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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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5. Heft
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Kohlrausch, Robert: San Sebastiano: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0133

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54

MODERNE KUNST.

MODERNE ICUNST.

03

groß und schön auf die Leinwand bringen, wie noch
keiner vor mir. Täglich versuche ich’s aufs neue, und
immer wieder vernichte ich am Abend, was ich ge-
malt habe.“

„Vielleicht bringt er dir Unglück.“

„San Sebastiano?"

„Nein, — er, der andere. Den du in frevelhafter
Laune — ich kann es nicht anders nennen — zum
Urbild für deinen Heiligen gewählt hast. Diesen
Carlo Castellino, den hergelaufenen Menschen! Der
in die Stadt gekommen ist, niemand weiß, woher?

Der lebt, man weiß nicht, wovon? Und ihn versuchst
du zu malen als Heiligen!“

„Ist er nicht schön? Was kiimmert es mich, was
er ist und woher er kommt? Ich gebrauche diesen
herrlichen, jugendlichen, ebenmäßigen Körper für mein
Bild, und ich bin glücklich, daß er mir als Modell fiir
den heiligen Sebastiano dient gegen geringes Entgelt.“

„Ich aber meine, daß du Gott und die heilige
Jungfrau versuchst mit deinem Tun. In den Augen
dieses Menschen lauert der Satan; sie sind hart und
grausam, wie ich noch keine sah. Noch eben, als ich
ihm begegnete — “

„Ihr seid ihm begegnet?"

„Vor einer halben Stunde."

„Wo war das?"

„Nalie bei meinem Haus, in unserer Straße."

„Wohin ging er?“

„Vor’s Tor hinaus, hat er gesagt. Aber ich war
froli, daß ich mein Haus abgeschlossen hatte, wo
Aurelia allein ist. Denn die alte Margherita ist heute
abend zu ihrem Bruder gegangen."

„Meister, — lebt wohl.“

„Wo willst du hin?"

„Laßt mich, — fragt mich nicht, — ich muß fort."

Er stürmte geflügelten Fußes davon durch den
Mondscheinabend. Rasch, aber leise kam er so mit
unbewußter Vorsicht bis an das Haus, das Meister
Peilegrino da San Daniele bewohnte. Es lag einsam,
nahe dem Ausgang der Stadt, wo sich noch große
Gärten zwischen die Mauern schoben. Florigerio
machte Halt und blickte nach oben. Was bedeutete
das? Dort im Zimmer war kein Licht, wo Aurelia
wohnte!

Ein heißes, unsicheres Gefühl packte ihn an,
wie hilfesuchend sah er umher. Das Hatis war ver-
schlossen, er konnte nicht hinein. Aber dort an der
Gartenmauer ftihrte ein schmaler Gang seitab, vom
Schatten hoher, dichter Baumeswipfel mit nächtlichem
Schwarz überdeckt. In diese Finsternis hineintauchend
eilte Sebastiano vorwärts, ohne zu wissen, weshalb er

so leise den Fuß aufsetzte auf den weichen Boden. Jetzt blieb er stehen, festgebannt
auf dieStelle. Ein Ton war zu ihm gedrungen über die Gartenmauer her, das Fliistern
einer Stimme, der sich alsbald eine zweite gesellte. Zuerst waren sie fern, dann
kamen sie näher bis dicht an die steinerne Wand, hinter der sich der Horcher ver-
barg. Nun verstand er die Worte.

„Du mußt gehen, Carlo. Hier ist die Stelle, wo du die Mauer iibersteigen
kannst. Eile dicli, eile dich!"

„Weil dein Vater kommen könnte, nicht wahr? Der würde sich wenig freuen,
wenn er wüßte, daß seine Tochter heute —“

„Sprich nicht davon! Es war so schön — wann seh' ich dicli wieder?"

„Es wird sich finden.“

„Sei nicht auf einmal so kalt, so verwandelt. Als du in meinen Armen lagest, —■
Carlo, jetzt kann ich nicht rnehr ohne dichleben! Weißt du das, Carlo? Dich allein
lieb’ ich, dich nun für immer. Der Vater muß dich rnir geben, laß mir nur Zeit,
es ihm zu sagen."

„Und dein Verlobter?"

„Was kiimmert mich dieser fremde Mensch? Er war es mir immer, mir auf-
gezwungen vom Vater. Meinen Gedanken ist er so fern, wie die Erde unter meinen
Füßen. Ich schwöre dir, Carlo —."

Sie verstummte jäh. Von draußen war ein Ton zu ihr hereingedrungen wie
ein Stöhnen, ein unterdrückter Schrei. Gleich aber war es wieder still. Der Kiang
von Florigerios leisen, raschen Schritten drang nicht über die Mauer, obwohl er fast
laufend seinen Lauscherplatz verließ. Er floh vor sich seibst, vor dem Gefühl in
seiner Brust, als wenn jemand sein Herz gepackt hätte und es in Stücke zerrisse. Nur
fort von der Stelle, wo so Furchtbares iiber ihn gekommen war, wo man sein Leben
zerfetzt und zertreten hatte! Vor diesem ersten, mächtigsten Gefühl schwieg zunächst
sogar die Wut auf den frechen Vernichter seines Gliicks. Erst als er eine halbe
Stunde lang im zieliosen, besinnungslosen Lauf durch die einsamsten Straßen einher-

F. M. Roganeau:

gestürmt war, auf denen das Mondlicht lag wie grausam heller Holin, erwachte
langsam in ihm auch dies Gefühl. Es war ihm wie Balsam, daß der Schmerz in Wut
sich löste. Daß ein Weg sich vor ihm auftat, um zu strafen, zu vergelten, zu rächen.

Dieser Menscli rnußte sterben! Wie ein Licht fiel der Gedanke in seine gemarterte
Seele. Den Schurken verbluten zu sehen zu seinen Füßen, das mußte Wonne sein m
diesem Weh. Beim ersten Erwachen des Gedankens lief er zur Herberge, wo der
Verführer wohnte. Auch hier war die Tür verschiossen, alles war dunkel. Schon
hob er die Faust, um den Wirt herauszupochen und sich gewaltsam Einlaß zu ver-
schaffen, da stellte sich plötzlich ein Bild hemmend vor seine Seele, und er ließ die
Hand wieder sinken. Ja, das war schöner, ais wenn er mit schneller Vergeltung den
Verführer nur niederstieß! Ihn martern zuvor, ihn langsam töten, daß er hundert-
fache Qualen litt, das war es, was ihm gebührte! Florigerio lachte laut auf, als er
vor sich sah, was er wollte.

In der kühlen Frühe des Morgens, bevor er seine Wohnung aufsuchte, trat er in
den eben geöffneten Laden eines Seilers und kaufte sich einen festen, kräftigen Strick.

Und er lachte wieder, indem er ihn auf dem Heimweg liebkoste mit bebenden Händen.

In seiner Werkstatt blieb er eine Weile sitzen, völlig erschöpft. Auf der Staffelei
stand ein angefangenes Bild vom San Sebastiano, nach der Oberlieferung gemalt,
weich, duldend, ergeben, mit gen Himmel gerichteten Augen. Wenn Florigerios Blick
darauf fiel, verzerrte sich sein Gesicht. Endlich ertrug er den Anblick nicht mehr,
sprang wütend auf, riß ein Dolchmesser aus der Tasche und stach und hieb in
blinder Wut auf die Leinwand ein, bis die Figur in unkenntlichen Fetzen herab-
hing. Dann warf er das gemordete Bild in eine Ecke und steckte das Messer wieder
in die Tasche.

Je näher die neunte Stunde heranrückte, zu der er Castellino tags zuvor bestellt
hatte, um so mehr wurde Florigerio von wilder Unruhe gepackt. Unaufhaltsam lief er
von einer Ecke der Werkstatt zur anderen, oft in Gefahr, gegen eine hölzerne Säule
zu stoßen, die in der Mitte des Raumes die Decke trug. Einmal nur hemmte er

Abend am Flusse.

seinen Gang, blieb stehen, sann einen Augenblick vor sich hin und nahtn dann eine
frisch aufgespannte, hergerichtete Leinwand, die an der Wand gestanden hatte, des
Malers wartend, der in steter Unzufriedenheit mit sich selbst immer Neues versuchte.
Der gab er den Platz auf der Staffeiei, wo das vernichtete Bild gestanden hatte.

Kurz nach neun Uhr klang ein Klopfen an der Tür. Mit einem kurzen, halb-
erstickten Tone gab Florigerio Antwort. Casteilino trat ein und grüßte lachend mit
einer leichten, kecken Art. Er war schön; dunkles Haar legte sich ihm ungeordnet
um das blasse, weiche Gesicht.

„Da bin ich, Meister Florigerio. Habe ich mich verspätet?"

„Nicht viel.“

„Aber wo habt Ihr das Bild gelassen, — das angefangene?“

„Dort liegt es."

„Was habt Ihr getan? Zerfetzt und zerschlagen das schöne Bild! Ihr seid ja
ein Mörder!“

„Vielleicht. Macht rasch, macht Euch fertig.“

„Wenn der angekleidete Mensch der fertige ist, sagt lieber: macht Euch unfertig."
Castellino sprach es lachend und begann zugleich, seine Kieider abzustreifen. Bald
stand sein weicher, voller, doch muskelstarker Körper nackt vor dem Maler.

„Kommt her, laßt Euch binden.“

„Was bedeutet der neue Strick?"

„Er ist gut und fest. Ich habe ihn gekauft heute morgen. Vorwärts!"

Einen raschen Blick des Mißtrauens warf Casteilino auf den Maler, doch trat er
ohne Widerspruch an die Säule, um sich daran fesseln zu lassen, wie das Bild es
forderte. Nur als Florigerio den Strick so fest anzog, daß er ins Fleisch einschnitt,
rief Carlo zornig: „Was macht Ihr, — nicht so fest — Ihr tut mir wehe!“

„Das will ich“, sagte Florigerio und zog mit einer letzten Anstrengung den
Knoten so fest zusammen, daß der andere, dumpf aufstöhnend vor Schmerz, wehrlos
an die Säule gebunden, vor ilim stand. „Mit einem neuen Strick habe ich dicli

gefesselt. Mit einem neuen Pinsel und mit neuer Farbe
will ich heute malen. Sieh her, dies Messer ist jetzt mein
Pinsel, dein Blut ist meine Farbe, und diese Stunde ist
die letzte deines erbärmlichen Lebens.“

„Was wollt Ihr? Seid Ihr wahnsinnig geworden?“
„Beinahe hast du mich dazu gemacht. Aber du
sollst auch wissen, warum du stirbst. Meine Braut hast
du mir verführt, — ich habe euer Gespräch gehört,
gestern abend im Garten. Aber was du mich hast leiden
lassen in dieser Nacht, will ich dir heute zurückzahlen.
Stück für Stück und Stich um Stich will ich dich morden.
Und hier nimm den ersten, verdammter Hund!"

Ein rasches Blitzen desMessers in derLuft, einlauter
Aufschrei von Castellinos Lippen ein Ton wie ein Echo
des Todesangstrufes, und eine tiefe, plötzliche Stille.
Rückwärts getaumelt um einen halben Schritt, stand
Florigerio wie zu Stein geworden. Und sein Körper
blieb noch in dieser seltsamen Erstarrung, als die Lippen
sich ihm bebend wieder öffneten.

„Bleib’ so, rühre dich nicht!“ flüsterten sie
zischend. „Ich stoße zu, wenn du dich riihrst. Jetzt
hab’ ich’s gefunden! Das ist, was ich geahnt, gesucht,
geträumt habe! Was ich nicht finden und fassen
konnte. Rühre dich nicht, oder du bist des Todes!"

Er konnte die Blicke nicht abwenden von der
Gestalt vor ihm. Castellino hatte den gefesselten
Oberkörper beim Drohen des Messers rasch auf die
rechte Seite geworfen, den Kopf halb abwärts geneigt,
aber Gesicht und Augen in jäher Angst auf den Be-
droher gerichtet. Sein dunkles, langes Haar fiel ihm
über die Stirn, ein wunderbares Muskelspiel flutete
durch die angespannten Muskeln dahin. Die Todes-
angst hatte Gestalt gewonnen in ihm; der Heilige, den
er darstellen sollte, war Mensch geworden. Und vor
diesem Anblick schwanden Wut und Schmerz in
Florigerio dahin; der Künstler triumphierte für den
Augenblick in ihm.

„Das ist Wahrheit!" flüsterte sein zuckender Mund.
„So will ich dich malen."

Das Messer ließ er zu Boden fallen, mit raschen,
bebenden Fingern griff er zum Handwerkszeug seiner
Kunst. Die tobende Leidenschaft in ihm stürzte sich
auf die Leinwand, befliigelte seine Hände, ließ in
atemloser Geschwindigkeit hier die niedergebeugte,
von Todesangst gepeitschte Gestalt in ersten Umrissen
entstehen. Dann griff er zur Farbe, packte die Töne auf
den ersten Griff, zauberte den zitternden Körper aus
dem Nichts hervor. Und indem er vor sich erstehen
sah, was er vergebiich und schmerzvoll erstrebt hatte
so lange Zeit, kam eine merkwürdige Ruhe über ihn.
Seine Bewegungen verloren ihre Heftigkeit, aber seine
Hand arbeiteitete so sicher, wie nie zuvor. Mitten in dem Weh, das in ihm
brannte gleich einer offenen Wunde, quoll die süße Wollust des Schaffens in
ihm auf.

Zuletzt, als die Gestalt im ersten Entwurfe fest auf der Leinwand stand, ließ er
den Pinsel sinken und betrachtete Castellino mit großen, ruhigen Augen. Langsam
kamen die Worte jetzt von seinen Lippen.

„Du liast mir die Braut genommen. Wußtest du, was du mir tatest?“

„Ja."

„Und doch —?“

„Und doch. Es ist mein Beruf, Unglück zu stiften."

„Dein Beruf?"

„Ja. Meines Lebens Zweck ist es, mich zu rächen."

„Wofür?“

„Mir ist geschehen, was Euch durch mich geschah. Und noch schlimmer als
Euch."

„Gibt es noch Schlimmeres?"

„Die Braut gehört uns erst halb. Mir aber geschah es an meinem Weibe."
Florigerio stand und schwieg. Er sann in sich hinein. „Das ist vielleicht
wirklich noch schlimmer. Und nun?"

„Was meint Ihr?“

„Du hast mir Aurelia genommen. Beabsichtigst du, sie zu heiraten?"

Ein kurzes, grausames Lachen allein antwortete auf die Frage.

„Anrelia liebt dich. Sie hat es dir gestern gesagt."

„Um so besser. Ich nehme die Weiber nicht aus Liebe, nur aus Haß. Auf das
ganze Geschlecht! Mit den Weibern ist das Unheil in die Welt gekommen. Ich
lasse sie’s büßen. Ich bin schön und ich weiß, daß sie weinen, wenn ich von ihnen
gehe."

Abermals versank Florigerio in ein tiefes, langes Schweigen. Seine großen
 
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