Zeitschrift für Humor und Kunst
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Rasiert.
enn man liest, daß es Kadetten gibt, welche ihre letzten
Nickel zum Bader tragen, um sich dafür den Bart abnehmen
zu lassen, so ist man geneigt, dies als Witz zu belachen. Aber
dem ist nicht so, denn Kadett Paul von der Minkel-Mankel
befand sich tatsächlich in dieser Lage. Er hatte noch dreißig
Pfennige in seinem Lederbeutelchen und war nun eine Beute
grausamsten Zweifels, ob er diese Summe dem Moloch des
Seifenschaumes opfern sollte oder — — — — — — — —
Wohl zum zwanzigsten Male blickte er in den Spiegel, um
seine untere Gesicht-Hälfte mit kritischer Miene zu mustern;
nicht etwa, um zu konstatieren, ob überhaupt ein sprossender
Bart vorhanden sei, nein, Kadetten haben selbstverständlich
Bart, sogar kolossal, sondern es handelte sich darum, ob er
eventuell unrasiert zu dem verabredeten Stelldichein gehen
konnte. Denn Paul von der Minkel-Mankel hatte ein Stell-
dichein.
Aber dann waren eben die dreißig Pfennige beim
Geier.
Doch Soldaten müssen sich daran gewöhnen, Gpfer zu
bringen und so warf Minkel-Mankel entschlossen seinen Spiegel
hin, schnallte sich seinen Säbel um und ging festen Schrittes zu
einem Friseur. Der „Salon" war ziemlich
besetzt, sogar einige Leutnants und Fähnriche
befanden sich unter den wartenden, und mit
stolzgeschwellter Brust setzte sich Paul von
der Minkel-Mankel in eine Ecke, nahm eine
Zeitung vor und wartete. Lile hatte er ja
keine.
Und so verging eine halbe Stunde und
noch eine. Der Laden hatte sich allmählich
geleert und der Inhaber desselben blickte er-
wartungsvoll nach Herrn von der Minkel-
Mankel hinter der großen Zeitung. Doch der
hohe Herr rührte sich nicht, verdutzt faßte
sich der gute Mann an den Kopf: sollte er
den Kadetten schon rasiert haben? Er hatte
in der letzten halben Stunde so viele Uniformen
unter dem Messer gehabt, daß er wirklich
nicht wußte, ob Minkel-Mankel darunter ge-
wesen war. Er blickte so scharf als möglich
nach dem Gesichte des Kunden, aber er konnte
daraus die Antwort auf seinen Zweifel nicht
lesen. Er konnte ebensogut rasiert sein wie
nicht. Und ihn fragen? Das wäre ja eine
unerhörte Taktlosigkeit, wenn nicht gar Be-
leidigung gewesen. Er beschloß also abzu-
warlen; cs gab ja viele Kunden, welche nach
dem Rasieren ihre angcfangene Lektüre noch
zu Ende lasen.
Allmählich wurde Paul von der Minkel-
Mankel auf das Benehmen des Friseurs
aufmerlsam. Er blickte hinter der Zeitung
vor und sah, daß der Laden leer war.
Hi», hm, warum forderte ihn denn der
Herr Besitzer nicht auf, Platz zu nehmen?
Er hustete einiges und wartete. Der Mann
tat nicht dergleichen. Das war denn doch
unerhört. Er hustete nochmals; der Friseur
hustete gleichfalls, was ungefähr sagen wollte:
Ich weiß schon, daß Du da bist! Schon wollte
Minkcl Mankel auffahrcn, da trat ein neuer
Kunde in das Lokal. Jetzt mußte es sich ja jeM a nobler
entscheiden, ob ihn der Friseur etwa bloß aus stehlen kann!
purer Höflichkeit nicht in seiner Lektüre hatte stören wollen.
Ihm gebührte unbedingt der Vorrang und der Friseur mußte
ihn nunmehr auf diesen Umstand aufmerksam machen. Doch das
geschah nicht; mit größter Dienftfertigkeit wurde der Neuan-
kömmling behandelt und Herr von der Minkel-Mankel blieb
unbeachtet.
Da aber dämmerte auch plötzlich die volle Wahrheit in
dem Hirn des arinen Kadetten: der Mann glaubt, ich sei schon
rasicrtl Ja, ja, es war kein Zweifel daran. Der neue
Kunde ging wieder fort und der Friseur zog wiederum sein
Messer ab.
Ein tiefer Schmerz durchzog die jugendliche Brust. Sollte er
hingehen und sagen: „Bitte, Sie haben mich noch nicht rasiert?!"
Das wäre ja eine gründliche Blamage gewesen! Nein, eine
Soldatenbrust ist eine Heldenbrust. Vhne mit einer Wimper
zu zucken, legte Paul die Zeitung beiseite, zog die dreißig
Pfennige aus der Tasche und sagte im gleichgültigsten Tone:
„Hier bitte!" Und der Friseur erwiderte: „Danke sehr, Herr
Leutnant, beehren Sie mich bald wieder I" Und Paul von der
Minkel-Mankel ging unrasiert zum Rendezvous.
C. A. Hcnnig.
Wunsch.
(sich in den, gestodleiien Anzug be,rach,cnd>, „Herrschaft! Bin ich aber
Herr . . . Schad', daß ich mir nicht auch ein andres G'sicht
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Rasiert.
enn man liest, daß es Kadetten gibt, welche ihre letzten
Nickel zum Bader tragen, um sich dafür den Bart abnehmen
zu lassen, so ist man geneigt, dies als Witz zu belachen. Aber
dem ist nicht so, denn Kadett Paul von der Minkel-Mankel
befand sich tatsächlich in dieser Lage. Er hatte noch dreißig
Pfennige in seinem Lederbeutelchen und war nun eine Beute
grausamsten Zweifels, ob er diese Summe dem Moloch des
Seifenschaumes opfern sollte oder — — — — — — — —
Wohl zum zwanzigsten Male blickte er in den Spiegel, um
seine untere Gesicht-Hälfte mit kritischer Miene zu mustern;
nicht etwa, um zu konstatieren, ob überhaupt ein sprossender
Bart vorhanden sei, nein, Kadetten haben selbstverständlich
Bart, sogar kolossal, sondern es handelte sich darum, ob er
eventuell unrasiert zu dem verabredeten Stelldichein gehen
konnte. Denn Paul von der Minkel-Mankel hatte ein Stell-
dichein.
Aber dann waren eben die dreißig Pfennige beim
Geier.
Doch Soldaten müssen sich daran gewöhnen, Gpfer zu
bringen und so warf Minkel-Mankel entschlossen seinen Spiegel
hin, schnallte sich seinen Säbel um und ging festen Schrittes zu
einem Friseur. Der „Salon" war ziemlich
besetzt, sogar einige Leutnants und Fähnriche
befanden sich unter den wartenden, und mit
stolzgeschwellter Brust setzte sich Paul von
der Minkel-Mankel in eine Ecke, nahm eine
Zeitung vor und wartete. Lile hatte er ja
keine.
Und so verging eine halbe Stunde und
noch eine. Der Laden hatte sich allmählich
geleert und der Inhaber desselben blickte er-
wartungsvoll nach Herrn von der Minkel-
Mankel hinter der großen Zeitung. Doch der
hohe Herr rührte sich nicht, verdutzt faßte
sich der gute Mann an den Kopf: sollte er
den Kadetten schon rasiert haben? Er hatte
in der letzten halben Stunde so viele Uniformen
unter dem Messer gehabt, daß er wirklich
nicht wußte, ob Minkel-Mankel darunter ge-
wesen war. Er blickte so scharf als möglich
nach dem Gesichte des Kunden, aber er konnte
daraus die Antwort auf seinen Zweifel nicht
lesen. Er konnte ebensogut rasiert sein wie
nicht. Und ihn fragen? Das wäre ja eine
unerhörte Taktlosigkeit, wenn nicht gar Be-
leidigung gewesen. Er beschloß also abzu-
warlen; cs gab ja viele Kunden, welche nach
dem Rasieren ihre angcfangene Lektüre noch
zu Ende lasen.
Allmählich wurde Paul von der Minkel-
Mankel auf das Benehmen des Friseurs
aufmerlsam. Er blickte hinter der Zeitung
vor und sah, daß der Laden leer war.
Hi», hm, warum forderte ihn denn der
Herr Besitzer nicht auf, Platz zu nehmen?
Er hustete einiges und wartete. Der Mann
tat nicht dergleichen. Das war denn doch
unerhört. Er hustete nochmals; der Friseur
hustete gleichfalls, was ungefähr sagen wollte:
Ich weiß schon, daß Du da bist! Schon wollte
Minkcl Mankel auffahrcn, da trat ein neuer
Kunde in das Lokal. Jetzt mußte es sich ja jeM a nobler
entscheiden, ob ihn der Friseur etwa bloß aus stehlen kann!
purer Höflichkeit nicht in seiner Lektüre hatte stören wollen.
Ihm gebührte unbedingt der Vorrang und der Friseur mußte
ihn nunmehr auf diesen Umstand aufmerksam machen. Doch das
geschah nicht; mit größter Dienftfertigkeit wurde der Neuan-
kömmling behandelt und Herr von der Minkel-Mankel blieb
unbeachtet.
Da aber dämmerte auch plötzlich die volle Wahrheit in
dem Hirn des arinen Kadetten: der Mann glaubt, ich sei schon
rasicrtl Ja, ja, es war kein Zweifel daran. Der neue
Kunde ging wieder fort und der Friseur zog wiederum sein
Messer ab.
Ein tiefer Schmerz durchzog die jugendliche Brust. Sollte er
hingehen und sagen: „Bitte, Sie haben mich noch nicht rasiert?!"
Das wäre ja eine gründliche Blamage gewesen! Nein, eine
Soldatenbrust ist eine Heldenbrust. Vhne mit einer Wimper
zu zucken, legte Paul die Zeitung beiseite, zog die dreißig
Pfennige aus der Tasche und sagte im gleichgültigsten Tone:
„Hier bitte!" Und der Friseur erwiderte: „Danke sehr, Herr
Leutnant, beehren Sie mich bald wieder I" Und Paul von der
Minkel-Mankel ging unrasiert zum Rendezvous.
C. A. Hcnnig.
Wunsch.
(sich in den, gestodleiien Anzug be,rach,cnd>, „Herrschaft! Bin ich aber
Herr . . . Schad', daß ich mir nicht auch ein andres G'sicht
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Wunsch
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: Gauner (sich in dem gestohlenen Anzug betrachtend): "Herrschaft! Bin ich aber jetzt a nobler Herr ... Schad', daß ich mir nicht auch ein andres G'sicht stehlen kann!"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1905
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Zeitpunkt Aufnahme (normiert)
2013-11-21 - 2013-11-21
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 63.1905, Nr. 778, S. 91
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg