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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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11. Heft
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Buss, Georg: Karneval am Rhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0325

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MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

143

L. A. Tessier: Wirbelwind.

{{arncral am

Von Qeorg Buß.

[Nachdtuck verboten.]

.]l, 'S; er beriihmte Professor Schellenkappius, Mitglied des Qroßen
und des Kleinen Rats der Universitätsstadt a. D. Köln am
Rhein, dessen glänzende wissenschaftliche Verdienste ein
vorläufig haderndes Komitee durch ein großartiges Standbild in
schwarzer Bronze feiern will, ist auf Qrund höchsten Tiefsinns
und nach Überwindung eines erstaunlichen Labyrinths anatomischer
und physiologischer Forschungen zur festen Überzeugung gelangt,
daß die Menschheit vor Adam und Eva nicht gesprochen, sondern
gesungen habe. Weib, Mann und Kind sangen. Man sang beim
Frühstück, Mittag- und Abendbrot, sang im Kontor, an der Börse,
im Bureau, im Parlament, in der Kaserne, in der Redaktion, zu
Hause und auf der Straße. Wenn der Mann um Mitternacht
schwankend die Coupona verließ und auf dem Heimwege mit voller
Lungenkraft selig zu den Sternen sang, so hatte er nicht das
geringste Strafmandat zu befürchten, denn Nachtwächter, Schutz-
mann, Richter und Exekutor sangen selber. Auch daheim wurde
er mit Fortissimo-Gesang empfangen — sogar von der Schwieger-
mutter. Es galt das herrliche Gesetz: „Singe, wem Qesang gegeben!"

Und so ist es erklärlich, daß der Urmensch, wenn er die Glut
seines liebenden Herzens in schmetterndem Tenor der Urjungfrau
offenbarte, diese, hold errötend, ihren schönsten Triller Iosließ, der
ungefähr sagte: „Singen Sie mit Papa!" Wie reizvoll solch feuriges
Duett mit dem hoffnungsfrohen Finale geklungen hat, läßt sich denken.

Leider ist dieses vom Professor Schellenkappius verführerisch
ausgemalte Caruso-Zeitalter längst entschwunden. Heute ist Caruso
eine Ausnahme — wer ihn hören will, muß mindestens ein in
Gold gefaßter Millionär sein. Ach, wir sind musikalisch stark de-
generiert: sind tief hinabgesunken zum Gekreische der Phono-
graphen, Geheul der Autos, Gebimmel der Straßenbahnen und
unzähliger Klimperkasten. Es ist höchste Zeit, gegen diese De-
generation energisch vorzugehen, auf daß nach Noten wieder ge-
sungen werde, Musik wieder das Dasein verschöne und in Handel
und Wandel wieder Harmonie komme; denn „ein frohes Lied aus
heitrer Brust macht froh des Lebens Gang".

Dank den wackern Kölnern! Tief durchdrungen von der
Notwendigkeit einer musikalischen Renaissance, haben sie den mit
neunzehn Prunkwagen kostbar ausgestatteten Rosennrontagszug ihres
dfesjährigen Karnevals der Feier des deutschen Lieds gewidmet.

Es verdient höchstes Lob, daß alle jene poetischen und gesanglichen
Perlen, welche Met, Bier und Wein schwungvoll verherrlichen, aber
unter der Antialkoholbewegung in schmähliche Vergessenheit zu
geraten drohen, wieder hervorgeholt sind, urn aufs neue ihre sieg-
reiche Kraft zu bewähren. Ein Jammer wäre es, wenn die Lieder
vom schwarzen Walfisch zu Askalon, von Noah, der aus dem Kasten
kam, vom fidelen Bierlala und von den durstigen Engeln, die beim
Kneipen Bamberger Biers den ganzen Herrgottsdienst vergaßen,
nicht mehr erklingen sollten. Wir können als brave Deutsche ohne
solche Lieder und besonders ohne vorzügliches Getränk nicht aus-
kommen, nicht unsere Kulturmission auf dem Erdball erfüllen.

Treffend singt denn auch der Dichter:

Die Erde wär ein Jammertal, wie unser Pfarrer spricht,

Des Deutschen Leben Müh und Qual, hätt er den Rheinwein nicht.

Der macht die kalte Seele warm, der allerkleinste Tropf
Vertreibt den ganzen Grillenschwarm dem Zecher aus dem Kopf.

Und begreiflich ist es, wenn ein anderer Sänger sich in folgenden tiefsinnigen Re-
flexionen ergeht:

Schon oft hab’ ich, bei meiner Seel’, Und wie bequem gemacht:

Darüber nachgedacht, Es trägt ein Faß im Leib daher —

Wie gut’s der Schöpfer dem Kamel Wenn nur kein Wasser drinnen wär!

Der Hauch dieser Lieder trefflichster Meistersänger schwebt über dem Karneval und
zaubert im Verein mit Trauben- und Gerstensaft jene Stimmung hervor, die zu allen
losen Streichen fähig ist.

Aber nichtsdestoweniger kommen in diesem Milieu Kunst und Wissenschaft zu
ihrem Recht. Bezüglich der Wissenschaft liefert schon Professor Schellenkappius ein
rühmenswertes Beispiel. An anderen fehlt es nicht — erinnert sei an den beriihmten
Professor der Archäologie Schmitzius. Er wies schon vorjahren unwiderleglich nach,
daß die das Weichbild der Stadt durchströmende Duffesbach, deren Odeur sich auf
Kilometerweite selbst den verschnupftesten Nasen bemerkbar machte, insofern ein
klassisches Gewässer sei, als sie Tiberwasser enthalte, welches römische Legionen
in einigen Dutzend Fässern mitgeschleppt und, weil auf dem langen Marsch unbraucri-
bar geworden, nach Einnahme der Ubierstadt in besagten Bach abgelassen hätten.
Solches werde bezeugt durch einen am Ufer des Baches aufgefundenen Ziegel-
stein mit Legionsstempel und ein Halbstück zu 500 Liter mit leider unlesbar ge-
wordener Inschrift. Schmitzius hat dieses mit höchstem Scharfsinn und beinahe un-

verständlicher Gelehrsamkeit verfaßte Buch, ein Produkt langen Brütens, in assyri-
scher Keilschrift geschrieben und auf vielfachen Wunsch ins Demotische übersetzt.
Was aber die Kunst betrifft, nun, so hat hier vor mehr als einem halben Jahrtausend
jene altkölnische Malerschule geblüht, deren Meister so schaurig - schöne Tor-
turen zu malen wußten, und hat in der Sternengasse jener berühmte Peter Paul
Rubens das Licht der Welt erblickt, dessen Geburt Siegen in Anspruch nimmt, was
aber nichts ausmacht, denn dann ist der große Mann eben — zweimal geboren
worden. Genug* eine rühmliche Tradition ist vorhanden, die im Verein mit der
Sezession den Karnevalszug zum farbenprächtigsten Kunstwerk modelt.

Überhaupt sind Kölner und Kölnerin gerade während der Karnevalszeit vom
tiefsten Respekt vor der Kunst beseelt — insbesondere vor Kostüm-, Tanz- und Rede-
kunst. Die Reden werden in den vom 11. November bis Aschermittwoch wöchent-
lich ein- oder zweimal stattfindenden Sitzungen des Großen Rats gehalten und ver-
breiten ‘sich über alle Gebiete des Wissens, der Literatur, der Frauenbewegung und
der Lokalgeschichte. Ein Auditorium von vielen hundert Köpfen, alle bedeckt mit
der rot-grün-gelben Narrenkappe, lauscht mit Begeisterung den witzigen Worten, die
von der Rednerbühne, der „Bütt", durch den Saal flitzen. Am glänzendsten öffnen
sich die Schleusen der Beredsamkeit in den Sitzungen mit Damen. Es ist erstaun-
lich, welche tiefe Weisheit unter der Maske gelehrten Unsinns zutage gefördert wird.
Natürlich bleiben die Kehlen des Großen Rats nicht trocken. Wegen des vielen Ge-

frierfleisches hat im Laufe dieser Session der Konsum an heißent Grog, Punsch und
Glühwein außerordentlich zugenommen, aber der an gefüliten Schoppen nicht abge-
nommen. Der selige Heracleitos hat recht: jr«Tra pel — ailes fließt.

Sonntag, Montag und Dienstag vor Aschermittwoch sind die eigentlichen karne-
valistischen Festtage. In Scharen strömen von auswärts erwartungsvolle Gäste herbei.
Das Maskengewühl mag nicht mehr so stark wie in früheren Jahren sein, aber es ist
noch bunt, wechselvoll, scherzhaft und interessant genug, um zu fesseln und zu
enthusiasmieren. An witzigen Einfällen hat es nie gefehlt. Der pfiffige Kuriositäten-
händler, der dem hochverehrten Publiko mit erklärendem Wortschwall als Schwert
des Damokles einen verrosteten Schutzmannssäbel, als Zahn der Zeit den mächtigen
Backenzahn eines verstorbenen Rosses, als Auge des Gesetzes das erloschene Sehorgan
eines toten Kalbes und als die von Kleopatra aufgelöste und getrunkene kostbare
Perle eine gelbliche Flüssigkeit in zierlicher Phiole vorweist, hat die Lacher auf seiner
Seite. Andere Schlauköpfe stehen in regem Wetteifer mit ihren Einfällen nicht nach.
Der sitzfeste Kassierer, der goldsichere Bankier, treuester Bewahrer von Depositen, der
zuverlässige Hausknecht, der höfliche Mann des Schutzes und ähnliche Typen sind
Schlager und erregen Beifall. Breit sich machende Agrarier, Finanzmagnaten und
Schlotbarone fehlen nicht. Dazwischen wandelt in blauem Kittel, Gamaschen und
Zipfelmütze das von allen politischen Parteien umworbene ehrsame Bäuerlein. —
Es versteht sich von selbst, daß auch die Damen frisch, froh, fromm und frei

dabei sind. Den leuchtenden Gestirnen der Schöpfung wird mit
höchster Gentilesse gehuldigt. In verstärktem Maße entfaltet sich
der Minnedienst auf den Bällen. Die Krone bilden die großen
Kostümbälle im prächtig dekorierten Hauptsaal des Gürzenichs.
Kaum ein anderer Festsaal Europas kann sich mit ihm an Größe
des Raurns, an Schönheit wirkungsvoller gotischer Architektur, an
satter brauner und bunter Farbenstimmung vergleichen. Bilder
bestrickenden Glanzes bieten sich dar — schmiegsame und schlanke,
dicke und rundliche Gestalten, Königinnen, Dogaressen, Prinzi-
pessen, Edeldamen, Ophelien, Iphigenien, Klärchen, Gretchen,
Mignons, insgesamt verführerische Zauberinnen in wunderherrlichen
Kostümen, und im Verein mit ihnen edle Hidalgos, krummsäblige
Paschas, langbezopfte Chinesen, weißzähnige Mohren, verschniirte
Kosaken, Polen, Armenier und eine bunte Legion Angehöriger
anderer Völker, alle beflissen, die höchsten Künste der Galanterie
zu entfalten. Wo Raum gewonnen ist, wirbeln die Paare sofort eng
aneinandergeschmiegt nach den feurigen Weisen der Musik rhythmisch
im Tanze. Man lächelt, winkt, läßt die Pfropfen knallen, kost beitn
perlenden Sekt, flüstert heimliche Worte und wechselt heiße Blicke.
Schwül ist es im weiten Saal — die Fächer fliegen unablässig hin und
her und wehen Kühlung. Dann schlägt die Glocke Mitternacht . . .
Die Masken sinken und — grimme Enttäuschung treibt manche
Kavaliere, insbesondere die Türken, zu beschleunigtem Rückzuge.

Aber wie großartig auch die Bälle verlaufen, so bildet doch
der Rosenmontagszug den Clou des Karnevals. Das ist er immer
gewesen, schon seit dem Jahre 1823, da die Narren wieder Ober-
wasser bekamen und das Fest in neuem Glanze erstand. Noch
berichtet die Chronik mit überschwänglichen Worten maßloser
Bewunderung von dem entzückenden Pomp, mit dem damals der
Einzug der edlen Venezia und ihres riesigen Hofstaats in Köln er-
folgte. Und dieser Pomp ist geblieben bis auf den heutigen Tag.
Wenn vom Neumarkt her die brillant bespannten Wagen mit ihren
kolossalen Aufbauten, ihrer farbigen Pracht, ihrem Goldschimmer,
ihrem Girlandenschmuck und dem zündenden Humor ihrer lebhaft
agierenden trinkfesten Insassen herannahen, die ganze tolle bunte
Gesellschaft, die heiligen Mägde und Knechte, die Gecken, Narren,
Hanswürste, Doktoren der Medizin, Advokaten, Gelehrten, Honora-
tioren und sonstigen Zierden der Gesellschaft, die Zünfte, Gesellen,
Lehrlinge, die Funkenbrigade, befehligt von ihrem Generalfeld-
marschall von Künningsfeld, samt Artillerie, Maschinengewehren,
Marketenderwagen und Marketenderin unter dem Geschnatter famos
kostümierter berittener und unberittener Musikkorps vorüberzieht,
hinein in die schmalen Straßen der Altstadt, die Schildergasse, Hoch-
straße, am Dom vorbei, dann ist es, als ob sich ein Märchen abspiele
oder ein Stück Mittelalter wieder lebendig geworden sei. Ja, sie
verstehen den Zauber in Colonia Agrippinensis aus dem Grunde und
sie wissen ihn auch mit einem Humor zu verquicken, der das
Zwerchfell erschüttert.

Die Fetes du Carnaval in Nizza und der Karneval in Venedig
haben ihre Reize. Malerische Kostüme, schöne Frauen und südliche
Lebendigkeit verleihen ihnen Anziehungskraft. Besonders der große
Rosenmontagszug in Nizza pflegt seit Jahren ein Wunderwerk
dekorativer Kunst zu sein, dem ein internationales Publikum
tosenden Beifall zujubelt. Aber viel Witz, viel Humor steckt in
dein Nizzaer Zuge nicht drin — alles ist mehr aufs Auge und auf
die luxuriösen Launen einer verwöhnten Gesellschaft berechnet.
Auch in Venedig kommen Witz und Humor nicht recht auf ihre
Kosten. Das Begräbnis oder Verbrennen des Karnevals, der
Hauptclou und Schlußeffekt der gesamten Festlichkeiten, ist nichts
weiter als ein lärmendes Spektakelstück, das an die Gehörnerven kaum erträgliche
Ansprüche stellt. Zu lachen gibt es wenig und herzlich zu lachen gar nichts.

Wirklich lachen läßt sich’s im fidelen Köln, wo die Pflanze Humor noch im
prächtigsten Wachstume steht. Wirklich lachen läßt sich’s auch in Mainz, Düsseldorf,
Aachen und einigen andern Städten der Rheinlande, wie denn das leichte rheinische
Blut die Narrheit vorzüglich zu nehmen weiß. Eine gute Dosis Philosophie steckt in
den Herrschaften. Sie haben erkannt, daß in der Menschennatur etwas Närrisches steckt
und lassen ihm am Karneval freien Lauf. „Nennst du mich Narr, Junge?“ fragt König
Lear seinen philosophisch angehauchten Hofnarren, um sofort die Antwort zu empfan-
gen: „Alle deine andern Titel hast du weggeschenkt, mit diesem bist du geboren“. Sie
kennen am Rhein Skakespeare sehr genau und wissen, daß der Narr des Königs Lear
recht hat. Wer in Köln zur Karnevalszeit Einzug hält, wird mit der Mahnung empfangen:
Allhier in dieser großen Stadt, Darf niemand, kehrt er bei uns ein,

Wo jeder seinen Sparren hat, Gescheiter als wir andern sein!

Das ist vernünftig. Vernünftig ist auch der Generalfeldmarschall von Künningsfeld,
der seinem feurigen Roß die Leiter, auf der er zu seiner hohen Stellung emporgesiiegen
ist, stets vorantragen läßt, denn, gewitzigt durch Fälle höherer Ungnade, denkt er:

„Was mir haif zu der Höh’, hilft mir auch wieder herab.“

So haben in dem braven Kommandanten der alten Kölner Stadtsoldaten, deren Waffen zum
Totschießen nicht mehrgeeignetsind, Narrheit und Weisheit denschönsten Bund geflochten.
 
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