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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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9. Heft
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Heilborn, Adolf: Graphische Gelegenheitskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0271

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MODERNK KUNST.

M

^rapl)isd?c

Feben der „reinen“ Kunst, die lediglich Selbstzweck, eine
Kunst um der Kunst willen ist, hat es zu allen Zeiten
eine „angewandte“ Kunst gegeben, die ihre Aufgabe darin fand
und findet, den tausendfältigen Dingen des täglichen Gebrauchs
den Reiz und Schmuck des Schönen zu verleihen. Solche
mannigfache Bedarfskunst hat man später insgemein „Kunst-
gewerbe“ genannt, wobei durch allzu viele Stümper, die es
Generationen hindurch fast ausschließlich übten, allmählich der
Akzent auf den zweiten Wortteil gekommen ist. Wenn heut
glücklicherweise unsere Bildhauer und Maler wieder zu be-
greifen beginnen, daß auch eine Kleinplastik, eine Vase, eine
Busennadel etwa, daß ein Plakat, ein Exlibris, eine Glückwunsch-
karte sehr wohl hohe Kunst sein kann, wenn es nun auf allen
Gebieten der angewandten Kunst wieder starke künstlerische
Persönlichkeiten gibt, die sich mit Stolz „Kunstgewerbler“
heißen, so ist das ein mit Freuden zu begrüßendes Symptom
der Gesundung des Geschmacks und eine frohe Hoffnung, daß
man in diesen Dingen allgemach wieder jene Höhe erreichen wird, die uns das
Alltagsleben unserer Großeltern doch so reizvoll und so voller schönen Behagens
erscheinen läßt. Daß jene oft belächelte Zeit, da „der Großvater die Großmutter

nahm“, wirklich in

. — den Kleinigkeiten

des täglichen Ver-
kehrs eine feine
Kultur besaß, ver-
rät uns beinahe je-
des Gerät und Ding,
das aus der Bieder-
meierzeit und noch
den beiden näch-
sten Jahrzehnten
stammt; ein jedes
fast erzählt uns von
den künstlerischen
Ansprüchen, die
ein kultivierter,
persönlicher Ge-
schmack daran
stellte. Nichts aber
plaudert so behag-
lich von den Lebens-
reizen jener Tage,
läßt uns so intime
Blicke in die gesell-
schaftliche Kultur
von damals tun,wie
die mancherlei Er-
zeugnisse jenes be-

sondern Zweiges der Bedarfskunst, den man vielleicht „graphische Gelegenheits-
kunst“ nennen darf.

Da hat jüngst unter diesem Titel Walter v. Z ur Westen ein köstliches Werk
herausgegeben, und Otto v. Ilolten, Berlin, hat es ganz prachtvoll gedruckt und
ausgestattet, ein Werk, das in reicher Fülle eine ge-
schmackvolle Auswahl dessen zeigt, was Berlins gra-
phische Gelegenheitskunst einst und wieder jetzt an
Schönem oder Interessantem hervorgebracht hat: Fest-,

Glückwunsch- und Besuchskarten, Plakate und Exlibris.

So ist ein Werk entstanden, das kulturgeschichtlich wie
kunsthistorisch von gleich hoher Bedeutung und dabei
die reizvollste Lektüre ist. Welch berühmten Namen
begegnen wir nicht auf diesem Gebiete der „Bedarfs-
kunst“! Chodowiecki, Schadow und Menzel führen den
Reigen an; ihnen gesellen sich ein Hosemann und
Scherenberg, ein Meyerheim, Skarbina, Klinger, Lieber-
mann und, von den fast vergessenen Künstlern der guten
alten Zeit noch ein paar bedeutendere zu nennen: ein
Gubitz, Eichens, Ehrentraut, Burger, Löffler, Scholz und
Wisniewski bei. Es folgen die Jungen und Jüngsten:
ein Doepler, Sattler, Leistikow, Barlösius, Stassen und,
als würdiger Nachfolger Plosemanns, Heinrich Zille u. v. a.

Die Griffelkunst dieser Jüngeren versucht sich bislang
vornehmlich im Gestalten von Plakaten und Exlibris;
die reizvollsten Schöpfungen der älteren Generationen
sind wohl die Festkarten zu den verschiedenen geselligen
Veranstaltungen der Berliner Künstlervereine. In Berlin

ljici fsljunsf.

Graphische Gelegenheitskunst:
Monatskarte von Elfriede Wendlandt.


Conrad'Ä

begann der Aufschwung der Festkarte, sagt Zur Westen, als
nach den Freiheitskriegen das Vereinsleben emporblühte, als
insbesondere die Künstlerschaft sich zu geselligen Vereinen
zusammenschloß. Von diesem Zeitpunkt ab entstand eine so
reiche Fülle künstlerisch wertvoller Blätter, daß man die Fest-
karte als ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Berliner
Originalgraphik und das wichtigste in der Geschichte der Ber-
liner Gebrauchsgraphik bezeichnen muß. Es ist nicht. möglich,
hier von dieser Fülle von Schönheit, Humor und ungebundener
Laune auch nur annähernd eine Vorstellung zu geben - Zur
Westen hat der Festkarte allein einen ganzen Band gewidmet >
nur ein paar besonders fesselnde Einzelheiten mögen hier ver-
zeichnet sein. Da ist z. B. eine von Menzel und Hosemann
1834 gezeichnete Festkarte, auf der Don Quichote als ein Symbol
des Kampfes der idealistischen Stürmer und Dränger gegen
Zopf und Rückständigkeit im Berliner Kunstleben, zumai an
der Kunstakademie, wahre Schlachtenorgien gegen Gips und
Zopfträger, den hohen und niederen Kunstpöbel, feiert. Da ist eine köstliche
Festkarte von Wisniewski mit dem Motto „Noch einmal wieder jung“. Der
Künstler, der im Ehejoch, in der Brotarbeit beinahe zum Philister geworden ist,
wird von der Freude und dem Humor emporgetragen, wä'nrend unten auf dem
Blatte u. a. der Gläubiger vergeblich mit der Rechnung wartet, und „der Künstler-
fraüen Leid“ dargestellt ist. Diese besondere Bildergruppe erklärten Loewensteins
Verse: „Die

eine
Ach,
denn

seufzt:

kann’s

sein?

jürljlaviarzu 2 H&nden

FranySdjubert

nsoKje.

Graphische Gelegenheitskunst:
Plakat fiir den Zoologischen Garten von Par

Meyerheim.

Graphische Gelegenheitskunst: Notentitel von Fidus (Höppner).

EXLibris A^olf Heilbora

Er läßt mich
heute schon
allein, allein,
bis der näch-
ste Morgen
graut — acht
Tagesind wir
erst getraut!

Die andre
schwingt den
Pantoffel
hoch: Wart,

Alter, mor-
gen krieg ich
dich doch!

Diedrittehält
ihr Kind ent-

gegen: Dein Vater geht auf hübschen Wegen! Ein fester Bursche ruft indessen :
Papa, du hast den Schlüssel vergessen!“ Da ist weiter eine Karte von Scheren-
berg, die oben eine Anzahl bekannter Künstlervereinsmitglieder beim Weine,
unten aber die wahrhaft Bassermannschen Gestalten eines Malers, Musikers und
Schriftstellers zeigt, die es nach dem Motto treiben: „Nichts für dem Leben,
Alles vor der Kunst, Aber stets gegen dem Winde“. Da ist eine entzückende
Karte des damals erst zweiundzwanzigjährigeü Paul Meyerheim zum Weih-
nachtsfest 1864. Auf dem Pegasus sitzt und bläst ein Kunstreiter (Steffeck) zum
Beginn der Vorstellung; neben ihm steht der Vereins-
kassierer (Eschke) und bewacht die von einem Bären be-
hütete Kasse. Köstlich vor allem sind die zechenden
Tiere: Affen, Spitz und Kater, Arm in Arm. — Von
Meyerheim rührt auch ein aus den siebziger Jahren
stammendes, köstliches (hier gleichfalls wiedergegebenes)
Plakat für den Berliner Zoologischen Garten her. Es
ist merkwürdigerweise in Holzschnitt vervielfältigt und
zeigt ein lustiges Tierorchester. „Wenn ich recht unter-
richtet bin“, führt Zur Westen dazu aus, „ist das Blatt
gar nicht oder nur kurze Zeit verwendet worden, und
zwar aus einem sehr merkwürdigen Grunde. Die Militär-
musiker fühlten sich durch die blasenden Affen gekränkt,
empfanden sie als eine Anspielung und fürchteten auch
wohl ’Witze aus dem Publikum.“ — Eine große Anzahl
sehr reizvoller Arbeiten weist das Kapitel der Karten
für Familienfeste auf. Wir wählten aus diesem Kapitel
hier eine von Wilhelm Chodowiecki (Sohn) ge-
zeichnete Hochzeitskarte: „Die Parade“ zur Abbildung.
Amor mit dem Bogen eröffnet den Zug, ein Genius trägt
das Ehebanner; ihm folgen mit Kränzen und Fackeln
Putten, dahinter schreitet feierlich das jungvermähite
Paar, ein Storch trägt die Schleppe der Braut. — Auf

Graphische Gelegenheitskunst: Exlibris von Ii. Zille.

XXVII. 9. Z.-Z.
 
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