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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 10.1911

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Nr. 12
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Curjel, Robert; Moser, Karl: Die evangelische Kirche in Flawil
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https://doi.org/10.11588/diglit.24589#0731

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x;MQDERNE BAUFORMEN(i2^]

DIE EVANGELISCHE KIRCHE IN FLAWIL.

von CURJEL & MOSER, Karlsruhe

Eine Verständigung zwischen Kirche und Kunst
ist für beide Teile nötig und erspriesslich; jedes
Bestreben, impulsives individuelles Schaffen den
seit Jahrhunderten geübten Ueberlieferungen an-
zupassen, muss daher mit Anerkennung begrüsst
werden. Um so mehr, wenn dies in so glücklicher
und vorbildlicher Weise geschieht, wie an der auf
den folgenden Seiten dargestellten evangelischen
Kirche, die von den Architekten Curjel & Moser
in Karlsruhe zu Flawil, dem Hauptort des anmutigen
Unter-Toggenburg (Kanton St. Gallen), erbaut wurde.
V Aeusserlich ist die Kirche eine moderne Barock-
kirche; sie schliesst sich damit den älteren Kirchen-
bauten der Landschaft an, verbirgt aber gleichwohl
nirgends in ihrer ganzen Formensprache das höchst
individuelle Schaffen des neuzeitlichen Künstlers.
Dadurch tritt uns das Bauwerk persönlich nahe;
und da es zugleich auch Erinnerungen an fest-
stehende, mit bestimmten Vorstellungen seit langem
eng verbundene Formbegriffe weckt, wird dem
praktischen Zwecken dienenden Hause die Weihe
ehrwürdiger Traditionen verliehen. Es ist Willkür,
die neue Kunst von der alten zu trennen. Nicht
die Form selbst ist das Ausschlaggebende, sondern
die Stimmung, die durch die Form ausgedrückt
wird und die Erkenntnis, wie weit der moderne
Geist die alte Form durchdringt und zu der seinigen
macht. Stilfragen sind abgetan; aber wir wollen
in jedem neuen Werke, auch wenn es in überlieferten
Formen spricht, die Neuzeit verspüren. V

V Vorerst steht die neue Kirche noch allein auf
den obstbaumbeschatteten Wiesen; nach den General-
plänen sind jedoch westlich, östlich und südlich von
ihr in wohlabgemessenem Abstand ein Pfarrhaus,
ein Mesnerhaus und andere Wohnhäuser geplant,
die den eigentlichen Kirchhof umschliessen sollen.
Durch eine solche Umbauung erhält die Kirche
erst den nötigen Rahmen wie den richtigen Mass-
stab für die in ihr gewollte Steigerung der Bau-
massen; aber auch eine innigere architektonische

Verbindung zwischen dem monumentalen Gottes-
hause und den ländlichen Gebäuden des Dorfes
wird sich dann erzielen lassen. V

V Die Kirche besteht aus einem breiten, nur wenig

gegliederten Langhause ohne Chorausbau und dem
seitlich davon angeordneten hochstrebenden Glocken-
turm mit kupfernem Helm und wundervoller Sil-
houette. Die Mauerflächen sind verputzt, die Sockel
mit Kalkstein verkleidet und alle Architekturglieder
wie auch die Glockenstube, die fünf Glocken von
Meister H. Rütschi in Aarau birgt, aus Tuffstein
hergestellt. V

V Die Gebäudemassen spiegeln die innere Ein-
teilung wieder, die praktischen Erwägungen ent-
sprungen ist. In der achsialen Anordnung von Tauf-
stein, Kanzel und Orgel, die sich in wirkungsvoller
Gruppe übereinander aufbauen, wurde der für prote-
stantische Kirchen als praktisch erprobte Typus
beibehalten. Moderne Formen und Farben in der
Ausstattung bestimmen den neuzeitlichen Eindruck
des mit weitgespannter Tone überdeckten saal-
artigen Raumes, der zusammen mit den Emporen
1100 feste Sitzplätze enthält. Der Mittelpunkt der
ganzen Anlage, Kanzel, Kanzelwand und Taufstein
schimmert in buntem Marmor, in Estrelante, Bleu
beige und Verde antico; darüber erhebt sich der
reich bemalte Orgelprospekt, der eine Orgel von
37 Registern von Goll & Co. in Luzern verkleidet
und ein von Kunstmaler Hermann Meyer in Basel
geschaffenes Bild des Abendmahls umschliesst. V

V Wendet man sich zum Ausgang zurück, fällt der
Blick auf das mächtige Glasgemälde der Berg-
predigt, das wie die figürlichen Verglasungen der
seitlichen Fenster gleichfalls nach Entwürfen von
Hermann Meyer in Basel durch Hans Drinneberg
in Karlsruhe ausgeführt worden ist. So begrenzen
die bildlichen Darstellungen zweier Hauptereignisse
im Leben Christi den Raum. Von der grossen ge-
waltigen Bergpredigt über dem Eingang führt eine
leise aber wirkungsvolle Steigerung der Flächen-

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