[02
MODERNE KUNST.
mit glänzenden Augen saß sie dem hübschen Speisesaal unter den ge-
putzten fröhlichcn Menschen und stieß mit ihrem Mann an auf „unser
Glück“, auf „unsere Liebe“, auf „unsere Ehe“.
Sie fiel auf in ihrer schlanken, blonden, noch immer mädchenhaften
Schönheit. Beim Nachmittagstee, aut" der Terrasse, suchten elegante
Herren und Damen Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen. Man verabredete
Partien. Man erbot sich, sie in die Geheimnisse des Tennis einzuweihen,
man forderte sie auf zu kleinen Bootfahrten.
Der Kriegsgerichtsrat fürchtete den Zugwind auf dem Tennisplatz
uncl die Feuchtigkeit auf dem Wasser. Aber er hielt sie nie zurück:
„Geh' nur, mein Liebling . . . geh’ . . . ich schreibe unterdes Briefe.“
Und sie küßte ihn flüchtig auf die Wange und cilte davon, ohne sich
auch nur nach ihm umzusehen, aber doch irinerlich dankbar, daß er so
gut zu ihr war, daß er sic an den Freuden des Lebens naschcn ließ. . . .
Sie kam dann zu ihm zurück mit geröteten Wangcn, glänzenden
Augen und wirbelnden Worten, die ihr wie in einem glücklichen Rausche
von den Lippen sprudelten. Und dann lagen Briefe da von Hause, Briefe
von dcr Familie!
„Wir verbrauchen doch viel mehr, als ich dachte“, sagte cler Kriegs-
gerichtsrat.
Er hatte eine Sorgenfalte in der Stirn. Und er schrieb noch lange
in die Nacht hinein und sprach dann noch lange davon, wie man sich
einrichten müßte, damit niemand in der Familie unter seiner Heirat
zu leiden brauchte.
Und danu kamen Briefe an Dora selbst. Auf ihr Ankleidezimmer
müßte sie verzichten. Es war ein Unsinn. Uncl sie dürfte den guten
Hermann nicht zu Ausgaben verleiten. Sie sollte immer daran denken,
daß sie ein armes Mädchen war, oline Mitgift, und eine Mutter und eine
Schwester mit in die Ehe brächte. Wenn die Mama starb, dann fiel
auch die Witwenpension fort, und vom Vermögen war ja so gut wie
nichts mehr da. Es gab auch andere Delferts, die Untcrstützung brauchten.
In dcr Familie müßte nun einmal cincr für den andern einstehen.
Dora zerriß diese Briefe in hundert kleine
Stücke und warf sie in den See, daß sie eine
Weile wie kleine Schneeliocken auf der blauen
Spiegelfläche tanzten . . .
Eines Tages kam dcr Kriegsgerichtsrat, hoch-
rot im Gesicht, in den Hotelgarten herunter
„Dorchen, Dor-
clicn! . . .“
Sie legte eine
Zeitschrift aus der
Hand, in der sie blätterte, während sie auf die Tennisgesellschaft wartete,
die sie abholen sollte.
„Ja . . . Hermann?“
„Komm, Dorchen . . . icH muß dir etwas mitteilen.“
Er war sehr erregt, sein blonder Schnurrbart hing zerzaust um seine
Lippen.
Er gab ihi keine Zeit, sich bei dcr Gesellschaft zu entschuldigen, die
lachend und plaudeind aut sie zusteuerte. Er faßte sie unter den Arm
und sprach heftig' auf sie ein.
„Wir müssen nach Ilause, Doichen .... 0s geht so nicht
denke.“
Ünd er gab lhr den Inhalt zweier Biiefe wieder, clic er erhalten hatte.
Thomas war erkrankt . . . sie sollte nicht erschrecken. Er war wieder
wohlauf . . . um den brauchte sie sich keine Sorge machen. Er machte
sich auch keine Sorge um die Familie. Es war einfach unerhört. Er
hatte alle betrogen, telegraphiert, claß er fortreisen müsse und war statt-
dessen „gemütlich ins Krankenhaus“ spaziert. Der Professor hatte sich
auch gar nicht nett benommen, hatte sich mit an dem Betruge beteiligt.
.Ganz zufällig wäre es herausgekommen. Tante Roth hatte einen tele-
phonischen Anruf aus dem Krankenhaus entgegengenommen. So hatte
man es erfahren.
„Unerhört, Dorchen! Und nun stellc dir vor: clie gute Mama und
Ulrike rasen ins Krankenhaus. Wer sitzt am Krankenbett? Eine wild-
fremde Person! Und geht nicht ’raus, Dorchen, denke dir . . . geht nicht
’raus — wo doch Mutter und Schwester hereinkommen. Mehr noch,
Dorchen, sie bittet die Damen, Thomas nicht aufzuregen, sondern hinaus-
zugehen, setzt sich auf Thomas Bett unu Iiält seine Hand fest! Da kannst
du dir Mamas Zustand denken. Am nächsten Tage kommt ein Brief von
rhomas. Er hat sich mit der Dame verlobt. . . . Also, was sagst du?“
„Ich freue mich“, sagte Dora einfach und mit leisem Beben in der
Stimme.
. Wieso . . . wie kannst du dich denn freuen . . .
was soll denn das heißen?“
Dora hörte den strengen Ton des Vormundes,
wic sie ihn noch aus der Kinderzeit in Erinnerung
hatte, wenn die Mama sich bei ibm Unterstützung
geholt hatte, um ihren Befehlen Nachdruck zu
geben. — Sie erblaßte leicht und schlug mit dein
Rakctt, das sie in der
Harid hielt, gegen
ihr Kleid.
[Schluß folgt.j
„Du freust dich?
Weihnachten in Küdre und Keller.
Von Qeorg Buss.
ie menschliche Natur hat das Bedürfnis, an einer Festfeier nicht nur den
KSg Geist, sondern auch die Materie zu beteiligen. Der prosaische Magen,
dieser kategorische Imperativ unserer Existenz, will, wenn der Geist
sich in Freude und Dankbarkeit ergeht, nicht zurückstehen. Erhebende Ereig-
nisse und Gedenktage im Leben der Völker sind daher seit jeher durch feste
und flüssige Libationen bester Art so geschmackvoll verherrlicht worden, daß
für den Zeitraum der Feier das Dasein zur reinen T.ust ward. Ein Festschmaus
durfte sogar dann nicht fehlen, wenn der Hintergrund der Feier ein rein
religiöser war, brachte er doch den Gläubigen die Güte der Götter, die so köst-
liche Gaben gespendet, zum angenehmsten Bewußtsein. So ist es schon gehalten
worden, als Zeus auf die gesegneten Fluren des Südens und Odin auf die
Wälder und Berge des Nordens herabschauten. Und so ist es geblieben unter
dem Christengott, der hiermit seinen Bekennern Ostern, Pfingsten und We.ih-
nachten um so lieber gemacht hat.
Weihnachtcn — ein Zauberwort ist es, das wie lautere Poesie berührt und
die Herzen höher schlagen läßt. Die Gedanken lenkt es mit unwiderstehlicher
Macht zum erhabenen Ideal aufopfernder, hingebender T.iebe, das der Welt als
Heilmittel gegen den starren Egoismus erstand, und zur freudigcn Vorstellung,
daß mit Zunehmen des Tages der Sieg des T.ichtes über die Finsternis beginne.
[Nachdruck vcrboten.l
Gerade die Völker germanischer Abkunft liaben mit der ganzen Inmgkeit
ihres Empfindens die Weihnachten umschlossen. Das war bereits der rall, als
von Bethlehem noch keine Rede war und lediglich die Wintersonnenwende, das
Längerwerden der Tage, als sichtbares Zeichen der evvig waltenden Gottheit
gefeiert wurde. Rauh ist der Norden und trübe sein Winter Schnee und Eis
und brausende Stürme sind seine Genossen. Kein Wunder, daß sich hier be-
sonders stark das Iloffen auf Licht und Sonnenschein richtete. Am Julfest
atmeten die Menschenherzen auf, witterten sie hoffnungsfroh kommende Früh-
lingsluft, denn die Natur schüttelte auf Gebot der Gottheit den tiefen Schlaf von
sich, milderte das Dunkel und rüstete sich zu friscliem, segenspendendem Zeugen.
Als dann der heklnische Gedanke sich mit dem christlichen, dem von der
erlösenden, allbarmherzigen I.iebe, verschmolz und das Julfest zum Christfest
wurde, trugen sie diesem erst recht ihre Zuneigung entgegen. Und so feiern
wir Menschen germanischen Stammes auch heute noch Weihnächten als unser
schönstes Fest, ihm geistige und physische Huldigungen in Freuden dar-
bringend.
Zur Feier des Julfestes vollbrachten die Germanen gewaltige Leistungen —
natürlich im Essen und .Trinken. Sie bewältigten erstaunliche Kraftgerichte,
darunter solehe von Eber, Bär, Dachs urid Eichhörnchen, und sie tranken
dazu
MODERNE KUNST.
mit glänzenden Augen saß sie dem hübschen Speisesaal unter den ge-
putzten fröhlichcn Menschen und stieß mit ihrem Mann an auf „unser
Glück“, auf „unsere Liebe“, auf „unsere Ehe“.
Sie fiel auf in ihrer schlanken, blonden, noch immer mädchenhaften
Schönheit. Beim Nachmittagstee, aut" der Terrasse, suchten elegante
Herren und Damen Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen. Man verabredete
Partien. Man erbot sich, sie in die Geheimnisse des Tennis einzuweihen,
man forderte sie auf zu kleinen Bootfahrten.
Der Kriegsgerichtsrat fürchtete den Zugwind auf dem Tennisplatz
uncl die Feuchtigkeit auf dem Wasser. Aber er hielt sie nie zurück:
„Geh' nur, mein Liebling . . . geh’ . . . ich schreibe unterdes Briefe.“
Und sie küßte ihn flüchtig auf die Wange und cilte davon, ohne sich
auch nur nach ihm umzusehen, aber doch irinerlich dankbar, daß er so
gut zu ihr war, daß er sic an den Freuden des Lebens naschcn ließ. . . .
Sie kam dann zu ihm zurück mit geröteten Wangcn, glänzenden
Augen und wirbelnden Worten, die ihr wie in einem glücklichen Rausche
von den Lippen sprudelten. Und dann lagen Briefe da von Hause, Briefe
von dcr Familie!
„Wir verbrauchen doch viel mehr, als ich dachte“, sagte cler Kriegs-
gerichtsrat.
Er hatte eine Sorgenfalte in der Stirn. Und er schrieb noch lange
in die Nacht hinein und sprach dann noch lange davon, wie man sich
einrichten müßte, damit niemand in der Familie unter seiner Heirat
zu leiden brauchte.
Und danu kamen Briefe an Dora selbst. Auf ihr Ankleidezimmer
müßte sie verzichten. Es war ein Unsinn. Uncl sie dürfte den guten
Hermann nicht zu Ausgaben verleiten. Sie sollte immer daran denken,
daß sie ein armes Mädchen war, oline Mitgift, und eine Mutter und eine
Schwester mit in die Ehe brächte. Wenn die Mama starb, dann fiel
auch die Witwenpension fort, und vom Vermögen war ja so gut wie
nichts mehr da. Es gab auch andere Delferts, die Untcrstützung brauchten.
In dcr Familie müßte nun einmal cincr für den andern einstehen.
Dora zerriß diese Briefe in hundert kleine
Stücke und warf sie in den See, daß sie eine
Weile wie kleine Schneeliocken auf der blauen
Spiegelfläche tanzten . . .
Eines Tages kam dcr Kriegsgerichtsrat, hoch-
rot im Gesicht, in den Hotelgarten herunter
„Dorchen, Dor-
clicn! . . .“
Sie legte eine
Zeitschrift aus der
Hand, in der sie blätterte, während sie auf die Tennisgesellschaft wartete,
die sie abholen sollte.
„Ja . . . Hermann?“
„Komm, Dorchen . . . icH muß dir etwas mitteilen.“
Er war sehr erregt, sein blonder Schnurrbart hing zerzaust um seine
Lippen.
Er gab ihi keine Zeit, sich bei dcr Gesellschaft zu entschuldigen, die
lachend und plaudeind aut sie zusteuerte. Er faßte sie unter den Arm
und sprach heftig' auf sie ein.
„Wir müssen nach Ilause, Doichen .... 0s geht so nicht
denke.“
Ünd er gab lhr den Inhalt zweier Biiefe wieder, clic er erhalten hatte.
Thomas war erkrankt . . . sie sollte nicht erschrecken. Er war wieder
wohlauf . . . um den brauchte sie sich keine Sorge machen. Er machte
sich auch keine Sorge um die Familie. Es war einfach unerhört. Er
hatte alle betrogen, telegraphiert, claß er fortreisen müsse und war statt-
dessen „gemütlich ins Krankenhaus“ spaziert. Der Professor hatte sich
auch gar nicht nett benommen, hatte sich mit an dem Betruge beteiligt.
.Ganz zufällig wäre es herausgekommen. Tante Roth hatte einen tele-
phonischen Anruf aus dem Krankenhaus entgegengenommen. So hatte
man es erfahren.
„Unerhört, Dorchen! Und nun stellc dir vor: clie gute Mama und
Ulrike rasen ins Krankenhaus. Wer sitzt am Krankenbett? Eine wild-
fremde Person! Und geht nicht ’raus, Dorchen, denke dir . . . geht nicht
’raus — wo doch Mutter und Schwester hereinkommen. Mehr noch,
Dorchen, sie bittet die Damen, Thomas nicht aufzuregen, sondern hinaus-
zugehen, setzt sich auf Thomas Bett unu Iiält seine Hand fest! Da kannst
du dir Mamas Zustand denken. Am nächsten Tage kommt ein Brief von
rhomas. Er hat sich mit der Dame verlobt. . . . Also, was sagst du?“
„Ich freue mich“, sagte Dora einfach und mit leisem Beben in der
Stimme.
. Wieso . . . wie kannst du dich denn freuen . . .
was soll denn das heißen?“
Dora hörte den strengen Ton des Vormundes,
wic sie ihn noch aus der Kinderzeit in Erinnerung
hatte, wenn die Mama sich bei ibm Unterstützung
geholt hatte, um ihren Befehlen Nachdruck zu
geben. — Sie erblaßte leicht und schlug mit dein
Rakctt, das sie in der
Harid hielt, gegen
ihr Kleid.
[Schluß folgt.j
„Du freust dich?
Weihnachten in Küdre und Keller.
Von Qeorg Buss.
ie menschliche Natur hat das Bedürfnis, an einer Festfeier nicht nur den
KSg Geist, sondern auch die Materie zu beteiligen. Der prosaische Magen,
dieser kategorische Imperativ unserer Existenz, will, wenn der Geist
sich in Freude und Dankbarkeit ergeht, nicht zurückstehen. Erhebende Ereig-
nisse und Gedenktage im Leben der Völker sind daher seit jeher durch feste
und flüssige Libationen bester Art so geschmackvoll verherrlicht worden, daß
für den Zeitraum der Feier das Dasein zur reinen T.ust ward. Ein Festschmaus
durfte sogar dann nicht fehlen, wenn der Hintergrund der Feier ein rein
religiöser war, brachte er doch den Gläubigen die Güte der Götter, die so köst-
liche Gaben gespendet, zum angenehmsten Bewußtsein. So ist es schon gehalten
worden, als Zeus auf die gesegneten Fluren des Südens und Odin auf die
Wälder und Berge des Nordens herabschauten. Und so ist es geblieben unter
dem Christengott, der hiermit seinen Bekennern Ostern, Pfingsten und We.ih-
nachten um so lieber gemacht hat.
Weihnachtcn — ein Zauberwort ist es, das wie lautere Poesie berührt und
die Herzen höher schlagen läßt. Die Gedanken lenkt es mit unwiderstehlicher
Macht zum erhabenen Ideal aufopfernder, hingebender T.iebe, das der Welt als
Heilmittel gegen den starren Egoismus erstand, und zur freudigcn Vorstellung,
daß mit Zunehmen des Tages der Sieg des T.ichtes über die Finsternis beginne.
[Nachdruck vcrboten.l
Gerade die Völker germanischer Abkunft liaben mit der ganzen Inmgkeit
ihres Empfindens die Weihnachten umschlossen. Das war bereits der rall, als
von Bethlehem noch keine Rede war und lediglich die Wintersonnenwende, das
Längerwerden der Tage, als sichtbares Zeichen der evvig waltenden Gottheit
gefeiert wurde. Rauh ist der Norden und trübe sein Winter Schnee und Eis
und brausende Stürme sind seine Genossen. Kein Wunder, daß sich hier be-
sonders stark das Iloffen auf Licht und Sonnenschein richtete. Am Julfest
atmeten die Menschenherzen auf, witterten sie hoffnungsfroh kommende Früh-
lingsluft, denn die Natur schüttelte auf Gebot der Gottheit den tiefen Schlaf von
sich, milderte das Dunkel und rüstete sich zu friscliem, segenspendendem Zeugen.
Als dann der heklnische Gedanke sich mit dem christlichen, dem von der
erlösenden, allbarmherzigen I.iebe, verschmolz und das Julfest zum Christfest
wurde, trugen sie diesem erst recht ihre Zuneigung entgegen. Und so feiern
wir Menschen germanischen Stammes auch heute noch Weihnächten als unser
schönstes Fest, ihm geistige und physische Huldigungen in Freuden dar-
bringend.
Zur Feier des Julfestes vollbrachten die Germanen gewaltige Leistungen —
natürlich im Essen und .Trinken. Sie bewältigten erstaunliche Kraftgerichte,
darunter solehe von Eber, Bär, Dachs urid Eichhörnchen, und sie tranken
dazu