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Meggendorfer-Blätler, München
(öhcmie.
a, an wen soll denn der Brandbrief da wieder gehen?"
fragte Studiosus Fellmer seinen Kommilitonen und
Intimus Bauditz, der beim Eintritt des Besuches mit
kummervoller Miene am Tische saß und einen fertigen Brief
noch einmal zu überlesen schien; er war augenscheinlich nicht
in rosigster Laune.
„Wer sagt Dir denn, daß das hier ein Brandbrief ist?"
knurrte er gereizt.
„Aber Lauditzchen," lachte Fellmer, „um das zu erraten,
bedarf es doch keiner großen Kombinationsgabe. Mir befinden
uns im letzten Drittel des Monats!"
„Na ja, es ist ein Brandbrief. Rosine Lämmchen, eine
schwerreiche alte Tante, wird die Ehre haben, ihn zu empfangen,
— und sich daraus hoffentlich mit ein paar blauen oder gar
einem braunen Lappen ,löffeln*. Denn sie hat's ja dazu, und
ich habe in diesem Schreiben ,schweres Geschütz* aufgefahren."
„Und mit der Perspektive auf diesen Goldregen machst Du
solch grämliches Gesicht?"
„Meil mir noch das Hauptnrittcl zur Erlangung dieses
Goldregens fehlt. — Ja, wenn die moderne Chemie nicht wäre!"
„Die moderne Chemie? . . . Mas hat die-"
„Höre nur weiter. — Tantchen Rosine muß man nämlich
zu ,nehmen* wissen, wenn sie einem in Mammonsnöten helfend
unter die Arme greifen soll. Ihre Schwäche ist ihre große
Empfänglichkeit für Sentimentalitäten. Wer diese ihre Achilles-
ferse geschickt zu treffen weiß, ist des Erfolges ziemlich sicher.
Darum ist dieser Brief hier
ein gar rührselig Klagelied
über meine ungünstige mate-
rielle Lage: daß mich die
Geldnot schwer bedrücke,
mir die zu einem erfolg-
reichen Studium unbedingt
nötige Lebensfreude raube;
daß ich möglichenfalls ge-
nötigt sein würde, früher
oder später das heißgeliebte
Studium aufzugeben, daß sich
beimGedanken andieseEven-
tualilät mein Herz schmerz-
lich zusammenkrampfe usw.
— Mein Vater ist ja tat-
sächlich kein reicher Mann,
was der Tante wohl bekannt
ist. — Zum Schluffe kommt
dann die Wendung, ich müsse
nun mit Schreiben aushören,
da die rinnenden Tränen
meinen Blick verdunkelten
und die Schristzüge zu ver-
löschen drohten. Tränen-
spuren muß der Brief un-
bedingt aufwcisen."
„Und auf dergleichen
fällt die Tante herein? Da
scheint ihr geistiger Standard
kein allzu hoher zu sein!"
„Ich wage Dir nicht
zu widersprechen, doch darf
sie auch nicht unterschätzt
werden. Ihre zweite beson-
ders ausgeprägte Charakter-
eigenschaft ist nämlich das
Mißtrauen. Tränen wirken
wohl bei ihr, aber nur, nach-
dem Tante die Ucberzcugung
gewonnen, daß sie echt, kein
Surrogat sind. Davon weiß
mein Vetter Albert ein Lied
zu singen; der schrieb ihr
vor Jahr und Tag auch
solchen ergreifenden Brief
und am Schluffe fehlten auch
die Zähren nicht. Nach acht
Tagen antwortete Tantchen,
sie hätte die Träncnspuren
Unbedacht.
Junge Frau Izu», Gast, -,nem S>aalsa»wat,,: „H,e essen aber nut einem Gesicht, als wen» Sie gleich
ein Jahr Gefängnis gegen mich beantragen wollten!"
— „Gott bewahre . . . höchstens sechs Wochen!"
Meggendorfer-Blätler, München
(öhcmie.
a, an wen soll denn der Brandbrief da wieder gehen?"
fragte Studiosus Fellmer seinen Kommilitonen und
Intimus Bauditz, der beim Eintritt des Besuches mit
kummervoller Miene am Tische saß und einen fertigen Brief
noch einmal zu überlesen schien; er war augenscheinlich nicht
in rosigster Laune.
„Wer sagt Dir denn, daß das hier ein Brandbrief ist?"
knurrte er gereizt.
„Aber Lauditzchen," lachte Fellmer, „um das zu erraten,
bedarf es doch keiner großen Kombinationsgabe. Mir befinden
uns im letzten Drittel des Monats!"
„Na ja, es ist ein Brandbrief. Rosine Lämmchen, eine
schwerreiche alte Tante, wird die Ehre haben, ihn zu empfangen,
— und sich daraus hoffentlich mit ein paar blauen oder gar
einem braunen Lappen ,löffeln*. Denn sie hat's ja dazu, und
ich habe in diesem Schreiben ,schweres Geschütz* aufgefahren."
„Und mit der Perspektive auf diesen Goldregen machst Du
solch grämliches Gesicht?"
„Meil mir noch das Hauptnrittcl zur Erlangung dieses
Goldregens fehlt. — Ja, wenn die moderne Chemie nicht wäre!"
„Die moderne Chemie? . . . Mas hat die-"
„Höre nur weiter. — Tantchen Rosine muß man nämlich
zu ,nehmen* wissen, wenn sie einem in Mammonsnöten helfend
unter die Arme greifen soll. Ihre Schwäche ist ihre große
Empfänglichkeit für Sentimentalitäten. Wer diese ihre Achilles-
ferse geschickt zu treffen weiß, ist des Erfolges ziemlich sicher.
Darum ist dieser Brief hier
ein gar rührselig Klagelied
über meine ungünstige mate-
rielle Lage: daß mich die
Geldnot schwer bedrücke,
mir die zu einem erfolg-
reichen Studium unbedingt
nötige Lebensfreude raube;
daß ich möglichenfalls ge-
nötigt sein würde, früher
oder später das heißgeliebte
Studium aufzugeben, daß sich
beimGedanken andieseEven-
tualilät mein Herz schmerz-
lich zusammenkrampfe usw.
— Mein Vater ist ja tat-
sächlich kein reicher Mann,
was der Tante wohl bekannt
ist. — Zum Schluffe kommt
dann die Wendung, ich müsse
nun mit Schreiben aushören,
da die rinnenden Tränen
meinen Blick verdunkelten
und die Schristzüge zu ver-
löschen drohten. Tränen-
spuren muß der Brief un-
bedingt aufwcisen."
„Und auf dergleichen
fällt die Tante herein? Da
scheint ihr geistiger Standard
kein allzu hoher zu sein!"
„Ich wage Dir nicht
zu widersprechen, doch darf
sie auch nicht unterschätzt
werden. Ihre zweite beson-
ders ausgeprägte Charakter-
eigenschaft ist nämlich das
Mißtrauen. Tränen wirken
wohl bei ihr, aber nur, nach-
dem Tante die Ucberzcugung
gewonnen, daß sie echt, kein
Surrogat sind. Davon weiß
mein Vetter Albert ein Lied
zu singen; der schrieb ihr
vor Jahr und Tag auch
solchen ergreifenden Brief
und am Schluffe fehlten auch
die Zähren nicht. Nach acht
Tagen antwortete Tantchen,
sie hätte die Träncnspuren
Unbedacht.
Junge Frau Izu», Gast, -,nem S>aalsa»wat,,: „H,e essen aber nut einem Gesicht, als wen» Sie gleich
ein Jahr Gefängnis gegen mich beantragen wollten!"
— „Gott bewahre . . . höchstens sechs Wochen!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Unbedacht
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: Junge Frau (zum Gast, einem Staatsanwalt): "Sie essen aber mit einem Gesicht, als wenn Sie gleich ein Jahr Gefängnis gegen mich beantragen wollen!" / - "Gott bewahre ... höchstens sechs Wochen!"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1905
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Zeitpunkt Aufnahme (normiert)
2013-11-21 - 2013-11-21
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 63.1905, Nr. 778, S. 86
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg