagenswerte und vielgequülte Opfer der Laune
und Faulheit, der Jrrtümer und der Unfähigkeit dieses Spielleiters.
Gein Grundsatz ist: „sie können gar nichts". Noch ehe sie den Mund
aufgetan, schreit er sie an wegen ganz verkehrter „Auffassung". Jst
ihnen dadurch der Mut gesunken und fangen sie an unsicher zu werden,
so lacht er höhnisch laut auf, ringt die Hände und schüttelt ver-
zweifelnd den Kopf. Selbstverständlich nennt er ihre Fehler nie beim
Namen, reicht er nie die Hand zur Korrektur, denu er kennt weder
Stück noch Rolle. Die armen Teusel schwitzen Blut und siud über-
selig, wenn sie abtreten können. Entfernen sie sich dabei nach der
linken Seite, so ruft er wie ein Wahnsinniger: „Rechts!" und ent-
sprechend umgekehrt. Theatermeister, Beleuchter und Jnspizient sind
seine anderen Sündenböcke: sie sollen alle seine Maßnahmen kennen,
bevor er selbst sie getrosfen hat! Er läßt sich das Stück auf den
Proben scn lange vorspielen, bis er den Jnhalt einigermaßen begriffeu
hat; danu fängt er an, alle seiue srüheren Angaben zu ändern, bis
das Personal sich gar nicht mehr auskennt.

Dem guten Regisseur ist das Werk schon vertraut, ehe er die
Rollen besetzt. Und er tut das sehr sorgsam, nicht nach Augenmaß

Xunstwart
 
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