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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 10.1911

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Nr. 12
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Curjel, Robert; Moser, Karl: Die evangelische Kirche in Flawil
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Behrendt, Walter Curt: Zu den Arbeiten des Architekten Paul Baumgarten, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.24589#0769

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ZU DEN ARBEITEN DES ARCHITEKTEN
PAUL BAUMGARTEN, BERLIN

Aus dem grossen Kreis der jungen Berliner Archi-
tekten, die, den Namen Alfred Messels als
Aushängeschild benützend, sich stolz und selbst-
bewusst seine Schüler nennen, ragt Paul Baumgarten
durch die männliche Kraft seines wohldisziplinierten
Talentes hervor. Die derbe, unproblematische Natur
dieses Baukünstlers hat sich im Atelier Messels
mit sicherem Instinkt das fruchtbare Traditions-
gefühl des Meisters zu eigen gemacht; seine ur-
sprüngliche Begabung sieht sich nun, vor praktische
Aufgaben gestellt, im Besitz einer umfassenden
Kunstkonvention, die ihm die trockenen Lehren
akademischer Erziehung lebendig werden lässt und
ihm zugleich die Sicherheit einer Produktion ge-
währleistet, die von den schützenden Gewalten einer
fortwirkenden Ueberlieferung gehütet erscheint. So
ist er in kurzer Zeit zu schöner Freiheit des Schaffens
gelangt und dient mit ernstem, unbeirrtem Wollen
jener grossgearteten bürgerlichen Baugesinnung,
wie sie der wachsende Wohlstand unserer modernen
Grosstädte mehr und mehr jetzt entwickelt hat.
V Die Verwandtschaft dieser Baugesinnung mit dem
kühlen Pathos des ausgehenden achtzehnten Jahr-
hunderts ist in jeder Beziehung geistiger Art. Die
klaren, ganz auf die Rechnung der Proportionen
gesetzten Wirkungen dieser schon ein wenig ver-
standesmässig influenzierten Baukunst entsprechen
durchaus dem rationellen, aller Romantik abholden
Bauwillen der Gegenwart. Und es hat sich zugleich
auch gezeigt, dass in der bürgerlichen Architektur
der Gontard, Gilly und Langhans sehr viele frucht-
bare Werte noch schlummern, die verkümmert

nur, nicht abgestorben, lebendigster Entwicklung

fähig sind. V

V Die neuen Arbeiten Baumgartens, die hier ab-
gebildet sind, dürfen als Beispiele dieser Neu-
belebung gelten. Das Haus des Malers Max Lieber-
mann, an den Ufern des Wannsees erbaut, mutet
an wie einer der breitgelagerten märkischen Land-
sitze aus der Zeit des Paretzer Schlosses. Flach

und ohne Sockel sitzt das Erdgeschoss auf dem
Terrain auf, mit einer breiten vorgelagerten Ter-
rasse die unmittelbare Verbindung mit dem Garten
suchend. Mit wohltuender Klarheit entwickelt sich
der einfache Grundriss ohne Künstelei und Zwang
über einer grossen Mittelachse, die Bedürfnisse des
Bauherrn repräsentativ erhöhend. In der Front-

ausbildung ist diese Achse durch das wuchtige Motiv
zweier in der ganzen Höhe des Hauses durch-
geführten jonischen Säulen betont worden. Hat
dieses etwas gewaltsame Motiv für die bescheidenen
Abmessungen der Landhausfront eine nicht sehr
günstige Masstabsverschiebung zur Folge, so gelangt
es, veredelt und feiner durchgebildet, in dem Fas-
sadenentwurf für das Stadthaus Dr. E. Kuhnheim zu
nachhaltiger Wirkung. Der breite Mittelbau dieser
langgestreckten Front erhält durch die schlanken,
halb eingestellten Säulen jonischer Ordnung eine
energische Gliederung, und der schnelle Rhythmus
dieser gehäuften Vertikalen ist dann in den über-
schlanken Proportionen der schmalen, weissge-
stabten Fenster weitergeführt. Eine ähnliche
konsequente Durchführung einer grossen Achse,
wie das Haus Liebermann, zeigt das Herrenhaus
Max Pfeifer in Sittardhof bei Köln. Der Grund-
riss des Wohnhauses ist symmetrisch zu den beiden
Schmalseiten der Halle entwickelt, der schmale
Wirtschaftsflügel ist als besonderer von dem Archi-
tektursystem des Hauptbaues losgelöster Bautrakt
ausgeführt worden. V

V Was Messels Ballenstädter Rathaus zu einer so
bewunderungswürdigen baukünstlerischen Leistung
macht, der feine Takt, mit dem hier einer örtlichen
Bautradition nachgespürt, ihr lebendiger Sinn er-
fasst und neu wirksam gemacht worden ist, das hat
Baumgarten mit gleicher Diskretion bei der um-
fangreichen Schlossanlage des Herrn Karl Theodor
Deichmann in Hombusch i. d. Eifel bewiesen. Es
ist kaum möglich, sich besonnener, weniger auf-
dringlich und ohne jede Spur von sentimentaler
Heimatkünstelei der charakteristischen Stimmung
einer Landschaft einzufügen, als es Baumgarten mit
diesen Bauten geglückt ist. Was bewusster Absicht
entspringt, ist überall mit soviel starker persön-
licher Empfindung getan worden, dass die Ueber-
legung nirgends doch als das Raffinement kühlen
Kalküls peinlich hervortritt. Es ist das heimatliche
Motiv mit einem sehr entwickelten Kunstverstand
erkannt und in akademische Formen gegossen wor-
den, ähnlich wie der Musiker die Volksmelodie zu
klassischen Kompositionen benützt. Hier wie dort
wird nur das intensivste Gefühl den gebotenen Stoff
zu neuen Werten umzuschmelzen fähig sein. V

W. C. BEHRENDT.

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