Zeitschrifl für Lfumor und Aunsl
fOö
Das Kteebtalt.
siehst doch ein, daß ich nicht mehr
weiterleben kann, diese Blamage vor
den dummen Gänscn in der Schule,
wenn der schöne Angelo mein Schwager
wird I Die eklige Beier Ella und die
dicke Wächter Fanny hätten nicht übel
Feiertag, wenn sie die Geschichte er-
fahren. Nein, ich werde untertauchen
in das Nichts, in die graue Dämmerung
der vergessenheit und das Andenken
an mein Lnde soll den verrätern ihr
Glück versalzen. Bei jedem Auß sollcn
sie daran denken, daß sie mein junges
blühendes Leben (in vierzehn Tagen
werd' ich sechzehn!) vernichtet und mich
zum Selbstmord getrieben haben. Und
Du, treue gute ksilde, zeige diesen
Brief meiner Mama, er ist gleichzeitig
mein Tcstament, in dem ich Dich zur
alleinigen Lrbin meiner bsabseligkeiten
einsetze; alles, alles soll Dir gehören,
auch die große Bonbonniere, die noch
zur ksälfte voll ist — es war das letzte
Bestechungsgeschenk meines lieben zu-
künftigen Schwagers.
Und jetzt will ich an die vorbc-
reitungen zu meiner letzten Tat gehen:
noch ein paar große Schaufeln Kohlcn
in dcn Schlund des alten Ungeheuers,
dann das Sofa recht nahe herangerückt,
daß die Betäubung bald eintritt —
aber ich will noch einen Sprung in
die Speisekammcr machen, Ulama hat
dort allerlei, was einem ein bisscl
duselig machen kann, daß man den
Uebergang zur Bewußtlosigkeit nicht
so mcrkt — — —.
So, es ist gelungen, niemand hat
mich gesehen; ich nahm den vanille-
likör, dcn trinke ich so schrecklich gern,
es soll das letzte Gute auf Erden sein!
Und jetzt lebe wohl, geliebte ksilde,
ich sühle schon so ein Brausen in den
Vhren, und doch ist die Bfentür noch
gar nicht offcn, es muß wohl das lserz-
klopfen daran schuld sein. Und jetzt
zur Tat; noch einen Auß, Dir, meine
Treue, dann lösche ich die Lampe und
damit mein Lebenslicht.
Deine unglückliche Käthe.
n einem Buche, das ich heut' fand
Beim Vrdnen meiner bunten Rcgale,
Lntdeckte meine blätternde lsaud,
Ein trockenes Kleeblatt mit einem Ukale.
Und bci dcm Blatte ein Flöckchen lsaar
von eincm Blondkopf, so weich wie Seide,
Und an dem Buchrand zu lesen wari
„Das Kleeblatt bringt das Glück für
uns beide."
Und noch das Datum: vierzehnter Ukai,
Die Iahrzahl war fast nimmer zu lesenl
Der dieses schrieb, ist lange vorbei
Und die, der es galt, ist lange gewesen.
Still lcgte ich Blatt und lsaar zurück
Uud träume in den dämmernden Stundcn,
Vb sie ihr heißersehntes Glück
Gcfundcn oder — nicht gefunden. — — -
Leo Heller.
2l. Februar.
Liebste lsildel
lUeine Schwester Käthe hat Ihnen gestern geschricbcn, ich
sah den Brief auf ihrem Schreibtisch licgen und habe in der
Konfusion, in die uns ein dummer Streich von ihr versetzte,
vergesscn, desscn Absendung zu verhindern. Da er gewiß Dinge
cnthält, die Sie in Angst und Schreckcn vcrsetzen, will ich nur
die kurze Nachricht nachschicken, daß Käthe ihren vorsatz in so
ungenügender lveise ausführte, daß wir hoffen, sie morgen
wieder vollkommen wohlauf zu sehen. Glcichzeitig bitte ich
Sie im Auftrage meiner Lltern, Ihre liebe Frau Nlama zu
fragen, ob sie die Güte hätte, Käthe, die für die Ferien Ihr
Gast sein sollte, jctzt schon aus einige lvochcn bci sich auf-
zunehmen. lvir sind dcr Ansicht, daß eine solche sofortige Luft-
veränderung die Folgen des gestrigen Geniestreiches allerseits
am ehesten ausglcichen würde.
!Uit unscrn bestcn Lmpfehlungen an Ihre gütige Frau
Mama grüßt Sie herzlich Ihre lselene Bergmann.
25. Februar.
lUeiuc teure ksilde!
Ich darf also zu euch und noch dazu ohne Retourkarte, also
unbegrcnzter llrlaub, gleichbedeutend mit endgiltigcm Schulschluß
sür mich, ach lsilde, wie bin ich glücklich! Das ist doch ein
Resultat, wert des Schrccklichcn, was ich durchgcmacht habc.
Eigcntlich ist's eine greuliche Blamage gcwesen und ich glaubc,
es ist besser, ich erzähle Dir das vor meiner Abreise noch schristlich,
damit wir dann nichts mehr rcden dürscn übcr dic duinine
Geschichte. Ls war zu gräßlich. Also höre:
fOö
Das Kteebtalt.
siehst doch ein, daß ich nicht mehr
weiterleben kann, diese Blamage vor
den dummen Gänscn in der Schule,
wenn der schöne Angelo mein Schwager
wird I Die eklige Beier Ella und die
dicke Wächter Fanny hätten nicht übel
Feiertag, wenn sie die Geschichte er-
fahren. Nein, ich werde untertauchen
in das Nichts, in die graue Dämmerung
der vergessenheit und das Andenken
an mein Lnde soll den verrätern ihr
Glück versalzen. Bei jedem Auß sollcn
sie daran denken, daß sie mein junges
blühendes Leben (in vierzehn Tagen
werd' ich sechzehn!) vernichtet und mich
zum Selbstmord getrieben haben. Und
Du, treue gute ksilde, zeige diesen
Brief meiner Mama, er ist gleichzeitig
mein Tcstament, in dem ich Dich zur
alleinigen Lrbin meiner bsabseligkeiten
einsetze; alles, alles soll Dir gehören,
auch die große Bonbonniere, die noch
zur ksälfte voll ist — es war das letzte
Bestechungsgeschenk meines lieben zu-
künftigen Schwagers.
Und jetzt will ich an die vorbc-
reitungen zu meiner letzten Tat gehen:
noch ein paar große Schaufeln Kohlcn
in dcn Schlund des alten Ungeheuers,
dann das Sofa recht nahe herangerückt,
daß die Betäubung bald eintritt —
aber ich will noch einen Sprung in
die Speisekammcr machen, Ulama hat
dort allerlei, was einem ein bisscl
duselig machen kann, daß man den
Uebergang zur Bewußtlosigkeit nicht
so mcrkt — — —.
So, es ist gelungen, niemand hat
mich gesehen; ich nahm den vanille-
likör, dcn trinke ich so schrecklich gern,
es soll das letzte Gute auf Erden sein!
Und jetzt lebe wohl, geliebte ksilde,
ich sühle schon so ein Brausen in den
Vhren, und doch ist die Bfentür noch
gar nicht offcn, es muß wohl das lserz-
klopfen daran schuld sein. Und jetzt
zur Tat; noch einen Auß, Dir, meine
Treue, dann lösche ich die Lampe und
damit mein Lebenslicht.
Deine unglückliche Käthe.
n einem Buche, das ich heut' fand
Beim Vrdnen meiner bunten Rcgale,
Lntdeckte meine blätternde lsaud,
Ein trockenes Kleeblatt mit einem Ukale.
Und bci dcm Blatte ein Flöckchen lsaar
von eincm Blondkopf, so weich wie Seide,
Und an dem Buchrand zu lesen wari
„Das Kleeblatt bringt das Glück für
uns beide."
Und noch das Datum: vierzehnter Ukai,
Die Iahrzahl war fast nimmer zu lesenl
Der dieses schrieb, ist lange vorbei
Und die, der es galt, ist lange gewesen.
Still lcgte ich Blatt und lsaar zurück
Uud träume in den dämmernden Stundcn,
Vb sie ihr heißersehntes Glück
Gcfundcn oder — nicht gefunden. — — -
Leo Heller.
2l. Februar.
Liebste lsildel
lUeine Schwester Käthe hat Ihnen gestern geschricbcn, ich
sah den Brief auf ihrem Schreibtisch licgen und habe in der
Konfusion, in die uns ein dummer Streich von ihr versetzte,
vergesscn, desscn Absendung zu verhindern. Da er gewiß Dinge
cnthält, die Sie in Angst und Schreckcn vcrsetzen, will ich nur
die kurze Nachricht nachschicken, daß Käthe ihren vorsatz in so
ungenügender lveise ausführte, daß wir hoffen, sie morgen
wieder vollkommen wohlauf zu sehen. Glcichzeitig bitte ich
Sie im Auftrage meiner Lltern, Ihre liebe Frau Nlama zu
fragen, ob sie die Güte hätte, Käthe, die für die Ferien Ihr
Gast sein sollte, jctzt schon aus einige lvochcn bci sich auf-
zunehmen. lvir sind dcr Ansicht, daß eine solche sofortige Luft-
veränderung die Folgen des gestrigen Geniestreiches allerseits
am ehesten ausglcichen würde.
!Uit unscrn bestcn Lmpfehlungen an Ihre gütige Frau
Mama grüßt Sie herzlich Ihre lselene Bergmann.
25. Februar.
lUeiuc teure ksilde!
Ich darf also zu euch und noch dazu ohne Retourkarte, also
unbegrcnzter llrlaub, gleichbedeutend mit endgiltigcm Schulschluß
sür mich, ach lsilde, wie bin ich glücklich! Das ist doch ein
Resultat, wert des Schrccklichcn, was ich durchgcmacht habc.
Eigcntlich ist's eine greuliche Blamage gcwesen und ich glaubc,
es ist besser, ich erzähle Dir das vor meiner Abreise noch schristlich,
damit wir dann nichts mehr rcden dürscn übcr dic duinine
Geschichte. Ls war zu gräßlich. Also höre:
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Das Kleeblatt
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: In einem Buche, das ich heut' fand / Beim Ordnen meiner bunten Regale, / Entdeckte meine blätternde Hand, / Ein trockenes Kleeblatt mit einem Male. // Und bei dem Blatte ein Flöckchen Haar / Von einem Blondkopf, so weich wie Seide, / Und an dem Buchrand zu lesen war: / "Das Kleeblatt bringt das Glück für uns beide." // Und noch das Datum: Vierzehnter Mai, / Die Jahreszahl war fast nimmer zu lesen; / Der dieses schrieb, ist lange vorbei / Und die, der es galt, ist lange gewesen. // Still legte ich Blatt und Haar zurück / Und träume in den dämmernden Stunden, / Ob sie ihr heißersehntes Glück / Gefunden oder - nicht gefunden. - - -
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1905 - 1905
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 62.1905, Nr. 766, S. 105
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg