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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 10.1911

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Nr. 10
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Breuer, Robert: Hannover
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https://doi.org/10.11588/diglit.24589#0606

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458

Hannover

sichten des Stadtdirektors (der sich von Liebermann
malen Hess) unterstützt, der an der Technischen
Hochschule den Studenten (und auch den Damen
der Gesellschaft) ein Führer in das zwanzigste Jahr-
hundert sein möchte; an der gleichen Hochschule,
die noch bis vor kurzem kein Kolleg über Städte-
bau lesen lies, deren Lehrkörper aber heute Pro-
fessor Blum, einer der bedeutsamsten Sieger aus
dem Wettbewerb um Gross-Berlin, zugehört. V

V Wenn sich so zeigen lässt, dass der konservative

Widerstand, der hier und da die Tendenz zur Dia-
gonale aufhalten möchte, schon bedeutsam abge-
schwächt wurde, so ist nicht minder leicht nach-
zuweisen, dass auch die Fehlgriffe, die an sich nicht
geleugnet werden können, bereits eine Ueberwin-
dung fanden. Keinen grösseren Irrtum hat die Stadt
Hannover wohl je begangen, als den, Herrn Eggert
für den Bau des neuen Rathauses zu berufen. Sie
glaubte, einen Modernen zu finden und empfing nur
einen Unfähigen. Darüber bedarf es keiner Worte.
Aber es muss beachtet sein, dass der Irrtum er-
kannt und wenigstens der Innenausbau des Stadt-
hauses gerettet wurde. Man wandte sich an Wallot,
der empfahl seinen alten Gehilfen vom Reichstag,
Gustav Halmhuber. Und der wiederum bewies
dadurch, dass er einen Teil der Wandgemälde an
Ferdinand Hodler übertrug, guten Instinkt für das,
was als Bleibendes kommt. Solche Reparatur des
Falles Eggert ist indess nicht einsam geblieben.
Die Stadtverwaltung hat die landläufige Gleichgültig-
keit gegen die städtebaulichen Probleme und die
architektonischen Aufgaben abgeschüttelt. Für zwei
der wichtigsten Aufgaben der Zukunft: für den Aus-
bau der Bennigsenstrasse und für die neugeplante
Stadthalle erliess sie Wettbewerbe. Deren erster
brachte durch die Lösungen von Hubert Ross, Sieb-
recht und Usadel manch treffliche Anregung; deren
zweiter bewies durch die Teilnahme von Thiersch,
Bonatz, Emanuel Seidl und Brurein, dass die Stadt
Hannover (was ihr lange verloren war) von den
Meistern der Architektur wieder ernstgenommen
wird. V

V Solch Bekenntnis und Erfolg der Offiziellen wäre
indes zwecklos, wollte nicht auch das Kapital sich
der Bewegung anschliessen. Es ist ein gutesZeichen
für die Gesundheit Hannovers, dass die Industrie
den Vormarsch mitgemacht hat. Einige Notizen
dürften das erweisen. Der Wettbewerb, den die
Farbenfabrik Günther Wagner veranstaltete, und
die dafür berufene Jury zeigte zum mindesten, dass
es an der Witterung für das, was not tut, nicht
fehlt. Der Erfolg, den die alte Geschäftsbücher-
Fabrik von König & Ebhardtauf der Brüsseler Welt-
ausstellung davon trug, gab Zeugnis für die Mög-

lichkeit eines nützlichen Zusammenarbeitens von
Berliner Künstlern mit Hannoverschen Industriellen.
Des weiteren: man hört, dass Peter Behrens für die
Continental einen Neubau errichten soll. Und
schliesslich: man kann schon heute die Neubauten
der Hannoverschen Cakesfabrik anschauen. Was
hier Karl Siebrecht geschaffen hat, der Backsteinbau,
der bereits als eine Wiedergeburt der Hannover-
schen Tradition gekennzeichnet wurde, das Ver-
waltungsgebäude, das den Travertin für den Aus-
druck einer innerlich wahrhaftigen Repräsentation
zu nutzen wusste, das alles in der Fülle seiner
interessanten Details und in seiner Ganzheit als
architektonischerAusdruck einer wirklich modernen,
grosszügigen und unternehmungstüchtigen Fabrik,
verdient das bedingungslose Lob eines jeden, der
den wahren Wert der industriellen Produktion daran
misst: welchen Beitrag sie der Gesamtkultur leistet.

V In diesem Zusammenhang ist der Bildhauer Georg
Herting zu nennen, dessen reiche und glückliche
Ideen diesen Bauten nicht nur einen ebenso sach-
lichen wie preziösen Schmuck gaben, die vielmehr
den Bau selber bestimmen halfen. Herting, der kürz-
lich als Professor an die Braunschweiger Hochschule
berufen wurde, hat auch sonst in Hannover und dessen
Umgegend manch ausgezeichnetes Werk aufgestellt;
er schuf das temperamentvoll modellierte Trip-Denk-
mal, er gewann (ein seltenes Ereignis und zugleich
ein stichhaltiger Beweis) bei der Konkurrenz um
den Duve-Brunnen mit drei eingereichten Arbeiten
die drei ersten Preise. Man darf ihn getrost den
besten Bildhauer des jetzigen Hannovers nennen. V

V Um aber noch einmal auf die vorbildliche Me-

thode der Cakes-Fabrik zu kommen, soll der Laden-
einrichtungen des Malers Mittag gedacht werden.
Diese liebenswürdigen, für die Delikatesse des Ge-
bäckes symbolkräftigen Innenräume haben schon
manchen Liebhaber des guten Geschmackes (selbst
einen so raffinierten Artisten wie Oscar Bie) erfreut.
Mittag fand in Aenne Koken eine an Lustigkeiten
reiche Gehilfin; und es ist wohl mehr als ein Zu-
fall, dass diese junge Dame, deren Vater im Rat
der Alten unter den Hannoverschen Künstlern vom
Heidekraut sass, mit leichter Geste dem Vergnügen
an der Gegenwart dient. V

V Für das Erwachen des Kapitals gibt auch die
„Schauburg“, das von Leyn & Goedecke neu erbaute
Theater, ein schönes Zeugnis. Die Architekten
haben den leider immer noch nicht ausgestorbenen
Dekorationsschwulst, der erst kürzlich wieder die
neuen Theater von Freiburg und Kiel restlos ver-
darb, glücklich vermieden; sie haben sich der neuen
Tradition des Theaterbaues, der Linie Dülfer, Kauf-
mann, William Müller, eingefügt. Besonders der
 
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