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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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3. Heft
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Buss, Georg: Die graphischen Künste auf der grossen Berliner Kunstausstellung 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0076

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Hela Peters: Einst und heut. Nacli einer Radierung.

fpic grapiiiscfien ^Kiinstv auf 3er grossen Jperfiner ^KunstaussteH'ung .1912.

Von Ocorg Buss.

er wandelbare Geschmack der Welt verstößt, was er angebetet hat, und hcbt
auf den Thron, was ihm gleichgültig war. Wenn die großen Bildnisstecher
'lgwKl Ludwigs XIV., die Nanteuil, Masson und Edelinck, eine Platte vollendet hatten,
liefen sich die Saniniler um einen Abzug die Hacken ab, und wenn der elegante
Rokoko-Marquis nach dem Rufe eines feingebildeten Mannes und Kunstliebhabers
strebte, füllte er sein Portefeuille mit Kupferstichen avant la lettre. Die allgemeine
Gunst war dem Linienstich bis vor wenigen Jahrzehnten ziemlich treu geblieben, ob-
wohl ihn manche gestochene Kunstvereinsblätter schwer diskreditiert hatten. Mandels
Sixtina nach Raffael, Hans Meyers Dame mit dem Handschuh nach Van Dyck,
Burgers Aurora nach Guido Reni und andere mehr oder weniger hervorragende
Leistungen fanden noch willkommene Aufnahme. Aber dann begann die Teilnahme
für den klassischen Linienstich sich abzukühlen, um schließlich völlig zu erkalten. Er
ließ sich immer seltener an der Öffentlichkeit blicken, und nun scheint er geradezu
entschlafen zu sein, denn die diesjährige große Berliner Kunstausstellung weist kaum
noch Spuren von ihm auf.

Ja, der wandelbare Geschmack der Welt .... Nun, in diesem Fall ist die
Welt sehr entschuldbar, denn es wäre lächerlich gewesen, auf die Ausnutzung der
modernen mechanischen Vervielfältigungsverfahren zu verzichten, nur um dem Linien-
stich tind den übrigen graphischen Künsten nicht ins Gehege zu geraten. Welcher
hohen Leistungen manche mechanische Verfahren fähig sind, welcher tüchtigen Art
ihr farbiges Faksimile von Gemälden alter und neuer Meister ist, und welchen mäßigen
Zeitaufwand der Herstellungsprozeß im Gegensatz zur langsamen und mühseligen
Arbeit des Linienstechers bedarf, wissen wir ja^alle. Die moderne Gesellschaft, schnell-

[Nachdruck verboten.]

lebig wie sie ist, wartet nicht mehr jahrelang auf den Linienstich eines Meisterwerks
alter Kunst, sondern nimmt mit Freuden das rasch auf dem Plan erschienene Faksimile
und die Kohlenphotographie hin. Gestehen wir doch offen, daß solche Photographie
die Tonwerte bis zu ihren höchsten Feinheiten mit einer Treue wiedergibt, an welche
selbst der beste Linienstich nicht heranreichen kann. Die Maler wissen am besten
davon zu reden.

Gewiß, der Linienstich kann für den Mangel an Treue durch die individuelle
Eigenart des Stechers entschädigen, vorausgesetzt, daß diese interessant ist. Aber über
das Kalte, Unnahbare, Akademische kommt er selten hinaus. So vermag er der leiden-
schaftlich bewegten modernen Gesellschaft, die aus dem Klassischen ins Romantische
gezogen ist, nicht mehr zu behagen. Sie bevorzugt, wie die Ausstellung schon seit
Jahren und auch dieses Mal wieder beweist, alle diejenigen Zweige der graphischen
Kunst, in denen originelle Laune und Reichtum der Phantasie sich zwanglos äußern
können. Man verlangt weiche, malerische Tönung, einschmeichelnde Wärme und
das pikante Spiel zwischen mystischem Dunkel der Schatten und sprühendem Glanze
der Lichter — man verlangt Stimmung. Das ist leichter zu erreichen mit der ge-
fügigen Nadel, der Kreide und dem Ätzwasser, als mit dem schwer zu handhabenden
Grabstichel. So sind Radierung und Lithographie, diese besonders unter dem schon
vor Jahren erfolgten Vorgehen französischer Künstler, eines Maurier, Duchatel und
Cheret, wieder zur Herrschaft gelangt. Die graphische Abteilung hat davon ihr
charakteristisches Gepräge.

Die Berliner Künstlerschaft, an ihrer Spitze die Freie Vereinigung für Graphik,
ist wie üblich am stärksten vertreten. Insgesamt weist sie, abgesehen von Zeichnungen

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