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Miethke, Jürgen [Hrsg.]
Geschichte in Heidelberg: 100 Jahre Historisches Seminar, 50 Jahre Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde — Berlin, Heidelberg [u.a.], 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.2741#0254
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schichte des Wirtshauses, der Trunkenheit, der Prostitution, der Gerüche, des Le-
sens, der Krankheit, des Hungers, des Todes, des Fests, des Denkmals und des
Mülls. Auch Themen wie die Geschichte der Familie und der Ehe, der Frau und der
Jugend werden erst seit etwa 15 Jahren in Deutschland behandelt. Diese Auswei-
tung der Gegenstandsbereiche hat dazu geführt, daß eine Fülle neuer Quellengat-
tungen für die Geschichtswissenschaft fruchtbar gemacht wurde: Grundrisse von
Häusern und Wohnungen, Adreßbücher, Testamente, bildliche Darstellungen aller
Art.

Die genannten Fortschritte werden allerdings mit Tendenzen erkauft, die man
nicht ebenso vorbehaltlos begrüßen kann.

Hier ist vor allem die wachsende Spezialisierung zu nennen. Rein chronolo-
gisch wird in Stellenausschreibungen allein die Neuere Geschichte mittlerweile in
bis zu vier Epochen eingeteilt: Frühe Neuzeit, 19. Jahrhundert, Zeitgeschichte und
hier und da noch speziell Nachkriegsgeschichte. Hinzu kommen regionale Spezia-
lisierungen von der jeweiligen Landesgeschichte bis zur osteuropäischen oder auch
amerikanischen Geschichte sowie die sachlichen Einschränkungen: Sozialge-
schichte, Geschichte der Internationalen Beziehungen, Geschichtstheorie.

Eine gewisse Verengung des Gesichtskreises ist die unvermeidliche Folge sol-
cher Spezialisierungen. Diese Verengung kann auch nur in Grenzen durch eine
- übrigens noch kaum irgendwo existierende - Arbeit in Forschergruppen aufge-
wogen werden, weil die Geschichtswissenschaft zu den Fächern gehört, in denen
-jedenfalls bisher- die bedeutenden Leistungen in der Regel aus dem Einfalls-
reichtum, der Phantasie und der Risikobereitschaft des Einzelforschers hervorge-
wachsen sind. Die Chance zur Entwicklung und erfolgreichen Umsetzung dieser
Qualitäten erscheint jedoch um so höher, je größer die Zahl der Epochen und Ge-
sellschaften ist, zu denen ein Historiker sich aufgrund eigener Forschungen einen
Zugang erarbeitet hat.

Eine weitere eher problematische Tendenz ist die zunehmende Hermetisierung
der Geschichtswissenschaft. Für den Nichthistoriker, und zwar nicht nur für das
Publikum, sondern auch für den Vertreter einer Nachbarwissenschaft, werden die
geschichtswissenschaftlichen Arbeiten immer schwerer zugänglich. Die Speziali-
sierung der Themen bei gleichzeitiger Vermehrung der Zahl der Historiker hat dazu
geführt, daß der Stellenwert und die Aussage einer einzelnen Publikation häufig
erst deutlich werden, wenn man die gesamte Diskussion, zu der sie ein Beitrag sein
soll, zur Kenntnis genommen hat. Die Verlagerung solcher Diskussionen in Fach-
zeitschriften tut ein übriges, um Nichtbistorikem den Einblick zu erschweren.

Hinzu kommt die Spezialisierung der Sprache des Historikers. Die Begriffe
werden technischer und abstrakter. Der Abstand zur Alltagssprache vergrößert sich.
Diese Tendenz erscheint unaufhaltsam, auch wenn mancher hier des Guten - oder
vielmehr Nichtguten - zuviel tun mag. Wie dem auch sei: Das Schreiben ist eine
eigene Kunst. Schließlich hat bisher nur ein einziger Historiker den Nobelpreis für
Literatur errungen, und das ist lange her.

Übrigens ist eine Folge der Hermeüsierung auch der Umstand, daß es heute
eine deutliche Kluft gibt zwischen dem, was Historiker für ihre Fachgenossen, und
dem, was sie oder vielmehr zumeist andere für ein größeres Publikum schreiben.
 
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