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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 10.1911

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Nr. 8
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Behrendt, Walter Curt: Alt-Berlinische Kunst
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X MODERNE BAUFORMEN ( s

ALT-BERLINISCHE KUNST

VON WALTER CURT BEHRENDT, BERLIN

Die Grosse Berliner Kunstausstellung, dieses bei
den Freunden einer lebendigen Kunstentwick-
lung ein wenig diskreditierte Unternehmen, hat es
in den letzten Jahren an Mühen nicht fehlen lassen,
die endlose und keineswegs immer sehr anziehende
Fülle der zeitgenössischen Produktion mit sozusagen
neutralen, dem Parteigezänk entrückten Gebieten
zu durchsetzen, um durch geschlossene Sonder-
ausstellungen meist retrospektiven Charakters auch
die Liebhaber echter Kunst herbeizulocken. In
diesem Jahr nun muss Alt-Berlin herhalten, dieses
plötzlich und unerwartet entdeckte, übereifrig gelobte
und fast schon überschätzte Alt-Berlin der dreissiger
und vierziger Jahre, in denen die Kunst dieser das
Schicksal aller rasch sich entwickelnden Kultur-
zentren repräsentierenden Stadt von einer leben-
digen Tradition noch gefördert und in ihrer Wirkung
von den Konventionen einer wahrhaft gebildeten
Gesellschaft getragen wurde. Zu dieser Veran-
staltung gab die fünfzigste Wiederkehr des Todestags
Friedrich Wilhelms IV. die äussere Veranlassung.
Ist es auch nicht gelungen, mit dieser Ausstellung
die Beziehungen dieses königlichen Mäzens zur
Berliner Kunst lebendig zu machen, so lässt sich
aus dem Gesamteindruck doch ein liebenswürdiges
Bild der behäbig-bürgerlichen Kultur dieser Zeit
gewinnen. Heute jedoch, wo die überschwängliche
Begeisterung für Herrn Biedermeier bereits be-
trächtlich abzuflauen beginnt, wirkt das Ensemble
dieser Alt-Berliner Interieurs schon fast ein bischen
museumshaft, ein bischen populärsüchtig, wenn dies
Wort gestattet ist, auf die Zustimmung des breiten,
gefälligen Geschmacks eines Gartenlaube-Publikums
berechnet. V

V Dennoch wird dieses Allerweltspublikum sich
mit dem Maler, dessen Werke den Kern dieser
Ausstellung bilden und um dessentwillen sie eigent-
lich arrangiert scheint, nicht recht abzufinden wissen.
Karl Blechen, dieser schillernde Impressionist,
dieser geniale Vorläufer Manets, der mit einer
prachtvollen Kraft der Darstellung die Stimmungs-
lyrik einer Naturimpression in farbige Rhythmen
übersetzte, war nicht geboren worden, um populär
zu sein. Wie er im Leben ein Einsamer gewesen
ist, so wird auch der Kreis seiner nachgeborenen
Bewunderer ein kleiner bleiben. Er gab in seiner

Malerei, und nicht nur innerhalb der Grenzen seiner
Zeit gewertet, ein Höchstes und Letztes an Kunst-
wirkungen und vollzog für sich eine Synthese, die
ihn zum wichtigen Exponenten der Entwicklungs-
geschichte macht. Im Rahmen dieser Betrachtung,
in der die architektonische und kunstgewerbliche
Produktion im Vordergrund stehen muss, interessiert
dieser vielseitig begabte Künstler, von dessen
Wirken die Ausstellung eine erschöpfende Vor-
stellung nicht zu geben vermag*, als der Maler
romantischer Theaterdekorationen, die er, von
Schinkel an das Königstädtische Theater empfohlen,
für diese Bühne lieferte. Damit gewinnt Blechen
lebendige Beziehungen zu demjenigen Künstler, der,
an geistiger Bedeutung alle seine Zeitgenossen weit
überragend, uns in diesem Zusammenhang vor allem
beschäftigen muss, weil er ein Architekt war und
hier der seltene Fall eingetreten ist, dass ein
Architekt zum Führer und Träger einer künst-
lerischen Bewegung wurde und lange Zeit als solcher
weitreichenden Einfluss gehabt hat. V

V In gerechter Würdigung der führenden Stellung,
die Schinkel in dem Alt-Berlin der dreissiger Jahre
inne hatte, hat die Ausstellungsleitung das Andenken
seiner Wirksamkeit durch die Einrichtung einer
Schinkelgalerie geehrt, die, in würdiger Weise nach
Entwürfen des Architekten Hermann Ziller her-
gerichtet und mit gräzisierenden Ornamenten und
Malereien ä la Pompeji geschmückt, neben der
Kollektion der Blechenschen Gemälde den wert-
vollsten Teil dieser retrospektiven Abteilung bildet.
Sie bringt die in unförmlichen Mappen und Litho-
graphiewerken verborgenen Schätze seiner Archi-
tektur- und Dekorationsentwürfe, die kaum in den
Kreisen der Fachleute genügend gewürdigt sind,
endlich einmal zur Kenntnis eines grösseren Publi-
kums, das freilich auch zu dieser sehr spirituellen
und allein mit dem Intellekt wahrhaft von Grund
aus zu würdigenden Kunst nur schwer einen Weg
finden wird. Am ehesten noch darf die phanta-
stische Romantik der Theaterdekorationen auf ein
breiteres Verständnis rechnen; auch hier hat
Schinkel zwar nie mit lauten oder übertriebenen

* Denen, die sich über sein umfangreiches Werk genauer unterrichten
wollen, sei die Lektüre einer Arbeit von G. J. Kern empfohlen, die unter
dem Titel „Karl Blechen, sein Leben und sein Werk“, im Verlag Bruno
Cassirer, Berlin 1911, erschienen ist.

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