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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 10.1911

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Nr. 9
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Haenel, Erich: Paul Wallot und die Ausstellung seiner Schüler in Dresden
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fx^MODERNE BAUFORMEN^I

Paul Wallot und die Ausstellung seiner Schüler in Dresden

VON ERICH HAENEL, Dresden

Paul Wallot hat, als er das achte Jahrzehnt seines
Lebens nahe sah, die Kraft, die er stets im
Schaffen bekundete, auch im Entsagen bewährt;
er tritt mit Ablauf des Sommers von seinen Aemtern
als Lehrer an der Kunstakademie und an der Tech-
nischen Hochschule in Dresden zurück. Auszeich-
nungen aller Art, Ehrenmitgliedschaften, Medaillen,
Adressen sind dem Meister des Reichstagshauses an
seinem siebzigsten Geburtstag in Menge zuteil ge-
worden. Seine Schüler aber glaubten, ihn nicht besser
ehren zu können als dadurch, dass sie eine erlesene
Anzahl ihrer eignen Arbeiten zu einer Ausstellung
vereinigten und so Zeugnis ablegten von der Fülle
der gestaltenden Mächte, die heute in ihnen leben,
und die durch ihn und bei ihm zur Entwicklung
gebracht worden sind. Die Ausstellung hat in der
Galerie Arnold stattgefunden, und sie gibt will-
kommenen Anlass, einiges über den Meister und
seine Bedeutung zu sagen. V

V In diesen Sommertagen der Völkerwanderung
schweift der Blick über die Grenzen des Reiches
hinaus zu einem andern Jubilar, der gleichfalls die
Schwelle des biblischen Alters überschritten hat.
Ein Versuch, die Persönlichkeiten Paul Wallots
und Otto Wagners in Beziehung und Gegensatz zu
bringen, hat mancherlei Reize. Die Oesterreicher
sind nicht wenig begeisterungsfähig, und so haben
sie auch hier mit Superlativen für ihren Helden
nicht gespart. Man las von dem genialsten lebenden
Architekten, dem unbestrittenen Führer der archi-
tektonischen Moderne, dem geistigen Haupt einer
epochalen Geschmackskultur und anderen schönen
Dingen. Wasser in den Feuerwein dieser Ver-
ehrung zu giessen, ist ebenso billig wie es unpsy-
chologisch wäre. Denn man weiss ja, welche Rolle
der Journalismus auch in Kunstdingen an der Donau
spielt, und wie schnell die Posaunenstösse solcher
Feiern in der dünnen Luft der Monarchie zu ver-
klingen pflegen. Otto Wagner steht, seinem Tempe-
rament und seinen Leistungen nach, seit Jahren im
Mittelpunkt aller architektonischen Interessen an
der Donau; er hat in Büchern, Broschüren und Reden
für seine Gedanken über Wesen und Ziele seiner
Kunst gekämpft und sein und seiner Schüler Werk
ist die Wiener Moderne der angewandten Kunst. Die
Zeiten, da Paul Wallots Name im Munde aller jener war,

die von der akademischen Stilarchitektur und ihren,
von Berlin protegierten Bestrebungen loszukommen
trachteten, liegen ein halbes Menschenalter zurück.
Die siebzehn Jahre seiner Dresdner Wirksamkeit
haben zwar das Dresdner Ständehaus entstehen
sehen, aber dieser Bau, so viel Beweise reifer
Künstlerschaft er auch darbietet, hat nicht den hin-
reissenden Zug, der den Kontur und das Leben der
baulichen Massen im Reichstagshaus beseelt, und
wird nie die vornehme Popularität seines Berliner
Bruders erringen. Das Wesentliche der Dresdner
Zeit in Wallots Laufbahn ist die stillere Arbeit als
Lehrer und Anreger. Ueber das Reichstagshaus
sind die Akten heute so gut wie geschlossen. Man
muss die preisgekrönten Entwürfe des Wettbewerbes
vom 10. Juni 1882 durchblättern, um innezuwerden,
über welches architektonische Gesamtniveau sich
das Werk Wallots erhebt. An stolzen Namen fehlt es
nicht: Friedrich Thiersch behauptet sich neben dem
Sieger, hinter ihm Leute wie Kayser und Groszheim,
Heinrich Seeling, Franz Schwechten, Ende und
Böckmann u. a. Alle zehn Preisarbeiten standen
unter dem Zeichen der italienischen Renaissance,
des damals tonangebenden Stiles der deutschen
Staatsbaukunst, die meisten von ihnen Hessen über
einem, mehr oder weniger mit Säulen und Pilastern
ausgestatteten Rechteck sich eine Kuppel empor-
schwingen. Die wesentlichen Unterscheidungen
betrafen die Frage, ob diese Kuppel über der Mitte
der Anlage und damit in der Regel über der Wandel-
halle oder weiter zurück, über dem Sitzungssaal
schweben sollte. Man weiss, welche Rolle auch in
der Entwicklung von Wallots Entwurf diese Frage
gespielt hat, wie sich gerade an diese Kuppel die
Kritik Berufener und Unberufener klammerte.
Wichtiger, jageschichtlich bedeutsam ist der Wandel,
der sich in den zwölf Jahren, die bis zur Fertig-
stellung des Werkes vergingen, mit der architek-
tonischen Form vollzog. Durch Straffheitund Energie
der Gesamtkonzeption und individuelle Behandlung
des Ornamentalen hatte sich schon der erste Ent-
wurf hoch über das Mass der üblichen Renaissance-
kompositionen hinausgeschwungen. Beim Durch-
arbeiten wurden die Einzelheiten jetzt immer saftiger
und gedrungener, die Gliederung der Wand ruhiger
und herber, der Gegensatz der tektonischen Teile

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