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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Graf Schlieffen

Einer der bedeutendsten Generale des deutschen
Ileeres — wahrscheinlich der bedeutendste — ist am
4. Januar durch den Tod abberufen worden.

Alfred Graf von Schlieffen ward am 28. Februar 1833
in Berlin geboren. Er besuchte das Joachimsthalsche
Gymnasium und die Universität Berlin. Ursprünglich
für die diplomatische Laufbahn bestimmt, trat er 1853
in das 2. Garde-Ulanen-Regiment ein und widmete sich
dann, von starker Liebe zum Kriegsdienste erfaßt, diesem
Berufe. Er wurde 1854 Leutnant, machte die Feldzüge
von 1866 und 1870/71 als Generalstabsoffizier mit und
erwarb das Eiserne Kreuz I. Klasse. Später hat er in
verschiedenen Stellungen des Generalstabes Dienst getan,
war inzwischen Kommandeur des 1. Garde-Ulanen-
Regiments und wurde 1891 als Nachfolger des Grafen
Waldersee Chef des Generalstabes der Armee. Gegen
Ende des Jahres 1905 trat er von diesem Amt zurück.
Der Kaiser hat ihn zu seinem Generaladjutanten und
zum Generalfeldmarschall ernannt. Auf Vorschlag des
Brandenburgischen Domkapitels wurde der Graf 1904
Mitglied des preußischen Ilerrenhauses.

Graf Schlieffen war eine ausgeprägte, abgeklärte
Persönlichkeit, seinem großen Vorgänger, dem Grafen
Moltke sehr ähnlich, seinem unmittelbaren Vorgänger,
dem Grafen Waldersee, aber weit überlegen. Von hoher,
schlanker Gestalt, ernst und schweigsam, vornehm
zurückhaltend und nie in die Öffentlichkeit tretend, ver-
tiefte er sich bis in sein hohes Alter hinein in alle
Zweige der Kriegswissenschaften, nichts gering achtend,
die Lehren der Kriegsgeschichte verwertend, jede Neue-
rung für das Heer nutzbar machend, — ein Mann von
ungewöhnlichen Gaben und universeller Bildung. Fast
15 Jahre lang hat er, ein würdiger Schüler Moltkes, da.s
deutsche Reichsschwert in der Hand gehabt, bereit, es
auf Befehl seines Kriegsherrn zu zücken.

Die Tätigkeit eines Generalstabschefs vollzieht sich
im Frieden in aller Stille. Die Öffentlichkeit merkt
nichts von dieser gewaltigen, entscheidenden Arbeit, und
auch innerhälb der Armee nur ein kleiner bevorzugter
Kreis. In den Bahnen Moltkeschcr Schule wandelnd,
hat Schlieffen den Generalstab weiter entwickelt, ihn
und die höheren Truppenführer aller Grade in die Auf-
gaben eingeführt, die eine Verwendung von Millionen-
heeren in der Zukunft an sie stellen wird. Der jüngste
Generalstabsoffizier mußte sich fortan mit den größten
Verhältnissen kriegerischer Operationen beschäftigen, —
eine segensreiche, unentbehrliche Einrichtung. Schlieffen
forderte bei allen strategischen und taktischen Übungen
eine der Wirklichkeit entsprechende Berücksichtigung
der Kolonnen und Trains, d. h. des Trosses, den die
Römer „impedimentä“ nannten, und der seit alters her
alle Heeresbewegungen stark beeinflußt hat. Ihm ist
die Einführung des Steilfeuers bei der Feldartillerie,
namentlich aber die Verwendung der schweren Artilierie
beim Feldheere zu verdanken. Damit ist die Fußartillerie
wieder dem Feldheere nutzbar gemacht worden. Er
hat ferner auf die genügende Wertung der Festungen
bei den Operationen des Feldheeres hingewiesen und
darnit früher begangene, noch 1870/71 fühlbare Unter-
lassungen gut gemacht, außerdem das Nachrichtenwesen,
entsprechend den Fortschritten der Technik, ungemein
vervollkommnet. Die Gele-
genheit hat gefehlt, seine
gründlichen kriegerischen
Vorbereitungen im Ernstfalle
zu erproben. Doch das ge-
samte deutsche Heer und
namentlich der Generalstab,
der seinen Chef begeistert
verehrte, hatte das Ver-
trauen, daß Schlieffen seiner
Aufgabe gewachsen war.

Als der fast 73jährige
General nach hingebender,
reich gesegneterTätigkeit aus
der ehrenvollsten Stellung
schied, die es in der Armee
gibt, dachte er nicht an Ruhe.

F.r vertauschte das Schwert
mit der Feder und verwertete
seine reichen Kenntnisse
und Erfahrungen weiter zum
Nutzen des Vaterlandes.

Seine interessanten, lehr-
reichen Schriften, die von un-
vergänglichem Werte sind
und Weltruf erlangt haben,
sind zum großen Teil in
dem v. Altenschen Hand-
buch fiir Ileer und Flotte
(Deu:sches Verlagshaus Bong
& Co.) veröffentlicht worden.

Dort hat er in meisterhafter
Weise den FeldzugNapoleons
von 1806/07 gegen Preußen
und Rußland geschildert, die
vielen vorhandenen irre-

leitenden Darstellungen über den Haufen werfend, und
hat diese Beschreibung durch zahlreiche Einzeldarstel-
lungen von Schlachten und Gefechten ergänzt, von denen
manche, z. B. Jena, erst in den späteren Bänden er-
scheinen sollen. Sein Aufsatz„ Feldherr“ im III.Bande des
Handbuches ließ die Welt aufhorchen. Die Presse aller
Völker besprach bewundernd dieses Meisterwerk, das
in der gesamten Literatur nicht seinesgleichen findet.
Vorher schon hatte Schlieffen im II. Bande des Hand-
buches eine Monographie Bismarcks geschrieben, die
den Staatsmann in militärischer Beleuchtung zeigt und
ebenfalls als unübertroffen gilt. Der IV. Band hat aus
der Feder des Feldmarschalls unter anderm die fesselnd

Graf Schlieft'en J.

geschriebenen Lebensbeschreibungen von Gneisenau und
Hannibal rnit tief durchdachter Darlegung ihrer Feld-
herrntätigkeit gebracht. Wie wir hören, sind noch zahl-
reiche Handschriften vorhanden, die in den später er-
scheinenden Bänden des Handbuches veröffentlicht
werden sollen. Die Schriften des Grafen Schlieffen
zeichnen sich durch klare, schöne Darstellungsweise,
durch wuchtigen, lapidaren Stil und überzeugende Urteils-
schärfe aus. Auch in dieser Beziehung ähnelt er Moltke.

Detn deutschen Volke mag es ein Trost sein, daß
der überragende, geniale Mann für würdige Schüler
seiner Feldherrnkunst gesorgt hat! L.

Der neue Sudermann.

Aus der romantischen Dichtung, die Sudermann
z. B. in dem „Bettler von Syrakus“ und den „Strand-
kindern“ ohne rechte innere Berufung pflegte, hat er

jetzt den Weg wieder zum Gesellschaftsstück genommen.
Unwillkürlich denkt man an „Die Ehre“ zurück. Wie
er damals den Begriff der Ehre als etwas Fragwürdiges
hinstellte, so geschieht es jetzt mit dem nah verwandten
„Guten Ruf“. Das ist der Grundgedanke des Stückes.
Baronin Dorrit von Tanna gerät ins Gerede, ohne daß
ein wirklicher Grund hierzu vorhanden wäre, und um-
gekehrt genießt ihre Freundin Karla Weißegger, die
Frau eines Geheimen Kommerzienrats den Ruf geradezu
der Vorbildlichkeit, während sie sich einst dem jungen
Max Thermählen hingegeben hat.

Auf diesem Motive ist Sudermanns recht kompli-
zierte und manchmal etwas verworrene Handlung auf-
gebaut, die er selbst gelegentlich nur mit Mühe vorwärts
stößt. Das Milieu gibt das reiche Berlin W ab, das der
Dichter von „Sodoms Ende“ und des „Blumenbootes“
ja ausgezeichnet kennt. Karla Weißeggers Gatte stellt
den guten Ruf seines Hauses über alles. Da seine Frau
also nicht im eignen Heim mit Max Thermählen öfters
zusammenzukommen wagt, bittet sie Dorrit darum, sie
solle den Geliebten an sich fesseln, damit sie ihn dort
sehen und sprechen könne. Man braucht kaum zu er-
wähnen, daß sich nun zwischen Dorrit und Max eine
Liebe entspinnt, ohne daß jedoch beide die ihnen ge-
setzten Grenzen überschreiten. Aber freilich, der Ruf
der Baronin wird dabei völlig untergraben.

Weit mehr, als die selbständige Dorrit, diese am
besten geschilderte Figur des Stückes, ist ihr Vater von
seinem Ehrgeiz und der Rücksicht auf die Menschen
abhängig. Früher selbst ein reicher Besitzer wie der
Geheime Kommerzienrat Weißegger, ist er auf dessen
Veranlassung durch das Syndikat vernichtet worden,
so daß er jetzt als Angestellter Weißeggers fortleben
muß. Das gleiche gilt von Dorrits Gatten, dem Baron
von Tanna, einern ausgemachten Lümpchen, das sich
auf Kosten seiner Gattin und deren Ehre wieder
rangieren möchte, vorerst aber als Sekretär Weiß-
eggers lebt.

So führt Sudermann mit geschickter Exposition und
ctwas schwerfälligem zweiten Akt zum dritten Akt iiber,
der die ganzen Vorzüge und die ganzen Schwächen seiner
Bühnenkunst zeigt. Zu den beiden Frauen Dorrit und
Karla, die Max Thermählen lieben, tritt noch eine dritte,
die junge Anna Söhnlin, die Kommerzienrat Thermählen
dem Sohne als Gattin wünscht. Und — Karla soll die
beiden zusammenführen! Da, in ihrer Verzweifiung
beginnt sie ihrem Gatten im Beisein von Dorrit und
dem Baron Tanna das Geständnis ihres Fehltritts abzu-
legen, bis Dorrit endlich sie unterbricht und ihr mit-
teilt, daß sie dadurch nichts gewinne, da Max sie nicht
mehr liebt. Kaum ist Karla davongestürzt, als Weiß-
egger Dorrit verhört und diese, um die Freundin zu
retten, deren Fehltritt auf sich nimmt. Jetzt wieder will
Baron Tanna, der alles durchschaut hat, triumphieren,
weil seine Gattin sich in dem reichen Hause, dessen
Geheimnisse sie kennt, allmächtig macht. Da sagt sie
sich angeekelt von ihm los. In die Szene, die sich
zwischen beiden entspinnt, greift Max Thermählen ein:
und die beiden Männer werden sich schießen. Kom-
merzienrat Weißegger verlangt nur das eine, daß sein
Haus in diesem Skandal außer Spiel bleibe.

Das alles sind starke Spannungen und Über-
raschungen. Sudermann kennt sein Publikum und weiß,

daß auf der Bühne „des
wilden Augenblicks Gewalt“
siegt. Mögen die Szenen dem
nachprüfenden Verstande
auch nicht standhalten, wenn
sie nur die schwere Masse er-
griffen und gezündet haben.
Denn es ist in der Tat sehr
unwahrscheinlich, wie fast
alles an Sudermanns Stücke,
daß Frau Karla ihrem Manne
die Enthüllungen coram pu-
blico macht, und es ist eben-
so unwahrscheinlich, daß
Dorrit mit ihrem Manne in
gleicher, öffentlicher Weise
abbricht. Und das Duell, ja
es durfte bei Leibe nicht
fehlen! Aber zweifellos ist
der Akt effektvoll gebaut,
mag sicli hier auch die ganze
Kluft auftun, die den The-
atraliker Sudermann von
einem Dichter immer mehr
scheidet. Es ist ein Jam-
mer um unsere dramatische
Kunst; wir haben Dichter
mit edlern Material in der
Seele, denen die Fähigkeit
des Bauens fehlt, und andere,
die mit schlechtem Material
gut bauen.

Dem letzten Akt steht
Sudermann völlig hilflos
gegenüber. Schließlich hat
Weißegger von dem Ver-

Szenenbild aus Heimann Sudermann: „Der gute Kuf". Phut.

Fräulein Galafres als Baronin Tanna. Herr Ulrici als Kommerzienrat V e.ßegger.

XXVII.. 12. B.
 
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