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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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22. Heft
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Busse-Palma, Georg: Der Juwelenschatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0687

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285

- Der Juwelenschatz. —

Von Georg Busse-Palma.

«er Tod des in einer süddeutschen Provinzstadt lebenden Amtsrichters a. D.

Ewalder war nrplötzlich und unter geheimnisvollen Umständen erfolgt. Als
Frau Johanna Klawitter, seine langjährige Wirtschafterin, das Geschirr des
Mittagessens heraustrug, sah sie den schweigsamen alten Herrn am Buffet'stehen und
sich aus einer Geneverflasche ein Gläschen einschenken. Wenige Minuten darauf fiel
das Tablett mit dem schwarzen Kaffee, der den gewohnten Abschluß seines Mahles
bilden sollte, aus ihrer vor Schreck zitternden Hand. Der Herr lag nämlich auf dem
bunten Perserteppich mit unnatürlich glänzenden, fiebernden Augen und war schon
nicht mehr bei Besinnung. Jedenfalls schloß Frau Klawitter das aus der völligen
Gleichgültigkeit, mit der er das braune Naß über seine immer peinlich saubercn
Manchetten rinnen ließ. Wäre er bei Be-
wußtsein gewesen, so hätte er das trotz
der größten Schmerzen nie geduldet.

Der sofort herbeigehohe Arzt
vermochte ihm nicht mehr zu helfen.

Ewalder starb ihm unter den Händen,
und eine Untersuchung des Inhalts der
Flasche ergab, daß er statt Genever
Atropin getrunken hatte.

Ein Unglücksfall, durch eine rein
zufällige Verwechsiung zweier Fiaschen
entstanden, so erklärten sich die meisten
das Ereignis. Einige andere vermuteten
jedoch, daß größere finanzielle Ver-
luste den sehr bescheiden lebenden
alten Herrn in einen freiwilligen Tod
getrieben hätten. Jedenfalls gab sich
keiner bezüglich seiner Hinterlassen-
schaft großen Erwartungen hin. Weder
seine einzige am Ort ansässige Ver-
wandte, die neben ihrem als Offizier
in einer benachbarten Garnison stehen-
den Bruder die alleinige Erbin war,
noch der gerichtlich bestellte Nachlaß-
pfleger Rechtsanwalt Dr. Dirschau.

Dr. Dirschau war ein geschniegelter
dickbäuchiger Herr triit schwarzem
Spitzbart, der mitVorliebe ein Monokle
trug. Er hatte den Verstorbenen, der
in seiner höflichen Verschlossenheit
mit niemanden vertraut gewesen war,
flüchtig gekannt und stand seit ge-
"aumer Zeit schon mit der erbberech-
tigten Kusine, Fräulein Marga Asmus,
in gelegentlichem gesellschaftlichen
Verkehr.

Als sie nachmittags in seinem
Bureau erschien, in dem niemals ein
großet Andrang herrschte, erhob er
sich sofort auf das höflichste und ging
mit ihr in die Wohnung Ewalders,
um mit der Durchsicht des Nachlasses
sogleich zu beginnen.

„Können Sie mich vielleicht auf
besondere Wertsachen aufmerksam
machen, die sich vorfinden müssen?" fragte er dort.
wenn wirdas Wichtigste zuerst feststellen.“

Fräulein Asmus, die nach ihrent Beruf Gemeindeschullehrerin und im i'tbrigen
nicht mehr weit von der Grenze des heiratsüblichen Alters entfernt war, legte nach-
sinnend den Finger an das fleischige Kinn.

„Schwerlich!" antwortete sie zögernd. „Mein Onkel lebte wohl größtenteils von
seiner Pension und hat wahrscheinlich nur ein geringes Vermögen. Den Depotschein
werden wir ja unter den Papieren finden. Und sonst, ja ich wüßte wirklich nicht.
Oder doch: einen Becher zeigte er mir mal, auf den er sehr-viel Wert legte. Er war
aus Gold und mit farbigen Edelsteinen besetzt."

„Mit Edelsteinen?" staunte der Anwalt. „Wissen Sie, wo der Tote ihn ver-
wahrte? Oh, an schönen Steinen habe auch ich eine große Freude und bin wohl
auch ein wenig Kenner.“

Eitel hob er die Hand, an der seine beiden Renommierbrillantringe funkelten,
vor die Augen, während Fräulein Asmus ihn bewundernd und errötend betrachtete.
Sie errötete fast immer, wenn sie ihn ansah.

Dann blickte sie ratlos in dem großen, selir ordentlich gehaltenen Zimmer umher.
„Nein, Herr Döktor! Wo er ihn verwahrt, weiß ich nicht. Wir waren ja nicht
sehr vertraut miteinander, und sowohl ich wie mein Bruder waren nur selten hier.

- [Nachdruck vcrboten.|

Das letzte Mal, glaube ich, vor einem Jahre. Da zeigte er mir ihn und sagte, er wfirde
zu meiner Hochzeit daraus trinken. Er wollte mich nämlich überreden, eine Ehe ein-
zugehen.“ . . .

„Und wollen Sie denn dauernd Männerfeindin bleiben?“ fragte Dr. Dirschau mit
leisem Spott. Er verstand ihr Erröten und ihre heimlichen Biicke ganz genau, aber
weder sie selbst noch ihre fünfundzwanzig Groschen Vermögen hatten viel Ver-
lockendes fiir ihn.

„Männerfeindin?"

Das starkknochige Mädchen sah ihn schwärmerisch an, und ihr sommer-
sprossiges Gesicht war urplötzlich über und iiber wie in Blut getaucht.

„Oh nein, Herr Doktor, das bin
ich nicht. Man kommt nur ieicht in
den Ruf, wenn man nicht von dem
begehrt wird, bei dem man solclie
Gefühle wünscht!"

„Ja, das soll vorkommen!" sagte
Dr. Dirschaü trocken. „Aber hier in
dieser Sclireibtischschublade ist nichts
anderes als Papier. Ich denke also,
es ist das beste, wir gehen ganz
systematisch vor."

Schub nach Schub und Schrank
nach Schrank wurden durchsucht und
der Inhalt notiert. Was sich vorfand,
war die übliche Junggeselienhinter-
lassenschaft: viele Bücher, besonders
über den Orient und iiber Edelsteine,
viele abgetragene Kleider und die
hundert Kleinigkeiten, die der Besitzer
nicht entbehren kann, und die fiir
jeden andern, völlig wertlos sind.

Als sich der Depotschein vor-
fand, zeigte sich auch, daß sein Bar-
vermögen noch geringer war, als man
vermutet hatte. Kaum zwanzigtausend
Mark betrug sein Guthaben.

„Etwas mehr iiaben wir freiiich
erwartet,“ meinte Fräulein Asmus ent-
täuscht. „Ich bin ja nicht darauf an-
gewiesen und habe außer meinem
Gehalt ja selber ein kleines Vermögen.
Aberdennoch! Ja, ja, das andere wird
der arme Onkel wohl verreist haben.
Sie wissen doch, daß er friiher viel
im Auslande war, Herr Doktor?"

„ Ich hörte davon", antwortete
der Anwalt zerstreut und kniete nieder,
um in einen kleinen Wäscheschrank
flüchtig hineinzubiicken.

„Ja, er hat sich sehr früh pensio-
nieren lassen und war dann in der
Türkei, in Indien und Gott weiß
wo sonst noch. Ach! da ist ja das
Prunkstück.“

Dr. Dirschau hatte eine eiserne
Kassette hervorgezogen, in der, unter einem Blatt beschriebenen Papiers, ein bunt-
funkelnder Becher lag, den er neugierig ans Licht hob.

Er sc'hien aus Gold zu sein, war handhoch und so dicht mit farbigen Steinen
besetzt, daß von dem gelben Metall wenig hindurchschimmerte. Amethyste, Smaragde,
runde und herzförmig geschliffene Rubinen, grasgrün, pflaumenblau und blutrot, ver-
einten sich auf ihm zu sonderbaren Blumenornamenten, in deren Kelche große rosige
Perlen eingelassen waren. Allzu bunt und grell in der Farbenzusammenstellung wirkte
der Becher doch imposant.

Verblüfft starrte der Anwalt das Wertstück an. Dann las er Fräulein Asmus, die
an seine Seite getreten war, die Notizen vor, die sich der Verstorbene auf dem dabei
befindlichen Bogen gemacht hatte.

„Dieser Becher wurde im Jahre Achtzehnhundertfünfundneunzig von dem Juwelier
Jules Cohen in Paris nach einer indisclien Vorlage fiir mich angefertigt. Die ersten
Steine dazu sammeite ich achtzehnhundertaclitzig. Er enthält vierhundertdreiund-
zwanzig Edelsteine und zwölf Perlen. Und zwar — — —

Dann folgte eine schier endlos wirkende Aufzählung ail der Arten und
Farben.

„Lieber Gott!“ sagte das Fräulein. „So genau hab ich ihn mir damais gar iiicht
angesehen. Da ist er wohl wirklich was wert?"



Spielendes Kind.
Es vereinfacht die Arbeit,

Phot. Nicola Perscheid.

XXVII 72
 
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