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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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5. Heft
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Kohlrausch, Robert: San Sebastiano: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0132
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Carlos Vasquez: Die diebische Elster

San

Sebastiano.

Novelle von Robert Kohlrausch.

K*s war ein italienischer Mondscheinabend im noch jungen sechzehnten Jahrhundert.
’ Unter der dammerigen Wandelhalle des Palazzo del Municipio von Udine
_ _J gingen zwei Männer auf und nieder im leisen, eifrigen Gespräch. Der eine
war grauhaarig und ruhig, der andere schwarzlockig und wild.

Jetzt blieb der Alte stehen und sagte: „Du bist ein Tor, Florigerio, daß du dich
und mich so quälst. Meine Tochter ist ein braves, gehorsames Mädchen. Ich habe
sie dir verlobt aus Dankbarkeit, weil du mir so wacker hilfst an unserem Gemälde fiir
die frommen Brüder in Cividale. Aurelia kennt keinen anderen Willen als den meinen.
Liebt sie dich heute aber noch nicht so, wie du es wünschest, wird sie dich lieben
lernen, sobald sie erst dein ist. Gib dich endlich zufrieden, und wenn deine Liebe
dir keine Freude schafft, so tröste dich mit deiner schönen Kunst."

Ein lautes Aufstöhnen kam plötzlich von des anderen Lippen. Seine herab-
hängenden Hände krampften sich zusammen, seine Arrne zitterten. „Ach, Meister,
auch meine Kunst liebt mich nicht!" rief er mit ersticktem Schluchzen.

„Bist du von Sinnen, Florigerio? Die Genossen unserer Kunst beneiden dicli

[Naclidruck verboten.]

alle um dein Können bei so jungen Jahren. Was bedeutet es, wenn du nun sagst,
deine Kunst liebt dich nicht?“

„Sie gibt mir nicht, was ich ihr abringen möchte. Ich kann es nicht fassen, so
wenig wie ich es nennen kann. Obwohl ich das Glück meines Lebens, das Heil meiner
Seele dafür geben würde, ich kann es nicht fassen! Ich glaube,“ — seine Stimme
sank zu kaum hörbarem Flüstern herab — „daß es Leben und Wahrheit heißt, was
ich vergeblich suche.“

Der Alte klopfte voll Ungeduld mit dem Fuß auf die Steine. „Das mag icli
nicht hören. Ist nicht dein San Michele, den Du für den einen Fliigel unseres Altar-
werkes gemalt hast, voll von Wahrheit und Leben, wie du es nennst?"

„Er rnag angehen", sagte der Junge, seine glühenden Blicke durch die Bogen-
öffnungen der Halle in die nächtlich helle Ferne bohrend, als wenn von dort ein
Licht auch in seine Seele kommen könnte. „Wirklich zufrieden bin ich auch nicht
mit ihm. Und mein San Sebastiano für den zweiten Flügel bereitet mir täglich neue
Qual. Er ist mein Heiliger, ich trage von ihm den Namen, ich möchte sein Bild so

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