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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 10.1911

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Nr. 10
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Breuer, Robert: Hannover
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https://doi.org/10.11588/diglit.24589#0605
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-- 7

(x)MODERNEB

■AUFORMEN 10 :

HANNOVER

von ROBERT BREUER, BERLIN

Hannover liegt drei Stunden von Berlin; Leute,
die der Diplomatie nicht sehr mächtig sind,
haben es keck einen Vorort genannt. Das ist freilich
nicht mehr als ein Witz, bedeutet aber dennoch ein
Schicksal. In der Tat fällt der Schatten Berlins
bis hinüber an die Leine und hindert die Stadt ein
wenig daran, sich zu einem Spezifikum zu entwickeln.
Ihre Physiognomie wird nie so klar und eindeutig
sein können, wie es die Dresdens oder Münchens
oder Düsseldorfs stets war und immer bleiben wird.
Nie wird es einen Hannoverischen Stil geben. V
V Andererseits, und das könnte beinahe als eine
Widerlegung des ersten Postulates begriffen sein,
hat Hannover eine historische Tradition. Es gehört
für die architektonische Empfindung in den Kreis,
der Hildesheim, Braunschweig, Lüneburg, Quedlin-
burg, der das Fachwerkhaus der Gotik und der
Renaissance, romanische Dome und urdeutsche
Ratshäuser umfasst. Solch Erbe wird leicht zur
Last; es drückt auf die Selbständigkeit der leben-
digen Gegenwart. Es lässt die Emanzipation zur
modernen Welt als ein Vergehen gegen die Pietät
erscheinen. Das grosse Erbe beunruhigt die Ent-
wicklung von heute zu morgen. Und gerade da-
durch bestätigt und verdichtet sich das Schicksal
Hannovers: dass es nur drei Stunden von Berlin
liegt. Seine Architektur wird der Diagonale ge-
hören, einer Diagonale zwischen dem Sentiment
halbdunkler Märkte und der rauhen Klarheit einer
Organisation für Millionen. V

V Es ist nur selbstverständlich, dass solche prädes-
tinierte Diagonale mancherlei Ablenkungen unter-
liegt. Konservativer Widerstand und impulsives
Vorwärtsstossen stören zu gleichem Mass die Ent-
wicklung. Leicht ist es, hierfür Beispiele zu er-
bringen. Zum Exempel: Hannover besitzt eine
Hochschule; das Schulgebäude sollte ein Welfen-
schloss werden. Nach irgend welchen mysteriösen
Prinzipien blieb trotz alledem und allerdings in
diesen Mauern eine Tendenz zum Stillstand und zur
Aufhaltung des Unvermeidlichen wirksam. Man
braucht nur an die zähe Hegemonie des alten, ver-
storbenen Hase zu denken und an die Strassenzüge,
die in der Nachfolge dieses Schematikers mit den
inzwischen berüchtigt gewordenen Backsteinbauten

besetzt wurden. Man braucht nur zu erinnern,
dass Ideengänge, die in Berlin (durch Seesselberg
vertreten) nur eine Kuriosität bleiben, in Hannover
den Schein einer gewissen Bodenständigkeit und
Logik bekommen. Wo anders hätte wohl die Fiktion
des Frühgermanischen als Urquelle aller Kunst so
erregte Vertreter finden können, als in Hannover.
Es dürfte doch wohl symptomatisch sein, dass hier
Mohrmann, Haupt und Eichwede bald miteinander,
bald gegeneinander die Kunst einem imaginären,
von ihnen geglaubten Urteutonismus reklamierten.
Und gerade in solcher Perspektive ist für das Schick-
sal Hannovers vielleicht nichts charakteristischer, als
die Germanendämmerung, die sich dem Einsichtigen
offenbart: der Backsteinbau wehrt sich energisch
gegen den Historizismus, er weiss sich ortseinge-
sessen, aber er will nicht länger tote Systeme repe-
tieren. Aus solchem Zusammenhang begriffen ist
das Fabrikgebäude, das Siebrecht für Bahlsen aus
Backsteinen fügte, eine befreiende Tat. Derartiger
Zwischenglieder, die aus der Atmosphäre des Erbes,
bald bedingter, bald rückhaltloser, nach der Gegen-
wart gravitieren, gibt es noch verschiedene. Her-
mann Schaper war solch ein Zwischenglied. Er,
den man leicht für einen Archaisten halten konnte,
hat trotz seiner Hingabe an eine der ältesten Aus-
drucksformen europäischer Kunst, stets Freude an
den Absichten des Tages gehabt. Er hat die Marien-
burg ausgemalt und das Mosaik des Aachner Müns-
ters erneuert, und wird damit geirrt haben. Er hat
aber auch die Hannoversche Garnisonkirche mit
Bildern geschmückt, die selbst einem Radikalen
leidlich erscheinen. Er hat, was wertvoller ist, sich
nicht gescheut, für die Absichten des Deutschen
Werkbundes, dieser Versammlung der Modernen,
lebhaft einzutreten; er war, was ihm nie vergessen
sein darf, so etwas wie ein Vater der Jungen, auch
derer, die ganz wo anders hinaus wollten. Und noch
ein anderes Symptom: Noch vor wenigen Jahren
hat der Hannoversche Kunstverein durch allerlei
Quertreibereien sich den traurigen Beinamen eines
reaktionären Dilettantenklubs gefallen lassen müssen;
heute kann er sich bereits einiger vortrefflich ge-
lungener Ausstellungen rühmen. In seinem Vor-
stand sitzt Professor Ross, der als Senator die Ab-

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