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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Schmidkunz, Hans: Die Symmetrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0126
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AJ\e Symmetrie.

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Von Dr. Hans Schmidkunz.

[Nachdruck verboten.]

(er hat nicht schon die Schönheit des menschlichen Körpers auch darauf der Pflanzen, selbst von den Blättern, nicht sehr erwarten. Nur die Blüthcn und
hin beachtet, dass sein Anblick eine fast vollständige Symmetrie zeigt? In einigermaassen auch die Früchte bringen wieder, was hier an solcher Schönheit
der That finden wir dabei nur untergeordnete Abweichungen von dem verloren gegangen. Noch tiefer hinab, im Reich der Mineralien, ist die Symmetrie
genauen Entsprechen der Hälften zu beiden Seiten des Mitteldurchschnitts (der so- wohl ganz auf die Krystalle beschränkt, die doch nur eine ziemlich kleine Provinz
genannten Medianebene). Wer einen Leib zergliedert, bekommt schon mit zahl- dieses Reiches ausmachen. Und selbst über diese täuscht man sich leicht: so
reicheren Abweichungen von der Symmetrie zu thun. Gicbt es ja doch für das Herz streng symmetrisch wir die Edelsteine im Schaufenster eines Juwelierladens oder
einen „rechten Fleck", und ebenso für andere Organe. Allein auch hier überrascht die Schneckrystalle auf den Abbildungen der gangbaren Belehrungsbücher sehen
die Symmetrie insbesonders dort, wo die entsprechenden Hälften nahe aneinander die Krystalle in der Natur nicht so bald aus. Die symmetrischen Idealformen,
liegen: so beim Gehirn, zumal wenn man es durchschneidet, und vorzüglich die den thatsächlich vorkommenden Exemplaren zu Grunde liegen, findet der
schön bei Qucrdurchschnittcn durch's Rückenmark. Fast alle Thierkörper lassen Kenner allerdings wohl jedesmal mit der nöthigen Genauigkeit heraus: doch sie
uns eine Symmetrie wenigstens in ihrem äusseren Anblick schauen; Käfer und sind versetzt mit diesen und jenen Unregelmässigkeiten, mit Zuwüchsen, Ar.-
Schmetterlinge und selbst die nächste Fliege, die sich auf unsere Hand setzt. hängsein u. s. w., wie sie kaum je ein normaler Thierkörper zeigt. Man braucht
bieten die schönsten Gelegenheiten zur Beobachtung. Man hat dabei auch ein nur einmal Schneckrystalle unter genügender Vcrgrösserung genau anzusehen und
leichtes Mittel, herauszufinden, wieviel von
der ästhetischen Freude, die uns ein solches
Thierchen macht, auf Rechnung der Sym-
metrie kommt, und wie viel auf andere
Rechnung: man verdeckt die eine Hälfte eines
solchen Leibes und sieht nun zu, was auf der
anderen Hälfte an Schönheit übrig bleibt.

Die gelehrte Aesthctik hat an diesem
Punkt ihre Aufgabe, die Thatsachen und ihre
Deutung recht elementar und zweckmässig
hervorzukehren, mit Geschick gelöst. Nach
ihrer Anweisung Iässt sich ein ganz ein-
facher Versuch anstellen, der zugleich eine
bequeme und fruchtbare Gesellschafts-Unter-
haltung abgiebt, ähnlich dem sogenannten
Kaleidoskop, doch mit schlagenderem Erfolg.
Wir nehmen irgend ein reines Stück Papier,
nicht zu klein und nicht zu dünn, und falten
es in der Mitte einmal zusammen. Dann
legen wir es wieder auseinander und machen
an irgend einer Stelle der inneren Fläche
mit Tinte einen Fleck, sogenannten Klecks
oder Krakehl; es können auch mehrere
Flecken, meinetwegen auch irgend welche
ganz gleichgiltigen Striche sein, und wenn
man's sehr nobel geben will, nimmt man
statt Tinte eine Farbe. Nur soll es immer
eine gut sichtbare und nicht zu dicke Flüssig-
keit sein. Dann faltet man das Papier wieder
wie vorhin zusammen und presst und glättet
es nach allen Seiten tüchtig aus. Man sieht
dabei, wie die Tinte im Innern hcrumfliesst,
recht als sollte eine ganz abscheuliche
Schmiererei das Endergebniss sein. Oeflhct
man jedoch das Doppelblatt, so zeigt sich
dem überraschten Blick eine wundersame
Zeichnung, ähnlich einem Käfer oder Schmet-
terling oder einer Fledermaus oder — für den
Anatomen — einem Durchschnitt durch's
Rückenmark. Die Zeichnung liegt gleich-
massig zu beiden Seiten des Buges; dieser
theilt sie in Hälften, die sich als genau
gleich herausstellen. Verdeckt man wieder
die eine, so ist man noch mehr, als früher
bei der Thierbeobachtung, erstaunt, in der
anderen Hälfte fast nichts mehr von all'
dem wundersamen Reiz zu finden, der das
Ganze belebt hatte.

Steigt man nun in der Beobachtung der
Natur vom Thierreich weiter hinab, so ver-
liert man zwar die Symmetrie nicht aus den
Augen, findet sie aber doch weit geringer
vertreten als bisher. Dass nur wenige Pflan-
zen, z. B. Bäume, in ihrem Gesammtanblick
eine solche Glcichmässigkcit zeigen wie die
Thierleiber, wird der Leser leicht selbst her-
ausfinden. Noch mehr wird er erkennen:
nämlich dass wir einen solchen symmetri-
schen Anblick auch von den meisten Theilen

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wird sich davon überzeugen. Auch die Hoffnung, im Sonnensystem oder ge- die regelmässig viergliedrigen, also die symmetrischesten sein; die weniger
sammten Sternenhimmel wesentliche Symmetrien zu finden, thut man gut, symmetrischen, die dreigliedrigen, scheinen bereits eine spätere Entwicklung zu
möglichst bald aufzugeben. vertreten. In unsre classische Musik haben sich bekanntlich Tanzformen als

Je höher wir also in der Natur hinaufsteigen, desto reicher entfaltet sich die integrirende Bestandteile hineinverflochtcn und dadurch gewisse Spuren von
Symmetrie. Ja selbst im höchsten Naturproduct, im Menschen, vertheilcn sich Symmetrie erzeugt; je weiter aber die Entwicklung jener Musik fortschritt, desto
Symmetrisches und Unsymmetrisches wiederum auffallender Weise so, dass jenes schwächer wurden jene Spuren, was sich z. B. an der Reihe der Becthoven'schen
den höheren, dieses den niederen Gebilden angehört. Magen und Darm zeigen Symphonien nachweisen lässt. In der Lyrik müssen die gleichmässigsten Strophen-
kaum etwas von Symmetrie: dagegen beherrscht diese siegreich das Central- baue nicht gerade der höchste Entwicklungsgipfel sein: sie weichen mehr und
nervensystem, also die eigentliche Regierung des Leibes, den Sitz seiner haupt- mehr der ungleichförmig verwickelten, und schliesslich sucht man die Schönheiten
sächlichen Thätigkciten. Es wäre nun zu erwarten, dass in dem Gegenstück der Lyrik ganz wo anders als in fein correspondirenden Strophen, bis man sie
der Natur, in der Kunst, die nämliche Entwicklung stattfinde, also dass ihre vielleicht gar in „Prosagedichten" findet. Es handelt sich hier eben um den
höchsten Gestalten auch die höchste Symmetrie und ihre niedrigsten, anfäng- Widerstreit zweier künstlerischer Mächte, der sinnlichen und der nichtsinnlichen,
lichsten Schöpfungen die wenigste Symmetrie zeigten. In der That aber ist es der sogenannten gedanklichen oder poetischen Formen. So sehr jene zum grossen
eher umgekehrt. Goethc's „Faust hat seine Schönheiten in keiner Symmetrie: Thcil die Symmetrie begünstigen, so wenig thun es diese. Und wo es sich vor-
und wenn ein Gemälde recht symmetrisch, etwa gar quadratisch gegliedert ist, nehmlich um diese handelt, also in der Poesie, da hat auch die Symmetrie weniger
stört uns dies eher. Alte Ausgrabungen mit modernem Kunstgewerbe verglichen zu thun. Ihr Reich sind die mehr sinnlichen Künste: und unter diesen wieder
zeigen jedenfalls kein Ansteigen von weniger symmetrischen zu mehr sym- nicht so sehr die, welche einen Zeitverlauf erfordern, wie die Musik, als die,
metrischen Gebilden: es sei denn, dass dort, wo man sich einmal zu einer welche im Raum wirken, die bildenden Künste. Unter diesen aber ist es die
Symmetrie entschlicsst, die heutige Technik sie strenger einhalten kann als eine Architektur, welche sich mehr als Malerei und Plastik, die poetischeren Bild-
primitive. Von den verschiedenen Tänzen und Tanzweisen dürften die ältesten künste, auf die sinnlichen Formen beschränkt und demnach auch der Svmmetrie

die höchste Entfaltung gewährt.

Nach diesen gelehrten Unterscheidungen
wollen wir dem mannigfachen Wallen der
Symmetrie in dieser ihr so günstigen Kunst
nachspüren. Wer in deutschen Landen eine
grössere Anzahl von Bauwerken betrachtet
hat, wird sich vielleicht schon manchmal
gewundert haben, dass architektonische Lei-
stungen, die sehr Hohes anstreben, doch
grade nicht durch Einhalten einer vollen
Symmetrie glänzen. Romanische Facaden
wie die der Wiener Stephanskirche, gothische
Bauten wie in Lübeck und erst die uns so
anheimelnden „altdeutschen" Häuser Nürn-
bergs, Rothenburg s u. s. w. gefallen sich zum
Theil in einem beinahe eigensinnigen Abwei-
chen von der Symmetrie, soweit dies in einer
Kunst, die der Symmetrie theilweise schon
aus technischen Gründen bedarf, überhaupt
möglich ist. Anders die italienische Kunst.
Zu den olt recht feinen Unterschieden deut-
scher und italienischer Renaissance scheint
eben auch die stärkere Betonung der Sym-
metrie jenseits der Alpen zu gehören. Wo in
manchen deutschen Städten, z.B. in München,
echte deutsche und nachgeahmte italienische
Renaissancebauten nebeneinander stehen,
dort tritt dieser Unterschied anschaulich her-
vor. Es ist wieder der Triumph des Südens
in den sinnlichen Seiten der Kunst und der
Triumph des Nordens in der Uebcrwindung
der Herrschaft des Sinnlichen. Die nähere
Durchführung dieser Unterschiede müssen
wir freilich den kunsthistorischen Gelehrten
überlassen; vielleicht, dass sie selbst bei
den deutschen Malern, die italienische Ein-
flüsse durchgemacht haben, wie z. B. bei
Dürer, einen solchen Unterschied ihrer frühe-
ren und späteren Malweise herausfinden,
dass hier Symmetrie als ein neues Stück
ihres künstlerischen Besitzes auftaucht. Der-
artige Kennzeichnung des deutschen Kunst-
charakters dürfte sich aber auch in anderen
Künsten als in den bildenden wiederfin-
den. Unsere kunstvolleren Strophenformen
sind zumeist romanisch-südliches Gewächs;
Shakespeare dichtete im Drama keine Chor-
gesänge wie die Griechen, und Goethe ver-
wendete im „Faust" die regelmässigsten
Verskünste auf die griechischen Partien in
der Tragödie zweitem Thcil. Wie fängt es
da wieder mit den freieren Rythmen an,
sobald Faust und Mephisto, nach dem dritten.
Act, auf heimischen Boden zurückgekehrt
sind, ja sogar schon, sobald Faust auftritt!
Selbst Lynceus, der Thurmwächter, nimmt
sich vor Helena symmetrischer zusammen
als auf der nordischen Schlosswarte.







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Der Choral nach der Schlacht bei Leutl]c
 
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