Meggendorfer-Blätter, München
fOO
Aeiner Anterfchied.
— „tvas — Du glaubst mer uicht? — Ich geb' 2'r mei'
Lhrenwortl"
— „Wie haißt — Lhrenwort . . 's große oder 's klane
Lhrenwort?"
Ärntetag.
Die Sense rauscht im tviesenfeld,
Ls seufzt der tsalm und schwankt und sällt,
von fern erklingt ein tvachtelschlag:
Lrntetagl Lrntetagl
Und ahnend hast Du's auch versxürt,
tvas Deiue Seele ziiternd rührt
tvie eines Falters Flügelschlag:
Erntetagl Erntetag! Martin Lang.
Verticbte ösochzeitsreisende.
Sie: „Ach, Schatz, sürs Lssen sollte man in dieser Zeit
eigentlich einen bcsonderen Mund habenl"
Glas und sxrach: „Liebe Freunde! Ihr alle wißt, daß mir
heute ein seltenes Glück widerfahren ist, indem ich aus dem
schweren Aamxfe, den ich seit Ukenschengedenken gegen einen
Lrbfeind führte, als Sieger hervorgegangen bin. Menn ich diesen
Tag festlich begehen kann, so wäre es undankbar von mir, des
wackeren Bundesgenossen zu vergessen, der mir in diesen schweren
Stunden so treue Dienste geleistet hat und den ich als kleines
Ieichen meiner dankbaren Anerkennung gebeten habe, heute
den Lhrcnplatz an meiner Rechten einzunehmen..Lfier gab er
dem Knappen Fürwitz einen lvink, die beiden Flügeltüren öff-
ncten sich und in den Raum trat mit würdigem, abgemessenem
Schritt die Ueberlegung und nahm au der Seite des verstandes
Platz. Dieser aber fuhr mit einem galanten Lächeln fort: „Da-
mit ihr aber nicht glaubt, ich hätte nur für meine Unterhaltung
gesorgt, so habe ich im Linverständnis mit meiner braven Freun-
din sür jeden von euch eine Tischdame gewählt, die nach unserem
Lrmesseu am besten zu ihm paßt. Uiein unermüdlicher Anapxe
Fürwitz mag nun jeden Ljerrn seiner Tischnachbarin zuführen."
Bald promenierten die Paare durch den Saal. Der lville
mit der Schwäche, der Eigensinn mit der Reue, der Geiz mit der
Torheit, der kfochmut mit der Trniedrigung, der Iufall mit der
Anerkennung, der Lhrgeiz mit der Rücksichtslosigkeit, der Arg-
wohn mit der Untreue, der Fortschritt mit der Unentschlossenheit
und der Ldelmut mit der verdächtigung. kvährend die paare
in lebhafter Unterhallung die Räume durchschritten, schlich sich
der Fürwitz zu dem lfausherrn und flüsterte ihm ängstlich zu:
„lferr, es muß ein Irrtum geschehen sein, der Ieitgeist kann
keine Tischdame finden." Der verstand erschrak darob nicht wenig.
„Teufel," brummte er, „gerado bei dem, auf dessen Freund-
schaft ich so viel Ivert lege, muß das passieren, und ich wollte
ihn doch besonders bevorzugen und habe unsern seltensten Gast,
die Lhrlichkeit, zu seiner Tischdame bestimmt. Aber freilich,
die läßt mich ja meisteus aufsitzenl Ich bin in verzweiflung!
lvas tun?" Da zwinkerte der Unappe Fürwitz mit seinen
schlauen Aeuglein und sprach: „Laßt mich nur handeln, kserr,
ich hoffe alles noch gut zu machcn," und schon war er draußen.
Nach wenigen Minuten, die dem vcrstande eine Ewigkeit dünkten,
erschien er wieder, näherte sich seinem lherrn und flüsterte:
„Allcs in Grdnung, ich habe ihm eine andere Tischdame zu-
geteilt und der gute lferr merkt gar nichts davon; er glaubt
mit der Lhrlichkeit zu promenieren und nimmt don gewaltigen
Unterschied zwischen den beiden Damen gar nicht wahr, wir
sind gerettot." — „Du bist ein Mordskerlchen," rief der Ver-
stand erfreut, „aber sag, welche Dame hast Du ihm denn unter-
geschoben?" — „Die Dummheit!" lächelte vergnügt der Aleine.
Äas Siegesmahl.
er verstand, der mächtige Lserrscher, gab ein großes Mahl,
ein Siegesmahl; war es ihm doch heute gelungen, seine
grimmigsto Feindin — die allgewaltige Uönigin Liebe
nach hartem Ringen zu besiegen, bis sie weinend und verzwei-
felnd vor ihm auf den Unieen lag. In stolzer Siegerlaune hatte
er nun alle Verwandten und Freunde zu Gaste geladen, und fast
alle hatten seinem Rufe Folge geleistet. Da saßen sie nun
um die reiche Tafel versammelt: der lville mit seinem Stief-
sohne, dem Ligensinn, der Geiz in seincm abgetragenen Braten-
rock, der Argwohn mit dem schielenden Blicke, der Lsochmut,
der Zufall, weiter der Ehrgeiz, der Fortschritt, der Zeitgeist
und, etwas abseits, der Tdelmut, der sich anscheinend nicht
recht heimisch fühlte. Nun erhob sich dcr Gastgeber, ergriff sein
fOO
Aeiner Anterfchied.
— „tvas — Du glaubst mer uicht? — Ich geb' 2'r mei'
Lhrenwortl"
— „Wie haißt — Lhrenwort . . 's große oder 's klane
Lhrenwort?"
Ärntetag.
Die Sense rauscht im tviesenfeld,
Ls seufzt der tsalm und schwankt und sällt,
von fern erklingt ein tvachtelschlag:
Lrntetagl Lrntetagl
Und ahnend hast Du's auch versxürt,
tvas Deiue Seele ziiternd rührt
tvie eines Falters Flügelschlag:
Erntetagl Erntetag! Martin Lang.
Verticbte ösochzeitsreisende.
Sie: „Ach, Schatz, sürs Lssen sollte man in dieser Zeit
eigentlich einen bcsonderen Mund habenl"
Glas und sxrach: „Liebe Freunde! Ihr alle wißt, daß mir
heute ein seltenes Glück widerfahren ist, indem ich aus dem
schweren Aamxfe, den ich seit Ukenschengedenken gegen einen
Lrbfeind führte, als Sieger hervorgegangen bin. Menn ich diesen
Tag festlich begehen kann, so wäre es undankbar von mir, des
wackeren Bundesgenossen zu vergessen, der mir in diesen schweren
Stunden so treue Dienste geleistet hat und den ich als kleines
Ieichen meiner dankbaren Anerkennung gebeten habe, heute
den Lhrcnplatz an meiner Rechten einzunehmen..Lfier gab er
dem Knappen Fürwitz einen lvink, die beiden Flügeltüren öff-
ncten sich und in den Raum trat mit würdigem, abgemessenem
Schritt die Ueberlegung und nahm au der Seite des verstandes
Platz. Dieser aber fuhr mit einem galanten Lächeln fort: „Da-
mit ihr aber nicht glaubt, ich hätte nur für meine Unterhaltung
gesorgt, so habe ich im Linverständnis mit meiner braven Freun-
din sür jeden von euch eine Tischdame gewählt, die nach unserem
Lrmesseu am besten zu ihm paßt. Uiein unermüdlicher Anapxe
Fürwitz mag nun jeden Ljerrn seiner Tischnachbarin zuführen."
Bald promenierten die Paare durch den Saal. Der lville
mit der Schwäche, der Eigensinn mit der Reue, der Geiz mit der
Torheit, der kfochmut mit der Trniedrigung, der Iufall mit der
Anerkennung, der Lhrgeiz mit der Rücksichtslosigkeit, der Arg-
wohn mit der Untreue, der Fortschritt mit der Unentschlossenheit
und der Ldelmut mit der verdächtigung. kvährend die paare
in lebhafter Unterhallung die Räume durchschritten, schlich sich
der Fürwitz zu dem lfausherrn und flüsterte ihm ängstlich zu:
„lferr, es muß ein Irrtum geschehen sein, der Ieitgeist kann
keine Tischdame finden." Der verstand erschrak darob nicht wenig.
„Teufel," brummte er, „gerado bei dem, auf dessen Freund-
schaft ich so viel Ivert lege, muß das passieren, und ich wollte
ihn doch besonders bevorzugen und habe unsern seltensten Gast,
die Lhrlichkeit, zu seiner Tischdame bestimmt. Aber freilich,
die läßt mich ja meisteus aufsitzenl Ich bin in verzweiflung!
lvas tun?" Da zwinkerte der Unappe Fürwitz mit seinen
schlauen Aeuglein und sprach: „Laßt mich nur handeln, kserr,
ich hoffe alles noch gut zu machcn," und schon war er draußen.
Nach wenigen Minuten, die dem vcrstande eine Ewigkeit dünkten,
erschien er wieder, näherte sich seinem lherrn und flüsterte:
„Allcs in Grdnung, ich habe ihm eine andere Tischdame zu-
geteilt und der gute lferr merkt gar nichts davon; er glaubt
mit der Lhrlichkeit zu promenieren und nimmt don gewaltigen
Unterschied zwischen den beiden Damen gar nicht wahr, wir
sind gerettot." — „Du bist ein Mordskerlchen," rief der Ver-
stand erfreut, „aber sag, welche Dame hast Du ihm denn unter-
geschoben?" — „Die Dummheit!" lächelte vergnügt der Aleine.
Äas Siegesmahl.
er verstand, der mächtige Lserrscher, gab ein großes Mahl,
ein Siegesmahl; war es ihm doch heute gelungen, seine
grimmigsto Feindin — die allgewaltige Uönigin Liebe
nach hartem Ringen zu besiegen, bis sie weinend und verzwei-
felnd vor ihm auf den Unieen lag. In stolzer Siegerlaune hatte
er nun alle Verwandten und Freunde zu Gaste geladen, und fast
alle hatten seinem Rufe Folge geleistet. Da saßen sie nun
um die reiche Tafel versammelt: der lville mit seinem Stief-
sohne, dem Ligensinn, der Geiz in seincm abgetragenen Braten-
rock, der Argwohn mit dem schielenden Blicke, der Lsochmut,
der Zufall, weiter der Ehrgeiz, der Fortschritt, der Zeitgeist
und, etwas abseits, der Tdelmut, der sich anscheinend nicht
recht heimisch fühlte. Nun erhob sich dcr Gastgeber, ergriff sein
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Feiner Unterschied; Das Siegesmahl
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: - "Was - Du glaubst mer nicht? - Ich geb' D'r mei' Ehrenwort!" / - "Wie haißt - Ehrenwort .. 's große oder's klane Ehrenwort?"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1903
Entstehungsdatum (normiert)
1898 - 1908
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 54.1903, Nr. 662, S. 100
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg