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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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14. Heft
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Lienhard, Friedrich: Schwert und Bibel, [4]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0406

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*74

—Schwerf uncl Bibel.

Novelle von Friedrich Lienhard.

[Fortsetzung.] --- Copyright 1913 by Rich. Bong.

^■^^Qjümmelröcler hatte sich unten in der Gastwirtschaft festgekneipt,
als sich bereits die ersten Mitglieder des Flunkerklubs heranlogen.

Mit Hallo sauste der sonst so träge Bursche die Treppe hinan,
drehte Licht auf und rollte Ober dieselbe Schwelle, über die sich vor
kurzem der Kinderwagen bewegt hatte, ein donnerndes Bierfäßchen.

Das Faß wurde' angezapft, ein erster Schluck probiert, und der un-
gebeugte Alkoholiker war zufrieden.

Und schon bekam er Gesellschaft. Der dicke Schultheiß, ein Phleg-
matiker der besten Sorte, trat mit dem rotnasigen und fuchshaarigen
Förster ein, gefolgt vom hüstelnden Apotheker, der sofort sein besticktes
Käppchen auf das kahle Haupt setzte.

Der wetterbraune Forstmann war mitten im Flunkern. Seine Nase
wetteiferte mit Kümmelröders Glühbirne. Er hatte wenig Gedanken, aber
diese wenigen wiederholte er um so zäher. Jeden dritten Satz fing er
bedeutend mit „Also“ an und half seinen Schilderungen durch erfundene
Züge nach, weil er der Meinung war, Jägerlatein gehöre zur Forstwissen-
schaft. Außerdem genehmigte ein Paragraph des Flunkerklubs ausdrück-
lich ein geistvolles Flunkern oder Schwindeln.

„Also“, fuhr er fort, „das habt ihr nicht 'einmal gehört? Aber wo
habt ihr denn eure Löffel?“

„Aber was denn nun endlich, Förster?“ nef der Apotheker mit seiner
dünnen und immer etwas belegten Stimme. „Ich kümmre mich wenig
um Politik. Ein vernünftiger Mensch bleibt in seincm Bau und scharrt
seine Rente zusammen.“

„Bravo!“ bestätigte der korpulente Schultheiß und setzte sich, daß
die Eichenbretter krachten. „Ich sag’ gar nichts, ich lach’ dazu.“

Kümmelröder reichte die holländischen I’onpfeifen; das Tabakskolle-
gium begann zu stopfen und zu rauchen.

„Also“, meinte der Förster paffend, „er hat ihn die Kanzel ’runter-
geworfen. Ganz einfach ’runter!“

„Wer? Wen?“ fragte der Apotheker.

„Na, der Major den Pfaffen.“

Der Schultheiß sagte gar nichts, sondern lachte dazu. Aber dcr
Förster fing an, auseinanderzusetzen, daß der Pfarrer am vorigen Sonn-
tag eine höchst unanständige Predigt gehalten habe.

„Nämlich über den Major und uns andere — kurz, es war unanständig.
Also, auf einmal, mitten im Wort, springt unser Alter auf, faßt den Pfarrrer
ins Auge und ruft: Mann da oben, jetzt ’runter vom Sattel! Geht also
stracks auf die Kanzel, packt ihn am Gcnick und hält ihn mit steifem
Arm in die Gemeinde hinaus. Also, sagt er, Mann, wenn Sie jetzt nicht
sofort mucksmäuschenstill sind, so häng’ ich Sie so als Wirtshausschild
vor den Flunkerklub! Und stellt ihn hernach sachte wieder auf seine
zwei Beine. Und der Pfarrer, was geliste, was haste, ’raus — so schnell
habt ihr noch keinen laufen sehen! Also, und seit der Zeit ist Pländel
im Dorf.“

Der Apotheker lächelte kaum, Kümmelröder grinste, der Schultheiß
lachte. Und zwar hatte dieser fetthalsige Mann eine wunderliche Art
des Lachens; denn er lachte zumeist mit dem unaussprechlich dicken
Rücken, die Achseln emporzuckend, wackelnd mit dem ganzen Buckel,
unter dessen Gewicht das leise, heisere Lachen zu ersticken schien. Und
alie vier vergruben sodann ihre Gesichter in den Bierkrügen.

„Merkwürdige Gescliichte“, brummte endlich der Schultheiß und
wischte den Mund.

„Was ist denn dabei merkwürdig, Dicker?“

„Ich war zufällig auch in der Kirche, liab’ aber von dieser Attacke
nichts bemerkt.“

„Weil du wie gewöhnlich geschlafen hast!“ trumpfte der Förster.

„Gescldafen? Dreiviertel Stunden lang hat der Pfarrer mit der Faust
getrommelt — na, da schlaf’ du ’mal!“

In dieser animalisch-behaglichen Weise schlich die Unterhaltung
weiter. Der F örster, in die Enge getrieben, mußte zugeben, daß er zwar
als Monist nicht selber die Kirche betreten habe; aber er betonte, daß

er von glaubwürdigen Kirchengängern unterrichtet sei. Er stattete seine
Erzählung mit weiteren Zügen aus; aber es gelang ihm nicht, ein rechtes
Lachen hervorzuzaubern. Da trat Stäuble mit dem Hauptlehrer ein.

„Chirurg!“ schrie ihm der Förster entgegen. „Die besten Geschichten
werden einem hier nicht mehr geglaubt! Ist es wahr oder nicht, daß
unser Alter den Pfarrer abgeschossen hat? Blattschuß — bumm! Da lag
er und streckte alle viere!“

Stäuble hatte inzwischen einen Kranken besucht und war noch voll
von dem schönen, sichern Besitz, der ihm vorhin in eben diesem Lokal
zugefallen war. Der Rauch, der aus den Pfeifen, das fade Geschwätz,
das aus den Köpfen aufstieg, schien ihm Entweihung. Im Nu war sein
Entschluß gefaßt, den Klub zu sprengen.

„Wo steckt der Baron?“ fragte er kurz und trocken.

„An seiner Stelle lügt ein anderer,“ lachte der Schultheiß.

Der Förster war hitzig und erbost.

„Es ist kein Humor mehr auf der Welt,“ schalt er. „Da hab’ ich mich
nun angestrengt und auf dem ganzen Waldweg eine Geschichte aus-
gesonnen — Herr Physikus, ich will sie Ihnen gleicli“ —•

„Verschonen Sie mich!“ wehrte Stäuble ab und stopfte sich die
Pfeife.

„Habcn der Major und der Pfarrer Krach miteinander oder nicht?“

„Das pfeifen ja die Spatzen auf den Dächern!“ bestätigte der Arzt.
„Do.ch tätet Ihr gut daran, Euer Mundwerk aus der Affäre zu lassen!“

„Warum? Das will ich jetzt wissen!“

Stäuble rauchte ein paar Züge; dann begann er, knapp und scharf,
zwischen einzelnen Sätzen Dampfwolken ausstoßend: „Der Pfarrer bringt
Leben in eure Verstopfung! Der versteht sich auf Pillen und Purganz!
Entweder zieht jetzt a bissel Kultur hier ein — oder der Teufel der so-
genannten deutschen Gemütlichkeit zupft euch weiter an der Nas’ herum.
So hat der Pfarrer zum Baron gesagt — und ich unterschreib’s. Punktum!“

Die Runde, außer dem nickenden Lehrer, saß sprachlos.

„Also, Doktor Stäuble,“ rief endlich der Förster, „Sie halten zum
Pfarrer?!“

„Ach was Pfarrer! Bin ich Parteiknecht?! Ich hab’ dem Pfarrer
gestern meinen Besuch gemacht und hab’ ihm ebenso offen meine Mei-
nung g’sagt, wie ich sie jetzt Ihnen sage. Sie überschätzen den katego-
gorischen Imperativ, hab’ ich g’sagt, das Leben ist weder Theorie noch
Prinzip, das Leben ist ein elastischer Organismus. Auch Schönheit,
Kunst, Freude brauchen Sauerstoff. Aber item, Sie klopfen hier Staub
aus, und das ist schon die Elementarstufe zu neuer Kultur. Es kann
noch etwas aus Ihnen werden, wenn Sie durch die Moral hindurchdringen
zur Poesie und zur Religion. Verstehen Sie diesen Gedankengang,
Förschter? Schweig stille, mein Herze! Es ist der Geist, der lebendig
macht, meine Herren, und nit das schäbige Gesöff da!“

So sprach der ehemalige Militärarzt und jetzige Sanitätsrat Dr. Stäuble
und paffte energische Wolken aus seiner Tabakspfeife. Und er dachte
an Mörikes Schön-Rotraut; und ein klingend Lachen zog durch sein
Gemüt; der unmelodische Stumpfsinn um ihn her war versunken. „Ich
habe Schön-Rotrauts Mund geküßt“ . . . Rings tobte die Debatte, Denn
Verstärkung war gekommen; der Förster bekam Mut und war in seinen
Redewendungen schon beim Kurpfuscher und Quacksalber angelangt.

Endlich trat auch der langerwartete Baron ein, stürmisch von der
Tafelrunde begrüßt.

„Vivat, der HerrBaron!“ schrie der rote Forstmann. „Vivat! Vivat,
tausendmal hocli!“ und der Ivlub schrie nach.

„Begrabt euren Baron, Kameraden!“ donnerte der Alte und warf
seinen Lodenhut dem geschickt auffangenden Kümmelröder zu. „lch bin
nicht mehr der gemütliche alte Schloßherr, dem man einst auf einen
Kilometer weit die Mützen entgegenschwang, nein, es haben sich in
diesem Nest Parteien gebildet! Es gibt seit kurzem hier Hallunken, die
mich erst wie einen Zuchthäusler von oben bis unten betrachten, ehe sie
mit einem Finger an die Mütze greifen! Schweinebande! Scheusale!
 
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