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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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19. Heft
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Pastor, Willy: Richard Wagner und die Natur
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Friedrich, Paul: Richard Wagner und die Frauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0576

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246

MODERNE KUNST.

vreithin sich dehnenden Horizonts. Die Hirtenweise flattert
hin und wieder wie ein kranker Vogel. Dann Tristans Vision
des sich nahenden Schiffes, die zwiefach enttäuscht wird,
bis es endlich wirklich naht mit blähendem Segel und
flatterndem Wimpel. —

Es folgt das holde Wunder aus Wagners großer
Schaffenszeit: „Die Meistersinger“. Alt Nürrenberg, „die
ganze Stadt, mit Bürgern und Oemeinen, mit Zünften und
mit hohetn Rat", lebt hier auf. „Wie friedsam treuer Sitten,
getrost in Tat und Werk, liegt nicht in Deutschlands Mitten
mein liebes Nürrenberg.“ Gäbe das Werk nichts anderes
her als das, so hätte es bereits Anspruch darauf, eine Natur-
schilderung ersten Ranges zu heißen. Doch hinter diesem
mit soviel Liebe ausgeführten Vordergrund einer alten Stadt
mit Qiebeln und Türmen, deren Art sich spiegelt im Wesen
und Treiben seiner Bewohner, öffnen sich in verschiedenen
Tiefen noch fernere Weiten.

Walther Stolzings Schilderungen seiner Kindheit und
jugend lassen den Blick hinüberschweifen in das noch
nicht städtisch gewordene Deutschland der Ritter und
Burgen, und sein Lenzlied („Fanget an! so rief der Lenz in
den Wald") fegt in die Enge der Meistersingerwelt hinein
wie ein Frühlingswind. Vor allem dann im zweiten und
dritten Akt das Erwachen des Hans Sachs für die Schön-
heiten dieser freieren Welt, vom Sinnen in der prächtigen
Mittsommernacht an bis zu der großen Vision: „Der
Flieder war’s: Johannisnacht — nun aber kam Johannistag."

Wie eine Mittsommersonne geht das auf, die mit voller
Leuchtkraft dann den Schluß des Werkes überstrahit.

Im „Ring des Nibelungen“ hat Wagners Können, die
alten Sagen wieder freizumachen von allem später Hinein-
getragenen und sie damit aufs neue den Naturgewalten
entgegenzuführen, denen sie entstammt, sein Meisterwerk
geschaffen. Die Natur und ihre Elemente selbst geben
sich hier kund, und es scheint fast gleichgültig, ob sie
sich eines Sturmwindes oder wogenden Baumes, einer ver-
dämmernden Gottheit oder eines Menschen zur Verkündung
ihrer Art bedienen. Seit der Völuspa ist vielleicht kein
Kunstwerk mehr gestaltet worden, in dem das germanische
Alleinsempfinden sich so rein hat offenbaren können.

Deu Höhepunkt der Naturschilderung findet das be-
sonders deutsche Empfinden wohl immer im „Siegfried“.

Dieses Werk ist so voll von den Stimmen jdes Waldes, wie
nur irgendein Märchen. Sonne leuchtet darein. Ihr Lichter-
tatiz sieht anders aus in den verzerrten Angstvisionen
Minies, anders beim sinnenden Siegfried, der unter der
Linde dem Waldvöglein lauscht. Wie tief Wagner eine
solche Urheimatkunst empfand, dafür nur einige Worte,

die er, 1857 gewaltsam seiner Arbeit entrissen, an Liszt schrieb: „Ich habe meinen
jungen Siegfried noch in die schöne Waldeinsamkeit geleitet; dort hab’ ich ihn unter
der Linde gelassen und mit herzlichen Tränen von ihnt Abschied genommen; er ist
besser dort dran als anderswo." —

Nacli dem „Sturm der Elemente und der Herzen“ im Nibelungenwerke nimmt
der Parsifal, Wagners Schwanenlied, sich aus wie einer jener breiten Durakkorde, die
bei allen Musikern ein wildbewegtes Tonstück schließen. Das Werk ist ein Sichver-

A. von Vollbortli: [Yistans

senken in den Geist des Christentums, aber eines Christentums germanisch-nordischer
Art, das eins ist mit der Natur, in der es lebt, webt und ist. Nur so erklären sich
die Einzelheiten vom sonnigen Gral bis zur lachenden Aue des Karfreitagszaubers.
Wagner hat es in diesem seinem letzten Werke gelernt, die Stimme des Herrgotts
auch in der Stiile zu vernehmen, und deshalb darf man es ansprechen als die Voll-
endung einer Lebensarbeit, deren Eigentiimlichkeit es ist, daß sie immer inniger ver-
wuchs mit der Natur und ihren Kräften.

-4**- Richard Wagner und die Frauen. <=<4—

Von Paul Friedrich.

[Nachdruck verboten.]

Cp\ie Liebe ist die Quelle der Kunst. Aus ihr saugt sie Nahrung,- aus ihr
trinkt sie Genesung und Kraft, durch sie wird sie immer von neuem
verjüngt. Natürlicherweise ist die Entwicklungsmöglichkeit der Kunst ungeheuer
groß, und zwischen dem ersten Liebeslied eines blutjungen Lyrikers, der in
einer „Minna“ oder „Amalia“ das Ziel seiner Träume gefunden zu haben
glaubt, und einem Schöpfer der „neunten Symphonie“ oder des „jüngsten Ge-
richts“ scheint kein innerer Zusammenhang zu bestehen. Und doch ist es der-
selbe „Eros“, der die Nachtigall zu ihrem süßen Sang verlockt, der Wolfram
von Eschenbacn zu seinem „Parzifal“ begeisterte. Scheinbar gibt es von dieser
Grundtatsache, um die keine Äslhetik herumkommt, eine Ausnahme. Ich denke
an die Verewiger und Gestalter des Hasses — jene bitteren, galligen Dichter
wie Strindberg, die ihre Freude am Zerstören langgehegter Iilusionen haben.
Aber auch sie und gerade sie bejahen durch ihre Frauenverachtung oder ihre
betonte Geringschätzung des Erotischen das, was sie verneinen und setzen in
den Werken ihrer Zerstörungsseligkeit der Liebe, die sie verfluchen, in ihrer
Art ein Denkmal.

Künstler und Liebender ist fast identisch. Wenn auch nicht immer irgend-
ein bestimmtes Objekt vor seiner Seele steht. Und wie der nüchternste Mensch
in der Liebe vorübergehend sich verwandelt, gleichsam über sich selbst hinaus-
wächst, und sich poetischen Stimmungen zu seiner Verwunderung leicht zugäng-
lich erweist, so ist im Künstler die Liebe immer, wenn auch unbewußt, schöpfe-
risch vorhanden und macht ihn naturgemäß nur allzuoft wirklicher oder ver-
meintlicher Frauenliebe zugänglich.

Deshalb ist es so ungeheuer interessant und wertvoll, von seinen ero-
tischen Beziehungen zur Welt zu wissen. Denn sie entscheiden bis zu einem
hohen Grad über seine Leistungen und sein inneres Leben .... Findet ein
so durch sein inneres Feuer ständig gefährdeter Mensch die Frau, die ihn
von seinem „Wähnen“ erlöst, so wird sein Ringen und Streben von un-
beschreiblicher, seelischer Reife und Hoheit gekrönt. Ist ihm hingegen dies
hohe Glück versagt, so wird das Unvollendete, das Problematische auch seinen
Werken anhaften oder ihn im extremsten Fall vernichten wie einen Heinrich
von Kleist oder eine große, unglücklich-glückliche Liebe einen Lenau, einen

MODERNE KUNST.

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Hölderlin. Allerdings bleibt trotzdem zu Recht bestehen, daß man einige
Künstler im Gegensatz zu vielen andern „erotische“ nennen kann; es sind das
vorwiegend romantische Naturen voll großer Erregbarkeit und Reizbarkeit, die
sich nicht mit einem seelischen Alltagsglück bescheiden, sondern ganz und gar
nicht eher ruhen, als bis sie, sei es zu ihrem höchsten Glück, sei es zu ihrem
tödlichsten Unglück, die ihnen kongeniale Frau gefunden haben.

Unter ihnen ist Richard Wagner unstreitig der genialste.

In seinem riesigen Lebenswerk spiegelt sich vom Anfang bis zum glor-
reichen Abschluß des Parsifal dieses Suchen nach der erlösenden Liebe.

Und Richard Wagner war ein rastloser Sucher. Aus glänzendem Lebens-
glück wie in Dresden trieb es ihn ruhelos wieder auf das gefährliche und
wogende Meer des freien Künstlerlebens hinaus, weil ihm eine innere Stimme
sagte, daß er zu etwas Ilöherem als zu einem lebenslänglich engagierten Theater-
kapellmeister bestimmt sei.

Und wie im Kampf um das endgültige Durchdringen seiner dämonischen
künstlerischen Persönlichkeit, so rastete er auch auf dem erotischen Gebiet
nicht eher, als bis er die Frau sein nannte, die seinem Wähnen Frieden gab.

Unzählige Frauen begleiten wie Blumen verschiedener Größe und Schön-
heit seinen langen, vielgewundenen Lebensweg; doch die meisten bedeuteten
naturgemäß für sein Innerstes, seine Kunst, der er ausschließlich lebte, nichts
und blieben nur vorübergehende Episoden seines äußeren Lebens. Nur drei
können sich rühmen, in diesem einzigartigen Leben Schicksal gespielt zu haben:
seine erste Gattin Minna, Frau Mathilde Wesendonk und seine zweite Gattin
Cosima.

Jede von diesen drei hat natürlich eine spezielle Wirkung auf den Meister
ausgeübt; seine erste Frau hat eigentlich vorwiegend die Rolle des „Retters in
der Not“ spielen müssen, eine undankbare Rolle voller Hingabe und passiver
Aufopferung; Mathilde, seine „geistige Frau“ wurde seine Muse, der wir vor
allem das gewaltigste Wunderwerk der Neuzeit, den „Tristan“, verdanken; Cosima
aber wurde ihm Geliebte, Gattin, Anregerin, Vertraute und Bewahrerin seines
Erbes. Sie ist es, der der Mensch und reife Meister am meisten verdankte.

Was die arme Minna Planer betrifft, so hat man
jahrelang Steine auf sie geworfen und sie ganz allein
für den jammervollen Ausgang dieser einst so unüber-
legt und stürmisch geschlossenen Ehe verantwortlich
gemaclit. Man hat ihr vorgeworfen, daß sie durch
ihr kleinliches Unverständnis dem Genie das Leben
jahrzchntelang versauert und Wagner innnerlich fried-
los und gliicklos gemacht habe. Und doch ist das
sehr übertrieben.

Gewiß, eine geniale Frau wie Mathilde und Cosima
war die arme Minna nicht. Sie war, wenn auch nicht
ohnc Verständnis für vieles Große und Bedcutende
in ihrem Gattcn, so doch sicher nicht fähig, all den
Spuren seines ständig sich wandelnden Genius nach-
zugehen. Sie besaß eine zu trockene und unroman-
tische Klugheit, utn alles, was er wolltc, verstehen
und billigen zu können. Einem geringer begabten
Talent wärc gcradc eine abwägende und dcn Nutzen
des gegebencn Moments ins Auge fassende Frau wie
sie sicher zu einem Ilalt und eincr Stütze geworden
Aber einen so quecksilberncn, komplizierten und auch
rechthaberischen Manu wie Wagner vermochte sie
nicht nur nicht zu besänftigen, sondern sie hinderte
ihn nach und nach an der vollen, rücksichtslosen Durch-
setzung seiner unbeugsamen Persönlichkeit. Aber ander-
seits darf man aueh nicht vergessen, daß es Wagner
war, dcr das Schicksal diescr Frau in einer Zeit att
scin Leben kettete, wo er eigentlich noch nicht dazu
berechtigt war — und wie treu, wie aufopfernd hat
sie, nachdem sie den Fehlgriff eintnal erkannt hatte,
bei ihm ausgehalten. Immer wicder kehrte sie mit
dem besten Vorsatz, den Friedlosen glücklich zu machen,
zu ihm zurück — Not und Entbehrungen trug sie tapfer
mit ihm in Paris, und ihre Briefe aus der schwersten
Zeit bezcugcn mchr als allc schönen Worte, wie sie
innerlich trotz aller Enttäuschungcn an dcn guten Kern
in ihm glaubte.

So schreibt sie einmal in ihrer vollen Verzweiflung:
„In Richard ist ein schönes Talent zu retten, das seinem
Untergange nahe gebracht wird, dcnn schon ist er
soweit, allen Mut aufzugeben . . . Ich kann ihn nicht
aufgebcn; deswegen bin auch ich vielleicht die einzige,
dic am lebhaftesten fühlt, wie schmachvoll es ist, iltn
verkommen zu lassen.“

Und wenn auch Wagner für dicse starke Opfer-
fähigkeit Minnas sicher nicht blind war, so hat er es
Ihr doch wcnig gedankt. Oft gab er ihr Anlaß zu
bitterem Herzenskummer, und es ist nicht zu ver-
wundern, daß all die Enttäuschungen die arme Frau krank und lebensmüde
machten. Mußte sie doch sehen, wie er sein Herz an eine andere, allerdings
bedeutendere Frau verlor und dieser in überschwenglichster Weise huldigte,
während sie ihm all die Jahre der Trübsal und der Verkennung hindurch mutig
zur Seite gestanden hat.

Aber all das ist itn letzten Sinne mehr als nur persönliche Schuld . . . es
ist Schicksal, und wer weiß, ob Wagner je den „Tristan“ geschaffen und die
„Meistersinger“ vollendet hätte, wenn er nicht nach Jahren voller Unfrieden und
Mißverständnisse eines Tages eben die Frau kennen und lieben gelernt hätte,
der wir diesen plötzlichen und gewaltigen Seelenaufschwung des vielgeprüften
Meisters verdanken.

Und auch das ist Schicksal, das wir erst jetzt vielleicht ganz in seiner un-
begreiflichen Größe erkennen, daß ihm nicht gleich die volle Erfüllung lang ge-
hegter Wünsche zuteil ward. Ist es doch eine bekannte Tatsache, daß die
volle, restlose Erfüllung so oft den Tod aller Sehnsucht bedeutet, und gerade
aus der unendlichen Sehnsucht erwuchsen Wagners größte und unvergänglichste
Werke. So mußte er denn in einer andern und unendlich fruchtbareren Weise
unglücklich werden als Mensch, um aus tiefstem Schmerz sein „Hohes Lied der
Liebe“, den „Tristan“, schaffen zu können. Ihn selbst mußte die Liebe an den
Punkt führen, wo der Mensch sich in seinem Leide nach dem Frieden der Ver-
nichtung sehnt — nur so vermochte er das tiefste Wesen der Liebe in ihrer
Beziehung zum Tode zu erfassen.

Aber er war stark genug, um die Gefahr zu überstehen. Die Entsagung auf
die „himmlische Geliebte“ machte ihn reif und aus einer großen, leidentsprungenen,
leidentrungenen Resignation keimte ihm jene wundervolle, gesammelte Heiterkeit,
die uns aus den „Meistersingern“ so warm und herzbestrickend entgegentönt.

Aber seine Odyssee war noch nicht zu Ende. Und noch manche trüben
Tage innerer Einsamkeit folgten, ehe ihn aus aller äußeren Not sein königlicher
Freund und Gönner, Ludwig II., erlöste.

Nun erst konnte der Meister, der die Sonnenhöhe seines Lebens schon
überschritten hatte, an die Verwirklichung seines großen nationalen Lebentraums
 
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